psychoneuro 2007; 33(11): 476-477
DOI: 10.1055/s-2007-1010977
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit Dr. Klaus Sallach, Gelsenkirchen - Frühzeitiger Einsatz des Depotpräparates erhöht die Compliance

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Publication Date:
20 December 2007 (online)

 
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    Die antipsychotische Depottherapie bei schizophrenen Störungen galt in der Psychiatrie lange als letzte Option für chronisch kranke und unzuverlässige Patienten mit geringer Krankheitseinsicht. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Die Pharmakotherapie mit einem Depotpräparat, insbesondere mit modernen, gut verträglichen atypischen Neuroleptika wie Risperidon, ist eine immer mehr angewendete Option der Behandlung. Schon nach Erstmanifestation bieten Sie dem schizophrenen Patienten und dem behandelnden Arzt zahlreiche Vorteile, meint der Psychiater Dr. Klaus Sallach, Gelsenkirchen.

    ? Die Schizophrenie gilt als rezidivierend verlaufende Erkrankung. Mehr als 80 % der Patienten erleiden nach erfolgreicher Akuttherapie ein Rezidiv. Was bedeutet das für den betroffenen Patienten und seinen weiteren Krankheitsverlauf?

    Dr. Klaus Sallach: Ein Rezidiv bedeutet immer einen Verlust sozialer Kontakte und damit auch einen Verlust an sozialer Integration. Der Patient wird aus seinem Umfeld herausgerissen, der Kontakt zu Nachbarn, Verwandten und Arbeitskollegen oder Bezugspersonen bricht ab. Je mehr Krankheitsepisoden der Patient erlebt, umso mehr verliert er den Halt in der Gesellschaft und wird zum Außenseiter. Damit geht auch der normale Lebensrhythmus verloren. Für den weiteren Krankheitsverlauf bedeutet ein Rezidiv langfristig immer auch eine Verschlechterung, denn der Patient wird in der Regel nicht sein Ausgangsniveau der Leistungsfähigkeiten wie vor dem Rezidiv erreichen. Im Bereich des zentralen Nervensystems lassen sich mit modernen Bildgebungsverfahren morphologische Veränderungen nachweisen, die zu einer neuronalen Funktionsänderung im Gehirn führen.

    ? Das Absetzen der antipsychotischen Therapie ist der größte Risikofaktor für ein Rezidiv. Die Compliance schizophrener Patienten ist eher schlecht und wird von den Ärzten oft zu hoch eingestuft. Würden Sie bei Patienten mit unzureichender Compliance ein antipsychotisches Depotpräparat in Erwägung ziehen?

    Sallach: Ja, und zwar aus verschiedenen Gründen: Wenn der Patient das orale, neuroleptisch wirkende Psychopharmakon absetzt, wird er nach kürzester Zeit entsprechend der jeweiligen Halbwertszeit keinen ausreichenden Medikamentenspiegel und damit auch keine ausreichende Wirkung haben. Ein Depotpräparat dagegen verliert seine Wirksamkeit langsamer und wirkt über einen längeren Zeitraum. Als Arzt habe ich dann die Möglichkeit den non-complianten Patienten über ein Recall-System zu erkennen und es bleibt mir die Zeit, entsprechend zu intervenieren. Wir nehmen dann mit dem Patienten, seinen Angehörigen oder auch mit den Betreuern der sozialen Unterstützungssysteme Kontakt auf, um den Betroffenen von der Notwendigkeit der Medikation zu überzeugen. Inwieweit er wieder in das Konzept der Behandlung eingebunden werden kann, hängt dann wesentlich von der Arzt-Patienten-Beziehung ab, aber auch von der Beziehung zwischen Patient und allen anderen Mitarbeitern in der psychiatrischen Praxis. Das ist der entscheidende Punkt: Das multiprofessionelle Netz muss eingerichtet sein und funktionieren und auch das Konzept einer behandelbaren psychischen Störung muss in den Vordergrund gestellt werden.

    ? Halten Sie eine Depottherapie bereits in der Frühphase der Erkrankung für sinnvoll?

    Sallach: Patienten mit einer schizophrenen Störung, die zum ersten Mal in die Praxis kommen, werden zunächst eine orale Medikation erhalten. Wenn abzusehen ist, dass es Schwierigkeiten mit der Compliance geben könnte, versuchen wir jedoch schon frühzeitig, den Patienten von den Vorteilen einer Depottherapie zu überzeugen. Früher galten Depot-Neuroleptika als Option für sogenannte "Chroniker" mit dem klassischen "Drehtür-Effekt" der psychiatrischen Behandlung. Sie bieten aber auch Patienten in früher Krankheitsphase eine Chance - wie wir aus aktuellen Befragungen wissen, wünschen die Betroffenen zu einem großen Teil von sich aus eine Pharmakotherapie mit einem Depotneuroleptikum. Wir betonen außerdem, dass man nicht mehrmals täglich eine Tablette einnehmen muss, sondern nur noch alle zwei Wochen eine Injektion erfolgt und zudem regelmäßig Kontakte zur Praxis bestehen. Wenn wir den Betroffenen kontinuierlich sehen, können wir frühzeitig im Falle einer beginnenden Krise oder Dekompensation intervenieren. Dieses geschieht auch im Rahmen eines psychoedukativen Programms mit Informationen über das Krankheitsbild mit seinen Symptomen und dem Verlauf vor dem Hintergrund eines biologischen Geschehens und der geltenden wissenschaftlichen Leitlinien. Einige Patienten sind auch durch den Wegfall der täglichen Einnahme von Medikamenten entlastet. Gerade bei der Erstmanifestation muss vor Beginn einer Langzeittherapie aber die Diagnose einer schizophrenen Störung gesichert sein. Wir wenden für die Diagnostik neben einem bildgebenden Verfahren wie MRT sowie neurophysiologischen Untersuchungen wie EEG oder P300 routinemäßig standardisierte Interviews sowie Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen an. Auch die Angehörigen werden mit einbezogen. Während der Therapie einer schizophrenen Störung sollte die Diagnose immer wieder hinterfragt werden und die Behandlung mit psychotherapeutischen, psychoedukativen und soziotherapeutischen und besonders psychopharmakologischen Verfahren immer wieder überprüft werden.

