Frauenheilkunde up2date 2007; 1(3): 194-198
DOI: 10.1055/s-2007-960712
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Bein- und Beckenvenenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie

S. M. Jud1 , M. W. Beckmann1
  • 1Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
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Publication Date:
03 July 2007 (online)

Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT)

Definition und klinische Problematik

Bei der akuten tiefen Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT) handelt es sich um eine partielle oder vollständige Verlegung der Leit- und Muskelvenen durch Blutgerinnsel, die zum appositionellen Wachstum und zur Embolisation in die Lunge neigen.

Das Übersehen einer vorhandenen venösen Thrombose oder Thromboembolie (VTE) umfasst folgende Risiken:

  • Mortalität,

  • kurzfristige Morbidität,

  • Progredienz der TVT,

  • neue Lungenembolien und

  • langfristige Schädigung im Sinne eines postthrombotischen Syndroms in der Hälfte der Fälle.

Jeder klinische Verdacht auf eine Venenthrombose muss umgehend soweit abgeklärt werden, dass eine therapeutische Entscheidung erfolgen kann. Anamnese und körperliche Untersuchung allein sind hierzu nicht ausreichend!

Diagnostik

Der diagnostische Prozess sollte mit einer Einschätzung der dokumentierten klinischen Wahrscheinlichkeit (KW) beginnen. Klinische Zeichen der TVT sind ausgesprochen unspezifisch:

  • Ödem,

  • Schmerz,

  • Spannungsgefühl,

  • Zyanose,

  • verstärkte Venenzeichnung.

D-Dimere (Endprodukte bei der Proteolyse von Fibrin, das durch Faktor XIII quervernetzt ist) können dazu beitragen, eine Venenthrombose auszuschließen. Klinische Wahrscheinlichkeit, klinische Zeichen und D-Dimer-Test sind von vornherein zu kombinieren ([Abb. 1]).

Abb. 1 Vorgehen bei V. a. Venenthrombose.

Bildgebende Verfahren. Die Kompressionssonografie ist geeignet, eine Venenthrombose festzustellen bzw. auszuschließen. In Abhängigkeit vom Untersuchungsprotokoll und der Vollständigkeit der Untersuchung sind zusätzliche Methoden notwendig. Die Hinzunahme der sonografischen Flussinformation ist für die Beckenvenendiagnostik hilfreich. Die Phlebografie ist geeignet, eine Venenthrombose sicher nachzuweisen bzw. auszuschließen. Ihre Anwendung ist vor allem bei unklaren Fällen indiziert.

In der Diagnostik der Venenthrombose weisen MR- und CT-Phlebografie vergleichbare Ergebnisse zur Sonografie und Phlebografie in der popliteo-femoralen Etage und bieten Vorteile in der Beckenvenenstrombahn und der Vena cava auf. Für die CT-Phlebografie besteht ein zusätzlicher Nutzen in der gleichzeitigen Abklärung möglicher Emboliequellen bei Lungenembolie sowie in der Darstellung anatomischer Ursachen bei Bein- und Beckenvenenthrombose.

Zur Umfelddiagnostik gehören die Thrombophilie-Diagnostik und die Tumorsuche. Die Abklärung bezüglich Thrombophilie hat keine Bedeutung für die Diagnostik und initiale Therapie der akuten Venenthrombose. Sie kann aber für die Entscheidung über die Dauer der Sekundärprophylaxe und für weitere Beratungsfragen Bedeutung haben. Bei idiopathischer Venenthrombose wird die Abklärung auf ein möglicherweise zugrunde liegendes Malignom empfohlen.

Therapie der Venenthrombose

Ziel der Therapie der Venenthrombose ist, eine Lungenembolie und die damit verbundene Mortalität und Morbidität sowie das postthrombotische Syndrom zu verhindern. Die therapeutische Antikoagulation muss sofort begonnen werden, um die bestmögliche Reduktion des Lungenembolierisikos zu erreichen. Die initiale Antikoagulation erfolgt üblicherweise mit niedermolekularem (NM) Heparin. Die Dosierungsvorschriften und landesspezifischen Zulassungen der einzelnen Präparate sind zu beachten ([Tab. 1]). Unfraktioniertes (UF) Heparin hat eine Indikation bei hochgradiger Niereninsuffizienz und im Rahmen gefäßrekanalisierender Maßnahmen. Die therapeutische Behandlung mit UF-Heparin bedarf immer der laborchemischen Kontrolle, in der Regel mit der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (APTT). Das gilt für NM-Heparin nur ausnahmsweise, z. B. im Verlauf der Schwangerschaft. Thrombusbeseitigende Maßnahmen (Lyse, OP etc.) sind nur bei jungen Patientinnen bei erster, ausgedehnter Thrombose mit kurzer Anamnese indiziert.

