Der Klinikarzt 2006; 35(9): XII-XIII
DOI: 10.1055/s-2006-954767
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Postoperative Schmerzen - Die Zukunft gehört der multimodalen Analgesie

Further Information

Publication History

Publication Date:
29 September 2006 (online)

 
Table of Contents

Schmerz ist die erste und häufig auch sehr belastende Komplikation der Patienten nach einer Operation, die unzweifelhaft einer effektiven Therapie bedarf. Dabei geht es jedoch nicht nur darum, die in der letzten Zeit viel diskutierte, über eine periphere und zentrale Sensibilisierung ausgelöste Schmerzchronifizierung zu verhindern. Über verschiedene Mechanismen können Schmerzen auch Ursache für myokardiale Ischämien, Pneumonien oder psychologische Erkrankungen sein.

Anscheinend machen sich jedoch noch immer zu viele der behandelnden Ärzte diese Folgen nicht ausreichend klar. Denn laut aktuellen Studienergebnissen leiden fast 40% der Patienten nach einer Operation an schweren oder schwersten Schmerzen, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sind dies immerhin noch 29% ([1]). "Nicht nur unseren Patienten zuliebe müssen wir hier besser werden", meinte Prof. S. Schug, Perth (Australien). "Eine bessere Schmerztherapie bietet auch ein potenzielles Sparpotenzial für das Gesundheitssystem!" Denn mit 38% sind Schmerzen und nicht wie man vielleicht erwarten würde eine erneute Operation, Blutungskomplikationen oder Übelkeit und Erbrechen der häufigste Grund für eine erneute Einweisung in die Klinik nach einer Operation ([2]).

#

Bessere Schmerzkontrolle - wo kann man ansetzen?

Die wichtigste Ursache für dieses suboptimale postoperative Schmerzmanagement in den Kliniken sieht Prof. R. Langford, London (UK), darin, dass die bekannten Leitlinien zu oft nicht konsequent eingesetzt werden und noch immer zu wenige Kliniken ein festes Protokoll zur Schmerztherapie implementiert haben. Und das, obwohl solche Protokolle tatsächlich dazu beitragen, das postoperative Schmerzmanagement zu verbessern ([12]).

Dazu komme, dass die Analgesie häufig zu spät verabreicht würde und man sich dabei - unabhängig von dem durchgeführten Eingriff - auf die Gabe von Opioiden fokussiere. Doch je nach Art des Eingriffs unterscheiden sich Schmerzintensität, -lokalisation und -typ, meinte Langford. Dies macht klar, warum sich auch bezüglich der Wirksamkeit verschiedener analgetischer Strategien Unterschiede feststellen lassen ([5]).

Wenn es darum geht, sich für die optimale postoperative Analgesie für einen bestimmten Eingriff zu entscheiden, ist das von Pfizer unterstützte PROSPECT[1]-Programm (www.postoppain.org) ein nützliches Hilfsmittel, denn es hält Empfehlungen für das postoperative Schmerzmanagement bei verschiedenen Eingriffen bereit:

  • laparoskopische Cholezystektomie

  • Hüftgelenksersatz

  • Hysterektomie

  • Kolonresektion

  • Hernienoperation

  • Thorakotomie.

Die Empfehlungen werden in relativ kurzen Abständen aktualisiert und immer wieder um neue Indikationen erweitert. Ein Team aus Anästhesisten und Chirurgen ("Prospect Working Group") berücksichtigt dabei jedoch nicht nur publizierte und evaluierte Studienergebnisse, sondern lässt auch Erfahrungen aus der klinischen Praxis mit in die Empfehlungen einfließen.

So weist PROSPECT bei der laparoskopischen Cholezystektomie beispielsweise einen Benefit für Patienten aus, die postoperativ mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) behandelt wurden. Die Schmerzkontrolle verbessert sich unter der NSAR-Gabe, obwohl weniger Opioide gegeben werden müssen, so die Empfehlung aus PROSPECT. "Vor allem bei Patienten mit bekannten gastrointestinalen Ulzerationen oder einem erhöhten Blutungsrisiko würden wir jedoch einen selektiven Cyclooxygenase(COX)-2-Hemmer gegenüber einem traditionellen NSAR den Vorzug geben, um das Risiko der Patienten nicht zusätzlich zu erhöhen", meinte Langford.

