Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(43): 2385
DOI: 10.1055/s-2006-955018
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zukunftsorientierte Hämato-Onkologie in Zeiten gesundheitspolitischer Wirrungen

Forward-oriented hemato-oncology in times of confusion in health politicsD. Niederwieser1 , W. Hiddemann2
  • 1Hämatologie und Onkologie, Universität Leipzig
  • 2Medizinische Klinik und Poliklinik III - Großhadern, Klinikum der Universität München
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Publication Date:
20 October 2006 (online)

Das vorliegende Heft mit Schwerpunkt Hämatologie-Onkologie wurde anlässlich der Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie 2006 in Leipzig konzipiert. Dabei war uns wichtig, nicht nur die neuesten Entwicklungen in der Hämato-Onkologie zu präsentieren, sondern auch die „Atmosphäre” des Kongresses wiederzugeben. Wir glauben, das Motto im Titel fasst die Stimmung am besten zusammen. Die Entwicklungen in der Hämatologie waren noch nie so begeisternd wie in den letzten Jahren. Mit der „targeted therapy” stehen neue Konzepte zur Tumortherapie zur Verfügung, die aus bösartigen hämatologischen Erkrankungen eine chronische Erkrankung machen. Nie hätten wir vermutet, dass wir durch kleine Moleküle spezifisch tumorrelevante Tyrosinkinasen blockieren und dadurch das Tumorwachstum beeinflussen können. Auch hätten wir nicht im Traum geglaubt, dass wir durch Hemmung der Angiogenese das Tumorwachstum beeinflussen und eine Lebensverlängerung bei Patienten mit soliden Tumoren erreichen können. Oder hätten Sie noch vor wenigen Jahren gedacht, dass sich durch monoklonale Antikörper eine deutliche Verbesserung des Überlebens bei Patienten mit Lymphomen erzielen lässt?

Auch im Bereich der Immunologie gibt es Neues. Immunreaktionen sind nun besser verständlich und können quantifiziert und sogar induziert werden, um Tumorerkrankungen vorzubeugen oder zu behandeln. Das Szenario einer Zweiphasenbehandlung, der Tumorgrößenreduktion mit Tyrosinkinasehemmer und nachfolgender zellulärer Immuntherapie zur Zerstörung der Tumorstammzellen, scheint nicht mehr weit entfernt zu sein. Im Bereich der Stammzelltransplantation wird immer mehr auf die Immuntherapie und weniger auf die Chemotherapie gesetzt. Jede vierte Stammzelltransplantation in Europa wird heute mit einer reduzierten Konditionierung durchgeführt. Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, bei Patienten, bei denen es bis vor kurzer Zeit keine kurative Option gab, Heilungen zu erzielen. So können heute bis ins hohe Alter erfolgreich Transplantionen durchgeführt und sogar Patienten mit ungünstigen zytogenetischen Veränderungen zu einem beträchtlichen Prozentsatz geheilt werden.

Diese Erfolge haben natürlich auch Schattenseiten. Die Natur ist nur schwer zu überlisten und findet meist einen Weg, um auf unsere Maßnahmen zu reagieren. So sind bereits Resistenzen gegen Tyrosinkinasehemmer bekannt, die z.B. durch Mutationen auftreten. Auch zelluläre Immuntherapien weisen immer noch teilweise lebensbedrohliche Nebenwirkungen auf. Und schließlich droht das Ganze nicht mehr finanzierbar zu werden, denkt man an die Preise der neu entwickelten Medikamente und Behandlungen. Klare Richtlinien und gemeinsame Anstrengungen sind hier unbedingt notwendig. Alle Kollegen sind der Meinung, dass die Qualität und Sicherheit der Patienten im Vordergrund steht. Sie sind aber auch der Meinung, dass manche Richtlinien und Direktiven unnötigen Bürokratismus hervorrufen. Ob sie finanzierbar sind oder wer sie finanziert, wird von den Gesetzesgebern gar nicht bedacht. Dies verteuert wiederum die Medizin und die Entwicklung neuer Medikamente. Insbesondere die Durchführung akademisch-klinischer Studien, eine exzellente Möglichkeit Qualitätskontrollen und Fortschritte in der Medizin aufrecht zu erhalten, wird dadurch beeinträchtigt. Aber auch Ärzte und Pharmaindustrie müssen ihren Beitrag leisten um die Medizin finanzierbar zu erhalten. Nicht zuletzt sind die Politiker gefragt, mit Experten zusammenzuarbeiten, damit die Erlässe auch Sinn machen.

Ein heute sehr wichtiges Thema ist das molekulare Monitoring der chronischen myeloischen Leukämie. Da die Tyrosinkinasehemmer verschiedene Spezifitäten haben und, bis auf eine Ausnahme, verschiedene Resistenzen überwinden können, ist die molekulare Diagnostik, auf die Lange et al. in ihrem Beitrag aufmerksam machen, hier von besonderer Bedeutung. A. Haas et al. berichten über eine Patien-tin mit refraktärem peripherem T-NHL, bei der nach monoklonaler Antikörpertherapie eine anhaltende Remission erzielt wurde. Raida fasst die neuen Möglichkeiten der Behandlung solider Tumoren zusammen. Neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der akuten myeloischen Leukämie werden von Fritsch et al. praxisgerecht präsentiert. Der Beitrag von Pfannes über die Knochenmarkpunktion enthält praktische Tipps, die nicht immer von den erfahreneren Kollegen an die jüngeren Kollegen weitergegeben werden. Maschmeyer et al. fassen die infektiösen Komplikationen nach Therapie mit Nukleosidanaloga und monoklonalen Antikörpern zusammen. Aber auch auf organisatorischer Ebene sind deutliche Verbesserungen durch die Bildung von Netzwerken (LeukemiaNet) zu erkennen, und ein krankheitsspezifisches Register scheint in Europa Realität zu werden (Saußele et al.). Über das sachgerechte Vorgehen bei der genetischen Testung von Mammakarzinom-Patientinnen informiert der Artikel von Kiechle.

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Arbeiten einen guten und praktischen Überblick über die Entwicklungen in der Hämatologie und Onkologie zusammengestellt zu haben und freuen uns auf einen interessanten Kongress 2006.

Prof. Dr. Dietger Niederwieser

Hämatologie und Onkologie, Universität Leipzig

Johannisallee 32A

04103 Leipzig

Phone: 0341/9713050

Fax: 0341/9713059

Email: dietger.niederwieser@medizin.uni-leipzig.de

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