    ? Wie lange behandeln Sie nach einer Erstmanifestation?

    Sallach: Nach Erstmanifestation kann nach fünf Jahren unter Umständen und nach Beurteilung des Einzelfalls mit Betrachtung des individuellen Krankheitsverlaufs der Versuch einer Reduktion der Medikamentendosis in Erwägung gezogen werden - besonders wenn das soziale Umfeld stabil ist. Bei der Entscheidung sollte die jeweilige Krankheitsentwicklung berücksichtigt werden. Externe Faktoren, die bei der Erstmanifestation und der ersten Krankheitsepisode einen mitentscheidenden Einfluss hatten, sollten inzwischen keinen oder nur geringen Einfluss haben. Unter diesen Voraussetzungen kann eine allmähliche Dosisreduzierung bei einer entsprechen Begleitung versucht werden. In den überwiegenden Fällen ist allerdings eine kontinuierliche Medikation mit einem Neuroleptikum notwendig. Auch wenn erst nach einem Verlauf von mehr als fünf Jahren die Psychopharmakotherapie beendet wird, kommt es bei etwa 80 - 90 % der Betroffenen zu einem Rezidiv und einer erneuten Krankheitsepisode.

    ? Bei einer Langzeittherapie ist die Verträglichkeit ein wesentlicher Aspekt. Halten Sie den Einsatz klassischer Neuroleptika unter diesem Gesichtspunkt noch für vertretbar?

    Sallach: Tatsache ist, dass die modernen neuroleptisch und antipsychotisch wirksamen Substanzen wesentlich weniger unerwünschte Begleiterscheinungen haben. Gerade extrapyramidalmotorische Störungen wie Früh- und Spätdyskinesien haben unter typischen Neuroleptika immer wieder zu körperlichen Beeinträchtigungen geführt. Die "alten" und typisch wirksamen Medikamente werden zudem wegen der Nebenwirkungen durch die Betroffenen eher abgesetzt - mit einem erhöhten Risiko für eine Dekompensation und Auftreten einer längeren Krankheitsepisode sowie damit verbunden wiederholten Hospitalisierungen. Patienten, die erstmals erkranken oder die erst einen kürzeren Krankheitsverlauf haben, behandeln wir deshalb mit modernen "neuen" atypischen Neuroleptika wie etwa Risperidon. Zunächst wird eine orale Darreichungsform gegeben und nach Stabilisierung die weitere Behandlung mit dem Depotpräparat bereits zu einem frühen Zeitpunkt vorgeschlagen. Ältere Patienten mit einer schizophrenen Störung, die bereits auf einen langen Krankheitsverlauf zurückblicken, stehen einer Medikamentenumstellung dagegen oft kritisch gegenüber - weil sie darin ein Risiko sehen oder in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Umstellungen auf andere Präparate gemacht haben. Zeigen sich bei einer Behandlung mit einem typischen Neuroleptikum keine Komplikationen, führen wir diese Medikation daher auch weiter fort. Um insgesamt eine bessere Verträglichkeit der antipsychotischen Behandlung zu erreichen, versuchen wir eine möglichst optimale Dosisanpassung in einer kontinuierlichen Therapie zu erreichen und verordnen innerhalb eines Dosisbereichs, der die Symptomfreiheit des Patienten gewährleistet. Das geht auch im Rahmen einer pharmakologischen Behandlung mit einem Depotneuroleptikum, indem geringere Dosen angewendet oder zeitlich längere Injektionsintervalle gewählt werden.

    ? Als einen Vorteil der Depottherapie nannten Sie das frühe Erkennen der Non-Compliance. Sehen Sie noch weitere Vorteile im Vergleich mit oralen Atypika?

    Sallach: Depotneuroleptika haben grundsätzlich den Vorteil eines weniger schwankenden Wirkstoffspiegels. Bei täglicher oraler Einnahme kommt es immer wieder zu Wirkstoffspitzen im Blut, die zu Nebenwirkungen wie extrapyramidalmotorischen und vegetativen Störungen führen können. Bei einer unregelmäßigen Einnahme von Tabletten kann der Wirkstoffspiegel in den nicht-therapeutischen Bereich absinken und mit einem Auftreten oder Persistieren psychischer Positivsymptome einhergehen.

    ? Nach welchen Kriterien bieten Sie Ihren schizophrenen Patienten eine Depotmedikation an?

    Sallach: Wir bieten die Depotmedikation schon früh im Krankheitsverlauf an. In der begleitenden psychotherapeutischen und psychoedukativen Behandlung, in die auch die Angehörigen und Bezugspersonen mit einbezogen werden, besprechen wir auch gezielt die Möglichkeit der Pharmakotherapie mit einem Depotneuroleptikum. Dabei machen wir deutlich, dass es für die meisten Patienten vorteilhaft ist, ein modernes atypisches Neuroleptikum als Depotpräparat zu erhalten.

    Entscheidend für den Erfolg, auch bei Patienten in früher Krankheitsphase und im Falle einer Erstmanifestation der Erkrankung, ist hierbei, dass dem Betroffenen durch den behandelnden Arzt initiativ und aktiv die Option einer neuroleptischen Behandlung mit einem Depotpräparat dargelegt wird.

    ! Herr Dr. Sallach, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

     
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