#

Bessere Analgesie trotz weniger Opioide

Genau dieser erwähnte "opioidsparende" Effekt ist einer der Gründe, die eine multimodale Schmerztherapie zum Beispiel mit Opioiden, nichtsteroidalen Antirheumatika und Paracetamol - und einer vorangegangenen Lokal- oder Regionalanästhesie - so interessant machen. Denn durch die Kombination lassen sich nicht nur synergistische Effekte der Medikamente nutzen. Jede Reduktion der Morphindosis verringert zudem die opioidtypischen Nebenwirkungen.

Dass dies nicht nur theoretische Überlegungen sind, belegte Schug an einer Studie mit Patienten, die sich einer laparoskopischen Cholezystektomie unterziehen mussten ([3]). Zusätzlich zur Möglichkeit einer patientenkontrollierten Analgesie erhielten die Patienten entweder Parecoxib oder Plazebo.

Unter der zusätzlichen postoperativen Parecoxib-Medikation hatten die Patienten schon einen Tag nach dem Eingriff signifikant weniger Schmerzen und die eingesetzte Opioiddosis und damit die opioidassoziierten Nebenwirkungen sanken erwartungsgemäß - ebenso wie die Rate an klinisch bedeutsamen unerwünschten Ereignissen (Abb. [1]). "Das ist es, was ich ein gutes Ergebnis nenne", meinte Schug. "Denn man spart nicht nur ein paar Cents über die Reduktion der Opioiddosis, sondern verbessert die Analgesie, verringert die opioidinduzierten Nebenwirkungen, die längere Krankenhausaufenthalte nach sich ziehen, und beschleunigt so die Regeneration der Patienten!"

Zoom Image

Der Nutzen von Parecoxib geht über diese Effekte sogar noch hinaus, betonte Schug. Nach einer zusätzlichen postoperativen Parecoxibgabe konnten doppelt so viele Patienten frühzeitig - schon 30 Minuten nach dem Eingriff - den Aufwachraum verlassen als unter einer reinen Opioid-Schmerztherapie (25 versus 13%, p = 0,025; [4]). Auch später hatten diese Patienten deutlich weniger Probleme als die der Kontrollgruppe: Unter Parecoxib sank die Zahl der hilfesuchenden Anrufe ("call backs") der Patienten um 63% (4 versus 11%; p = 0,05). In Deutschland ist Parecoxib zur Kurzzeitbehandlung postoperativer Schmerzen zugelassen.

#

Positive Nutzen-Risiko-Bilanz für Coxibe

Der Nutzen einer postoperativen Schmerztherapie mit selektiven Cox-2-Inhibitoren sei also eindeutig belegt, meinte Schug. Doch was ist mit den Nebenwirkungen? Hier bieten die Coxibe (z.B. Parecoxib) durchaus Vorteile gegenüber traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika - angefangen bei der gastrointestinalen Verträglichkeit ([6], 14) über Blutungskomplikationen ([9]) und den intraoperativen Blutverlust ([7]) bis hin zum Risiko von Bronchospasmen bei Patienten mit NSAR-induziertem Asthma ([8]).

Auch eine nur kurzzeitige Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika scheint - anders als man lange angenommen hatte - bereits mit einem erhöhten gastrointestinalen Blutungsrisiko assoziiert zu sein. Die erste Studie, die dies bei älteren Patienten tatsächlich geprüft hat, musste abgebrochen werden, berichtete Schug. Denn unter Keterolac entwickelten alle vier zum damaligen Zeitpunkt eingeschlossenen Patienten nach fünf Tagen ein Ulkus, während dies unter Parecoxib zu diesem Zeitpunkt kein Problem war ([6]). Dies dokumentiert auch eine Endoskopiestudie: Unter der fünf- bis siebentägigen Einnahme von Parecoxib (n = 29) entwickelte kein einziger Patient ein Gastroduodenalulkus. Unter Keterolak dagegen war bei sieben von 31 Patienten eine solche Läsion zu beobachten ([14]).

Unbedingt zu beachten seien jedoch die auf die Niere bezogenen Kontraindikationen, die sowohl für traditionelle als auch selektive nichtsteroidale Antirheumatika gelten, warnte Schug. "Denn in der Niere ist sowohl die Cyclooxygenase 1 als auch die Cyclooxygenase 2 exprimiert!" Zudem seien unter Parecoxib in seltenen Fällen Hautreaktionen zu beobachten. Solche Reaktionen entwickeln sich jedoch in der Regel erst nach mehreren Behandlungstagen und sind daher bei der nur kurzzeitigen postoperativen Gabe der Substanz eher kein Problem ([11]).

#

Wie steht es mit dem kardiovaskulären Risiko?

