Der Klinikarzt 2006; 35(10): XIV-XV
DOI: 10.1055/s-2006-954435
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Invasive Mykosen auf dem Vormarsch - Entscheidend ist, wie schnell man therapiert

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Publication Date:
02 November 2006 (online)

 
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Noch immer werden 76% aller systemischen Mykosen erst post mortem diagnostiziert! Darauf wies Prof. M. Ruhnke, Berlin, anlässlich der Jahrestagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG) 2006 hin. Ursachen sind der rapide Anstieg invasiver Mykosen sowie Defizite im klinischen Management dieser Infektionen.

Viele der neuen wirksameren Antimykotika kommen zu spät, weil die Infektion zu spät erkannt wird und zu spät gehandelt wird. Eine Letalitätsrate bis über 60% bei einer invasiven Aspergillose sowie von 50-75% bei Candidosen - selbst mit modernen Antimykotika! - sind für Ruhnke untragbar. Grundsätzlich muss auch hier angestrebt werden, die Erfolgsraten der Therapie bakterieller Infektionen zu erreichen, so der Vorsitzende der DMykG.

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Zu späte Therapie gleich unbehandelt

Invasive Mykosen seien daher neben der molekularen Mykologie auch Themenschwerpunkt der 40. Jahrestagung, so Tagungsleiter Prof. R. Würzner, Innsbruck. Eine große epidemiologische Studie weist aus, dass in den USA die Zahl der Pilzinfektionen von 1979 bis 2000 um 207% angestiegen ist (Abb. [1]; [3]). Auf Intensivstationen waren Candida-Pilze die dritthäufigsten Keime. Ähnliche Trends gibt es auch in Deutschland. Das ist nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem, meinte Dr. R. Höhl, Nürnberg: "Wenn wir zu spät kommen, dann sterben die Patienten. Selbst Low-risk-Patienten haben eine Sterblichkeit von 63%!"

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Entscheidend ist hier, wie schnell man therapiert. Setzt beispielsweise die Therapie von Candidämiepatenten innerhalb von 48 Stunden ein, so beträgt die Letalität 40%. Wird später interveniert, verdoppelt bis verdreifacht sich die Sterblichkeitsrate und liegt damit in der Größenordnung einer unbehandelten Candidämie, mahnte Höhl. Kritiker bemängeln, dass bis zu zwei Drittel aller invasiven Mykosen zu spät behandelt werden.

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Candida: Labordiagnostisches Repertoire reicht nicht aus

Prof. H. Hof, Mannheim, empfahl, eine präemptive antimykotische Therapie immer bereits dann einzuleiten, wenn nach den Umständen das Vorliegen einer systemischen Mykose wahrscheinlich ist: Wegweisend für die Diagnose sind als Kardinalsymptome antibiotikarefraktäres Fieber, Antigennachweis und Infiltrate in der Bildgebung.

Für die Auswahl des passenden Antimykotikums hat man neben der klinischen Erfahrung auch die Möglichkeit einer In-vitro-Testung, wenn der Erreger vorliegt. Technisch gibt es allerdings noch erhebliche Probleme bei der Durchführung und Bewertung der Ergebnisse. Hof kritisierte: "Unser diagnostisches Repertoire ist nicht ausreichend." Derzeit gebe es keinen standardisierten und konfektionierten Labornachweis.

Auf eine gravierende labordiagnostische Unterversorgung wies auch Prof. J. Müller, Freiburg, hin. So werden die Forderungen der Internationalen Gesellschaft für Humane und Animale Mykologie (ISHAM) für eine flächendeckende mykologische Labordiagnostik in Deutschland zu lediglich 25% erfüllt. Damit jedoch ist die Mehrzahl aller Risikopatienten mykologisch nicht oder mangelhaft versorgt. Dies ist für Müller nicht nur ethisch, sondern auch gesundheitsökonomisch unakzeptabel. Klinisch gibt es für Hof daher nur eine Konsequenz: "Die Diagnose steht und fällt damit mit der Erfahrung des Untersuchers!" Sein Kollege Höhl riet diesbezüglich zur "4-I-Strategie":

  • identifizieren: Risikopatienten frühzeitig erkennen

  • intensivieren: (Labor-)Diagnostik einschalten, Abstriche machen, Blutkulturen anlegen

  • integrieren: klinisch gezielt, präventiv, empirisch handeln

  • initialisiere die individuell adäquate Therapie (je kränker, desto früher und desto wirksamer, ausreichend lange - Stichwort: Deeskalation)

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Mykosen bei onkologischen Patienten

Eines der größten Patientenkollektive sind traditionell hämatoonkologische Patienten. Mykosen sind bei onkologischen Grunderkrankungen inzwischen aber nicht mehr vor allem auf Lymphome beschränkt. Auch bei diesen Patienten sind neben Schimmelpilzen insbesondere Candidaspezies im Vormarsch, so PD O. Cornely, Köln. Heute sind die drei häufigsten Mykosen neben der Lungenaspergillose die Candidose der Speiseröhre sowie die Candidose von Leber und Milz.

Therapeutisch muss man darauf achten, die Erreger-Dissemination von "oberflächlichen" Candidosen innerer Organe wie beispielsweise der Speiseröhre in tiefer gelegene Organe zu verhindern. Das bedeutet auch, dass man die Betroffenen darauf einstellen muss, dass die Behandlung hier auch mit den modernsten Medikamenten Monate bis Jahre dauern kann, bis die Infektion wirklich verschwunden ist. Dies gilt ebenso für die invasive Lungenaspergillose. Sie verläuft auch heute noch bei bis über der Hälfte der Patienten tödlich.

