Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(45): 2515-2518
DOI: 10.1055/s-2006-955042
Editorial
Prävention, Gesundheitspoliitik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ohne Stärkung der Prävention ist jede Gesundheitsreform unvollständig

Without improving prevention no public health prevention is effectiveM. Middeke1
  • 1DMW Chefredaktion
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 November 2006 (online)

Präventionspolitik

Prävention funktioniert nicht automatisch und allein aus sich heraus, nur weil sie sinnvoll und vernünftig ist. Es müssen die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Prävention zu einem starken Instrument zur Senkung der Krankheitslast zu etablieren. Damit lassen sich langfristig auch die Krankheitskosten besser beherrschen.

Das Präventionsgesetz liegt auf Eis. Dies ist symptomatisch für den Stellenwert der Prävention in unserem Land. Der Entwurf war allerdings bisher auch kein großer Wurf: Er sah zwar eine Stärkung der betrieblichen Prävention vor, medizinische und ärztliche Prävention haben darin jedoch nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht. Ein überarbeitetes Gesetz ist dringend notwendig, und es wäre ein sehr wichtiges Signal. Ohne eine kräftige Stärkung der Prävention werden alle gesundheitspolitischen Bemühungen auf Dauer nicht erfolgreich sein.

Voraussetzung für eine Gesundheitsreform, die den Namen auch tatsächlich verdient, ist zunächst eine Auseinandersetzung und Verständigung über die medizinischen Inhalte, Ziele und Prioritäten. Dabei spielt die Prävention in ihren verschiedenen Ebenen (Tab. [1]) für eine in die Zukunft gerichtete Medizin eine überragende Rolle.

Tab. 1 Die verschiedenen Ebenen der Prävention/Definitionen. Primordiale Prävention Die Verhütung von Risikofaktoren bei Gesunden: z. B. die Verhütung der Manifestation von Hypertonie, Diabetes, metabolisches Syndrom usw. bei übergewichtigen und bewegungsarmen Kindern Ziel: Verhütung der Entwicklung von Risikofaktoren Primärprävention Behandlung der manifesten Risikofaktoren um den Gesundheitszustand zu verbessern und die Entstehung von Krankheiten (oder Unfällen) zu vermeiden, z. B. durch antihypertensive Behandlung, Nikotinentzug, Cholesterinsenkung, Gewichtsabnahme usw. Ziel: Verringerung der Zahl von Neuerkrankungen (Inzidenzen) Sekundärprävention Behandlung einer Erkrankung möglichst in einem frühen Stadium, z. B. bei bekannter Arteriosklerose, KHK um ein Fortschreiten zu verhindern, bzw. eine Regression herbeizuführen Ziel: Chronifizierung, Unheilbarkeit oder Behinderung verhindern, Senkung der Prävalenz durch Früherkennung Tertiärprävention Verhinderung einer Verschlechterung oder eines erneuten Ereignisses z. B. Herzinfarkt oder Schlaganfall bzw. Folgeschäden Ziel: Verringerung oder Beseitigung von Folgeschäden

Bisher fehlt das medizinische Verständnis, und leider fehlt auch die entsprechende Expertise: Man schaue sich nur die Zusammensetzung der Expertenrunden an, die über unser Gesundheitssystem zu Rate sitzen. Die Finanzierung ist das bestimmende Thema. Die medizinischen Perspektiven und daraus folgende Konsequenzen für eine moderne Umgestaltung bzw. Anpassung unseres Gesundheitssystems stehen nicht auf der Tagesordnung. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Die Finanzierung ist nämlich ganz wesentlich abhängig von der Medizin, die wir in Zukunft haben wollen. Die Ressourcen müssen nach vernünftigen medizinischen Maßstäben verteilt werden.

Es muss eine gesellschaftliche Diskussion über die Prioritäten geführt werden. Dafür muss der Stellenwert der Prävention zunächst von der Politik tatsächlich ernst genommen werden. Die öffentliche Diskussion muss auch um die Mitverantwortung des Einzelnen für seine Gesunderhaltung und die ernsthafte Mitarbeit des Kranken an seinem Gesundungsprozess geführt werden [4]. Präventive Maßnahmen sind geeignet, die hohe Krankheitslast zu reduzieren [18] [19] [20].