Vor kardiovaskulären Komplikationen müsse man sich jedoch - zumindest bei der kurzen postoperativen Gabe von Parecoxib im Rahmen von nichtkardialen Operationen - nicht fürchten, meinte Prof. Nancy Nussmeier, Houston (Texas, USA), und zitierte die Ergebnisse ihrer aktuellen Studie ([10]). Erwartungsgemäß war unter der Therapie mit Parecoxib und seinem aktiven Metaboliten Valdecoxib eine signifikant bessere Schmerzkontrolle zu verzeichnen, obwohl die Opioiddosis reduziert wurde. Positiver Nebeneffekt dieser Maßnahme war wie schon in früheren Untersuchungen eine Verringerung der opioidinduzierten Nebenwirkungen.

"Wir konnten jedoch keinerlei Anzeichen für eine erhöhte Rate an kardiovaskulären thromboembolischen Ereignissen - oder auch anderen Komplikationen wie zum Beispiel Infektionen - feststellen!" Zum selben Schluss kommt auch Schug in seiner Metaanalyse aus insgesamt 19 Studien aus der Orthopädie, der Gynäkologie und der Allgemeinchirurgie ([13]). Auch hier waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den Studiengruppen (Parecoxib versus Plazebo) zu sehen, unabhängig übrigens davon, ob die Patienten keinen, einen oder mindestens zwei kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwiesen. Im Rahmen von Eingriffen am Herzen sind nichtsteroidale Antirheumatika - auch die Coxibe - nicht indiziert. Dies gelte insbesondere bei koronaren Bypassoperationen (CABG = "coronary artery bypass graft"), warnte Nussmeier.

sts

Quelle: Satellitensymposium "Global controversies in postoperative pain treatment: The path to consensus" auf dem Euroanaesthesia-Kongress, veranstaltet von Pfizer

#

Literatur

  • 01 Apfelbaum JL . et al . Anesth Analg. 2003;  99 534-540
  • 02 Coley KC . et al . J Clin Anesth. 2002;  14 349
  • 03 Gan TJ . et al . Acta Anaestesiol Scand. 2004;  48 1194-1207
  • 04 Gan TJ . et al . Anesth Analg. 2004;  98 1665-1673
  • 05 Gray A . et al . Br J Anaesth. 2005;  94 710-714
  • 06 Harris SI . et al . Clin Ther. 2001;  23 1422-1428
  • 07 Hegi TR . et al . Br J Anaesth. 2004;  92 523-531
  • 08 Martin-Garcia C . et al . Chest. 2002;  121 1812-1817
  • 09 Moiniche S . et al . Anesth Analg. 2003;  96 68-77
  • 10 Nussmeier NA . et al . Anesthesiology. 2006;  140 518-526
  • 11 Pichler WJ . Ann Intern Med . 2003;  139 683-693
  • 12 Poisson-Salomon AS . Rev Epidemiol Sante Publique. 2005;  53 1S47-1S56
  • 13 Schlug SA . et al . Poster presentation ESA. 2006; 
  • 14 Stoltz RR . et al . Am J Gastroenterol. 2002;  97 65-71

01 PROcedure SPECificpostoperative pain managemenT

#

Literatur

  • 01 Apfelbaum JL . et al . Anesth Analg. 2003;  99 534-540
  • 02 Coley KC . et al . J Clin Anesth. 2002;  14 349
  • 03 Gan TJ . et al . Acta Anaestesiol Scand. 2004;  48 1194-1207
  • 04 Gan TJ . et al . Anesth Analg. 2004;  98 1665-1673
  • 05 Gray A . et al . Br J Anaesth. 2005;  94 710-714
  • 06 Harris SI . et al . Clin Ther. 2001;  23 1422-1428
  • 07 Hegi TR . et al . Br J Anaesth. 2004;  92 523-531
  • 08 Martin-Garcia C . et al . Chest. 2002;  121 1812-1817
  • 09 Moiniche S . et al . Anesth Analg. 2003;  96 68-77
  • 10 Nussmeier NA . et al . Anesthesiology. 2006;  140 518-526
  • 11 Pichler WJ . Ann Intern Med . 2003;  139 683-693
  • 12 Poisson-Salomon AS . Rev Epidemiol Sante Publique. 2005;  53 1S47-1S56
  • 13 Schlug SA . et al . Poster presentation ESA. 2006; 
  • 14 Stoltz RR . et al . Am J Gastroenterol. 2002;  97 65-71

01 PROcedure SPECificpostoperative pain managemenT

 
Zoom Image