Mit den neuen Antimykotika sei zwar eine deutliche Verringerung der Sterberate möglich geworden, unterstrich Cornely. Sie verdrängen dementsprechend die Altpräparate zunehmend als Mittel der ersten Wahl (Tab. [1]). Wie weit man die Letalität wirklich senken kann, wird jedoch die Zukunft zeigen.

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Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Wirksamkeit der Antimykotika hat natürlich die Resistenzentwicklung. Diese verläuft zwar bei Pilzinfektionen insgesamt deutlich langsamer als in der Antibiotikatherapie. Trotzdem ist es wichtig, Ersatzantimykotika zur Verfügung zu haben - zum Beispiel wenn eine Amphotericin-B-Resistenz vorliegt -, zumal die Toxizität von Amphotericin B seinen Einsatz deutlich einschränkt.

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Inzwischen stehen effiziente Therapeutika zur Verfügung

Hierzu eignet sich zum Beispiel Voriconazol, ein Antimykotikum mit breitem Spektrum. Das Einsatzspektrum umfasst die Behandlung invasiver Aspergillosen, fluconazolresistenter invasiver Candidosen sowie Infektionen durch die seltenen Erreger Scedosporium spp. und Fusarium spp. und - seit inzwischen gut einem Jahr - die Primärtherapie von Candidämien bei nichtneutropenischen Patienten. Insbesondere bei der Erstbehandlung, aber auch zur Rettungstherapie hat Voriconazol inzwischen einen hohen Stellenwert erhalten (Tab. [1]; [1], [2]).

Mit Posaconazol hat man eine zusätzliche attraktive Alternative auch zu Fluconazol/Itraconazol, vor allem zur Prophylaxe und Rettungstherapie. Für die Erstbehandlung und Rettungstherapie der Lungenaspergillose ist auch Caspofungin heute Mittel der ersten Wahl. Caspofungin konnte zudem bei Patienten mit persistierendem Fieber und Neutropenie die Überlebensrate gegenüber liposomalem Amphotericin B signifikant erhöhen ([4]).

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Was leistet die mykologische Genetik?

In Deutschland hat sich nach langer Anlaufzeit eine sehr kompetitive mykologische Grundlagenforschung entwickelt, so Prof. A. Brakhage, Jena. Inzwischen wurden die Genome vieler wichtiger humanpathogener Pilze, beispielsweise Candida albicans und Aspergillus fumigatus, vollständig sequenziert. Damit kann man die Keime so transformieren, dass man damit beispielsweise zum ersten Mal genaue Kausalitäten festlegen kann, welche molekularen Eigenschaften eines Keimes für eine systemische Infektion verantwortlich sind.

Auf dieser Basis wird es nach seiner Ansicht möglich sein, neue Zielmoleküle zu entwickeln, um bestimmte Pilzgene gezielt therapeutisch ausschalten zu können. Auch die Diagnostik könnte davon profitieren. Noch im Versuchsstadium ist beispielsweise die Rapid-PCR-Technologie (PCR = "polymerase chain reaction"). Mit diesem automatisierten PCR-Screeningsystem für spezifische Proteine bzw. Aminosäurensequenzen könnte man, so Brakhage, innerhalb von nur zehn Minuten eine Erregeridentifikation durchführen. Noch ist dieses System jedoch weder standardisiert noch klinisch getestet.

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Therapieoptionen für die Zukunft

Die unterschiedlichen Angriffsorte der modernen Antimykotika lassen durchaus auch an eine kombinierte Gabe denken, so Ruhnke. Er erwartet jedoch, dass die "klassischen" Antimykotika in absehbarer Zeit mit Gentherapeutika kombiniert werden, um die Effektivität zu steigern. Der erste monoklonale Antikörper gegen Candida wurde bereits entwickelt. Zusammen mit der Gabe von Immunstimulanzien wäre die antimykotische Therapie invasiver Keime eine Multi-Kombination.

Dr. A. Kretzschmar, München

Quelle: Pressekonferenz anlässlich der 40. Wissenschaftlichen Tagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft e.V. gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Medizinische Mykologie e.V.

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Literatur

  • 01 Cornely OA . Ullmann AJ . Karhaus M . Comment on: Evidence-based review of antifungal prophylaxis in neutropenic patients with hematological malignancies.  J Antimicrob Chemother. 2006;  57 151-152
  • 02 Glasmacher A . Prentice AG . Evidencebased review of antifungal prophylaxis in neutropenic patients with haematological malignancies.  J Antimicrob Chemother. 2005;  56(suppl1) i23-i32
  • 03 Martin GS . Mannino DM . Eaton S . Moss M . The epidemiology of sepsis in the United States from 1979 through 2000.  N Engl J Med. 2003;  348 1546-1554
  • 04 Walsh JR . Teppler H . Donowotz GR . et al . Caspofungin versus liposomal Amphotericin B for empirical antifungal therapy in patients with persistent fever and neutropenia.  N Engl J Med. 2004;  351 1391-1402
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Literatur

  • 01 Cornely OA . Ullmann AJ . Karhaus M . Comment on: Evidence-based review of antifungal prophylaxis in neutropenic patients with hematological malignancies.  J Antimicrob Chemother. 2006;  57 151-152
  • 02 Glasmacher A . Prentice AG . Evidencebased review of antifungal prophylaxis in neutropenic patients with haematological malignancies.  J Antimicrob Chemother. 2005;  56(suppl1) i23-i32
  • 03 Martin GS . Mannino DM . Eaton S . Moss M . The epidemiology of sepsis in the United States from 1979 through 2000.  N Engl J Med. 2003;  348 1546-1554
  • 04 Walsh JR . Teppler H . Donowotz GR . et al . Caspofungin versus liposomal Amphotericin B for empirical antifungal therapy in patients with persistent fever and neutropenia.  N Engl J Med. 2004;  351 1391-1402
 
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