Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2007; 42(5): 370-381
DOI: 10.1055/s-2007-981693
Fachwissen: Topthema: Anästhesie bei Lungenerkrankungen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anästhesie bei restriktiven und obstruktiven Atemwegserkrankungen

Anesthesia and restrictive and obstructive pulmonary diseasesDorothee H. Bremerich, Thomas Hachenberg
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Publication Date:
21 May 2007 (online)

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Zusammenfassung

Restriktive und obstruktive Ventilationsstörungen prädisponieren zu perioperativen Komplikationen, die einen wesentlichen Faktor der Morbidität und Mortalität darstellen. Die Inzidenz pulmonaler Komplikationen wird in Abhängigkeit von der Grunderkrankung und Operation zwischen 3 % und 40 % angegeben. Restriktive Atemwegserkrankungen sind charakterisiert durch eine verminderte Ausdehnungsfähigkeit des Lungen-Thorax-Zwerchfellsystems und Abnahme der Lungenvolumina. Zu den obstruktiven Ventilationsstörungen zählen das Asthma bronchiale, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und das obstruktive Lungenemphysem. Charakteristisch ist eine gesteigerte Reaktion des Bronchialsystems auf physikalische, chemische oder pharmakologische Reize. Die Kenntnis der pathophysiologischen Besonderheiten, präoperative Evaluation, Vorbereitung und Auswahl des geeigneten Anästhesieverfahrens sind bei restriktiven und obstruktiven Atemwegserkrankungen von besonderer Bedeutung.

Summary

Restrictive and obstructive pulmonary diseases are major risk factors of perioperative morbidity and mortality. The incidence of pulmonary complications may be in the range of 3 and 40 % (3), depending on the underlying disease and the type of surgery. In this review the specific pathophysiology, preoperative evaluation and suitable anesthesia procedures are discussed for patients with restrictive and obstructive pulmonary diseases.

Kernaussagen

  • Restriktive und obstruktive Ventilationsstörungen sind ein wesentlicher Faktor der perioperativen Morbidität und Mortalität: Die Inzidenz perioperativer respiratorischer Komplikationen liegt je nach Grunderkrankung zwischen 3 und 40 %.

  • Zur präoperativen Einschätzung der Ventilationsstörung sind Röntgenaufnahme des Thorax, