Der Klinikarzt 2006; 35(9): XVIII-XIX
DOI: 10.1055/s-2006-954772
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Integration der ärztlichen Perspektive - Krankenhauseinkauf zwischen Ökonomie und Medizin

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Publication Date:
29 September 2006 (online)

 
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Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben das heutige Gesundheitswesen grundsätzlich verändert. Aus einer Medizin, in der die Ärzte das gesamte Spektrum der Heilberufe beherrschten, ist eine Medizin entstanden, die immer mehr von Spezialisten geprägt wird. Die Krankenhäuser in Deutschland sind seit Jahren mit einer zunehmenden Wettbewerbssituation konfrontiert. Fundierte Analysen gehen von einer Reduktion der Krankenhäuser von derzeit zirka 2150 auf 1500 Einrichtungen aus. Dabei ist mit einer nachhaltigen Privatisierung von Krankenhäusern zu rechnen.

Nach einer Studie von Ernst & Young wird der Anteil von Krankenhäusern in privater Trägerschaft bis zum Jahr 2020 auf etwa 50% steigen. Ursachen für diese Entwicklungen sind neben der Einführung des DRG-Systems (DRG = "diagnosis related groups"), den damit verbundenen Verweildauerreduktionen und Bettenüberkapazitäten in der Hauptsache wirtschaftliche Zwänge in Gestalt von Budgetkürzungen, Kostendämpfungsmaßnahmen oder Erlösrückgängen.

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Zwang zur Ökonomie bestimmt auch den Arztberuf

Auf der anderen Seite hat sich auch die Medizin aus Sicht der Ärzteschaft gewandelt. Die Zeiten, in denen allein das Staatsexamen Garant für eine lebenslange und finanziell gesicherte Tätigkeit war, sind vorbei. Heute ist die Ausübung des ärztlichen Berufes vor allem durch den enormen Kostendruck im Gesundheitswesen bestimmt. Die nicht gesicherte Finanzierung des Gesundheitssystems in Deutschland ist seit Jahren ein ungelöstes Problem. Besonders die stetig steigenden Kosten der stationären Versorgung müssen kritisch betrachtet werden.

Auch mit der jetzt geplanten Einführung eines Gesundheitsfonds kann nach Einschätzung von Experten diese chronische Unterfinanzierung im System nicht beseitigt werden. Neben der bekannten DRG-Konvergenzphase mit einer Anpassung der Vergütungssätze auf bundeslandeinheitliche Niveaus sind nun weitere Budgetkürzungen für die Krankenhäuser in der Diskussion. Dies wird den wirtschaftlichen Druck auf die Einrichtungen weiter erhöhen. Und das bekommen die am Patienten tätigen Ärzte, Pflege- und Funktionskräfte wie auch alle übrigen Krankenhausmitarbeiter zu spüren.

Die Privatwirtschaft gilt vielen als Träger der wirtschaftlichen Dynamik. Vor diesem Hintergrund skizziert der Autor anhand von Praxiserfahrungen aus den Sana Kliniken, die Fragestellungen einer qualitätsvollen Medizin, die Integration der ärztlichen Perspektive im Zwang zur stärkeren Ökonomisierung der Krankenhausversorgung.

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Optimierung im Personal- und Sachkostenbereich

Die Erhöhung der Erträge und Umsätze gestaltet sich im derzeit noch stark regulierten Krankenhausmarkt schwierig, wobei neue Versorgungsformen wie die Integrierte Versorgung oder Medizinische Versorgungszentren neue Einnahmequellen eröffnen. So bleiben fast nur die oft gefürchteten und sich wiederholenden Kostensenkungsrunden in den Krankenhäusern. Dabei zeigt die Ausgangslage in den deutschen Kliniken eine Aufwandsstruktur mit personalkostenintensiver Verteilung, die Folgendes impliziert: Zwei Drittel des Aufwandes deutscher Krankenhäuser sind Personalkosten, ein Drittel Sachkosten.

Krankenhäuser sind Dienstleistungsunternehmen mit sozialem Auftrag. Als "Dienstleister" weiß das Krankenhaus um das Zusammenspiel von engagierten Mitarbeitern und zufriedenen Patienten. Daher gilt es, für die Personalstrukturen innovative Personalkonzepte und Vergütungssysteme in den Häusern einzuführen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Tarifgespräche in diesem Jahr, die nochmals einen deutlichen Kostenschub für die Krankenhäuser bringen, ist eine Optimierung im Personalbereich unausweichlich.

Dass es dabei nicht in erster Linie zu Freisetzungen kommen muss, zeigen positive Beispiele wie die Optimierung der Arbeitsabläufe oder die Verlagerung von ärztlichen Tätigkeiten auf Pflegekräfte oder Dokumentations- und Verwaltungskräfte und von examiniertem Pflegepersonal auf Hilfskräfte. Der "Faktor Mensch" im Unternehmen Krankenhaus spielt auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen. Es wäre daher fatal, ohne langfristige Konzepte im Bereich des Personals zu agieren.

Anders gestaltet sich dies für den Bereich der Sachkosten. Analysiert man die rund 33% der Sachkosten im Krankenhaus, stellt man fest, dass hiervon zirka die Hälfte für medizinischen Sachbedarf anfällt. Die Kliniken in Deutschland haben in den vergangenen Jahren weiter an der Optimierung des Sachkostenanteils gearbeitet. Dies manifestiert sich im Wandel der Einkaufsabteilungen: Lag deren Fokus noch vor Jahren auf der operativen Bestellabwicklung und dem individuellen Verhandeln von Preiskonditionen, sind heute neue, teils aus der Industrie abgeleitete Einkaufskonzepte anzutreffen.

So hat sich der Sana Einkaufsverbund von Beginn an für externe Einrichtungen geöffnet. Heute umfasst dieser Einkaufsverbund mehr als 200 Krankenhäuser, den Erfolg des "gemeinsamen Verhandelns" spiegeln auch die Erfolge der übrigen Einkaufsverbünde wider. So sind nahezu 80% der Einrichtungen in Deutschland in derartigen Verbünden organisiert. Moderne Beschaffungskonzepte für Krankenhäuser bieten aber weit mehr Möglichkeiten als das einfache Verhandeln von Konditionen.

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Ärztliche Therapiefreiheit trifft auf wirtschaftliches Denken

"Artikelstandardisierung als Change Management in Krankenhäusern" heißt die Devise. Durch Abschluss von langjährigen Lieferverträgen, die Erklärung von verbindlichen Abnahmemengen gegenüber der Industrie und einer zunehmenden Standardisierung der eingesetzten Produkte gelingt es, den Materialaufwand sukzessive zu optimieren, sprich zu reduzieren.

Die Problemfelder, die sich bei der Umsetzung solcher Konzepte zeigen, liegen oftmals im Detail. Am Beispiel der Standardisierung lässt sich dies eindrucksvoll schildern. Zumeist werden interdisziplinäre Standardisierungs-Arbeitsgruppen oder Artikelkommissionen in den Krankenhäusern eingesetzt, in denen sowohl medizinische als auch ökonomische Aspekte einer Standardisierung aufgerufen werden. Gelingt es in medizinisch unkritischen Bereichen, wie beispielsweise Verbandsmaterialien, noch einen einheitlichen Nenner zu finden, so wird dies in Produktbereichen wie Handschuhen oder Implantaten bereits schwieriger. Schon hier treffen der Ruf nach ärztlicher Therapiefreiheit und die Notwendigkeit von wirtschaftlichem Denken oft hart und kontrovers aufeinander.

Um diesen Konflikt zu lösen, bedarf es neben einer qualifizierten Moderation der offenen und direkten Aussprache. Einfach ist es immer, sich auf das qualitativ hochwertigste (und teuerste) Produkt in der Standardisierung zu einigen, allein schon aus wirtschaftlichen Aspekten ist dies für das Krankenhaus jedoch nicht vertretbar. Hier muss in gemeinsamen Diskussionen das Für und Wider geklärt werden.

Gelegentlich bedarf es auch nur einer gemeinsamen Praxiserprobung. Aus der Sicht des Klinikarztes, der sich an oftmals auch durch das Produkt implizierte Prozessabläufe gewöhnt hat, ist eine Artikelstandardisierung oder Umstellung auf andere Produkte ungewohnt und unbequem - manchmal wird sie zunächst einmal als Machtverlust, oft sogar als Beeinträchtigung der ärztlichen Therapiefreiheit empfunden.

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Ärzte in Entwicklung neuer Abläufe integrieren

Im Sanaverbund werden daher gemeinsam mit Ärzten geplante Behandlungsabläufe entwickelt, bei denen auch die eingesetzten Produkte Einfluss auf Zeit, Dauer und Methodik haben. Werden konzern- oder verbundweit die gleichen Produkte verwendet, ist ein Know-how-Transfer möglich und nützlich. Für eine evidenzbasierte Medizin können im gesamten Verbund einheitliche Kennzahlen erhoben werden, wodurch auch die Qualität einzelner Produkte im Prozess der medizinischen Versorgung messbar wird.

Dabei erscheint der Grundsatz wichtig, dass eine Artikelstandardisierung auf ein oder zwei Lieferanten nicht "ewig" bindend sein sollte. Jährlich können Lieferanten neu verhandelt werden und Erfahrungen der Anwender eingebracht werden. Voraussetzung für eine optimale Artikelstandardisierung ist jedoch eine offene und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Medizin und Management. Eine frühzeitig definierte Freiheit der Auswahl kann die medizinische Innovation sicherstellen. So können nach Abstimmung neue Verfahren, Produkte und Lieferanten getestet werden. Klinikindividuelle Versorgungsformen finden auch in einem Standardartikelkatalog Berücksichtigung.

Ein weiterer Hebel zur Verringerung des Materialaufwandes liegt in der Änderung des Verbrauchsverhaltens. Wie langjährige Erfahrungen zeigen, wird durch das Controlling des medizinischen Sachbedarfes eine Transparenz je erbrachter Leistung generiert, die bereits zu Veränderungen im Verbrauchsverhalten führt.

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Vertrauen durch Dialogfähigkeit

In diesem Spannungsfeld zwischen Kostendämpfung und einer qualitätsvollen Versorgung - in dem Ärzte wie Klinik gleichermaßen agieren - ist eine kardinale Voraussetzung die Entwicklung der Dialogfähigkeit. Ärzteschaft und Management erfüllen bei ihrer Zusammenarbeit eine gemeinsame Aufgabe im Dienst des Patienten - dies gilt es auch bei kritischer Betrachtung zu berücksichtigen. Kommunikative Beziehungen sind deshalb der Stoff, aus dem Projekte wie die Artikelstandardisierung zum Erfolg geführt werden können und die damit die Existenz und wirtschaftliche Kraft des Krankenhauses sichern.

Dr. R. Schwarz, Geschäftsführung Sana Kliniken, München