Tab. 1 Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose mit Antikoagulanzien. In Deutschland, Österreich und / oder der Schweiz zur Behandlung der TVT registrierte niedermolekulare Heparine (nicht alle Präparate sind in allen Ländern zugelassen) Wirkstoff Präparat Dosierung / Intervall NM-Heparine Certoparin Mono-Embolex THERAPIE® 8 000 I. E. s. c. 2 × tgl. Dalteparin Fragmin® 100 I. E. / kgKG s. c. 2 × tgl. Fragmin® 200 I. E. / kgKG s. c. 1 × tgl. Enoxaparin Clexane® 1,0 mg / kgKG s. c. 2 × tgl. Clexane® 1,5 mg / kgKG s. c. 1 × tgl. Nadroparin Fraxiparin® 0,1 ml / 10 kgKG s. c. 2 × tgl. Fraxodi® 0,1 ml / 10 kgKG s. c. 1 × tgl. Fraxiforte® 0,1 ml / 10 kgKG s. c. 1 × tgl. Tinzaparin innohep® 175 I. E. / kgKG s. c. 1 × tgl. Pentasaccharid Fondaparinux Arixtra® 7,5 mg s. c. 1 × tgl. Thrombininhibitor Ximelagatran Exanta® 36 mg p. o. 2 × tgl.langfristige Sekundärprophylaxe: 24 mg p. o. 2 × tgl.

Die bis vor kurzem noch gültige strenge Immobilisierung bei optimaler Antikoagulation ist - wenn keine begleitenden Krankheiten dies verlangen - verlassen worden.

Sekundärprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten Die Dauer der Sekundärprophylaxe ist abhängig von den begleitenden Faktoren (Tab. 2). Es wird ein Zielbereich der INR von 2,0-3,0 angestrebt. Tab. 2 Dauer der Sekundärprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten Behandlungssituation Dauer erste Thromboembolie bei transientem Risikofaktor (TVT proximal und distal, LE) 3 Monate erste Thromboembolie bei idiopathischer Genese oder Thrombophilie 6-12 Monate erste Thromboembolie bei kombinierter Thrombophilie oder Antiphospholipid-AK-Syndrom 12 Monate rezidivierende Thromboembolie oder aktive Krebserkrankung zeitlich unbegrenzt Kompressionstherapie Die Kompressionstherapie dient der Behandlung der Symptome einer TVT. Sie sollte so früh wie möglich begonnen werden, kombiniert mit kontrolliertem Gehen. Die Kompressionsbehandlung reduziert die Inzidenz des postthrombotischen Syndroms um etwa die Hälfte. Die Beibehaltung der Mobilisation bei akuter TVT ist wichtig und effektiv.

Venenthrombose in Schwangerschaft und Wochenbett

Die thromboembolische Krankheit zählt zu den führenden Todesursachen in Schwangerschaft und Wochenbett; jeder Verdacht muss deshalb sofort und definitiv interdisziplinär abgeklärt werden.

Diagnostik. Die Diagnostik birgt Probleme für Mutter und Kind. Die klinischen Thrombosezeichen sind unspezifisch und unzuverlässig. Ein Diagnosealgorithmus ist in der Schwangerschaft nicht getestet. Eine individuelle Vorgehensweise ist erforderlich.

Der D-Dimer-Test ist wegen des physiologischen Anstiegs im Verlauf der Schwangerschaft nur eingeschränkt verwertbar. Als Untersuchungsmethode der Wahl gilt deshalb die Sonografie der Bein- und Beckenvenen. Die MR-Phlebografie stellt in der Schwangerschaft eine viel versprechende Alternative dar; die Phlebografie wird hingegen wegen der Strahlenbelastung des Fötus nur ausnahmsweise eingesetzt.

Therapie. Bei einer TVT in der Schwangerschaft kommen Heparine für die initiale Antikoagulation in therapeutischer Dosis zum Einsatz. NM-Heparine sind für diese Indikation nicht explizit zugelassen, ausdrückliche Warnhinweise bestehen aber nicht mehr. Aufgrund der fehlenden Plazentagängigkeit sowie der mehr als 10-jährigen Behandlungserfahrung können sie als sicher für Mutter und Kind eingestuft werden. Es ist unklar, ob, wann und um wie viel die therapeutische Dosis nach der Akutbehandlung im Verlauf der Schwangerschaft reduziert werden kann. Wegen des hohen Thromboembolierisikos in der peri- und postpartalen Phase erscheint die Fortführung der Antikoagulation für mindestens 6 Wochen nach der Geburt angezeigt; die optimale Dosis und Dauer einer Heparintherapie sind allerdings noch nicht etabliert. In dieser Situation ist die Indikation zur medikamentösen Thromboseprophylaxe mit NM-Heparin großzügig zu stellen.

Tumorpatientinnen

Die Behandlung der TVT bei Karzinompatientinnen erfolgt nach oben genanntem Schema. Das erhöhte Blutungsrisiko (gastrointestinale Tumore, insuffiziente Syntheseleistung bei Metastasenleber) dieser Patientengruppe macht eine Dosisanpassung allerdings in einigen Fällen erforderlich. Mögliche Interaktionen der antitumoralen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten sind zu berücksichtigen.

S. M. Jud

Frauenklinik Universitätsklinikum Erlangen

Universitätsstraße 21-23

91054 Erlangen

Email: sebastian.jud@gyn.imed.unierlangen.de

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