Literatur

  • 1 Andersen L B, Harro M, Sardinha L B. et al . Physical activity and clustered cardiovascular risk in children: a cross-sectional study (The European Youth Heart Study).  Lancet. 2006;  368 299-304
  • 2 Eliassen A H, Colditz G A, Rosner B, Willet W C, Hankinson S E. Adult Weight Change and Risk of Postmenopausal Breast Cancer.  JAMA. 2006;  296 193-201
  • 3 Erbel R, Siffert W, Möhlenkamp S, Schmermund A. Prävention der KHK durch Risikostratifizierung.  Dtsch Med Wochenschr. 2003;  128 330-336
  • 4 Erdmann E. Gesundes Leben und Kostenexplosion im Gesundheitswesen.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 331
  • 5 Estruch R. et al . Effects of a Mediterranean-style diet on cardiovascular risk factors.  Ann Intern Med. 2006;  145 1-11
  • 6 Geleijnse I M, Grobbee D E, Hofman A. Sodium and potassium intake and blood pressure change in childhood.  BMJ. 1990;  300 8990-9002
  • 7 Gohlke H. Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 38-43
  • 8 Gohlke H. Raucherfolgen weiterhin unterschätzt - Wo bleibt der Nichtraucherschutz?.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 1685-1686
  • 9 Kapellen T M, Galler A, Böttner A, Kiess W. Epidemiologie, Behandlungsstrategie und Prävention von Typ 2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 1519-1523
  • 10 Kurth T, Moore S C, Gaziano J M. et al . Healthy Lifestyle and the Risk of Stroke in Women.  Arch Intern Med. 2006;  166 1403-1409
  • 11 Liebrich S. Fast food: Die Rückkehr der Kalorienbombe. SZ
  • 12 Löw M, Stegmaier C, Ziegler H, Rothebacher D, Brenner H. Epidemiologische Studie zu Chancen der Verhütung, Früherkennung und optimierten Therapie chronischer Erkrankungen in der älteren Bevölkerung (ESTHER-Studie).  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 2643-2647
  • 13 Lopez A D, Mathers C D, Ezzati M, Jamison D T, Murray C JL. Global and regional burden of disease and risk factors, 2001: systematic analysis of population health data.  Lancet. 2006;  367 1747-1757
  • 14 Manini T M, Everheart J E, Patel K V. et al . Daily Activity Energy Expenditure and Mortality Among Older Adults.  JAMA. 2006;  296 171-179
  • 15 Murray C J, Lopez A D. Alternative projections of mortality and disability by cause 1990 - 2020: Global Burden of Disease Study.  Lancet. 1997;  349 1498-1504
  • 16 Pudel V. Manches Essen ist wie Körperverletzung. SZ 07.06.2006
  • 17 Sandholzer H, Hellenbrand W, Renteln-Kruse W, van Weel C, Walker P. STEP Europäische Leitlinien für das standardisierte evidenzbasierte präventive Assessment älterer Menschen in der medizinischen Primärversorgung.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 (Suppl 4) S177-S228
  • 18 Schöffski O. Zitiert nach Bayerischem Ärzteblatt. 2006;  9 425
  • 19 Strumberg D, Boeing H, Scheulen M E, Förster H, Seeber S. Ernährung, Lifestyle und Krebs: Wege zur Primärprävention.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 1877-1882
  • 20 Vartiainen E, Puska P, Pekkanen J. et al . Changes in risk factors explain changes in mortality from ischemic heart disease in Finland.  Br Med J. 1994;  309 23-27
  • 21 Wolf-Maier K, Cooper R, Banegas J R. et al . Hypertension Prevalence and Blood Pressure Levels in 6 European Countries, Canada, and the United States.  JAMA. 2003;  289 2363-2369

Prof. Dr. Martin Middeke

DMW Chefredaktion, Georg Thieme Verlag

Rüdigerstraße 14

70469 Stuttgart

    >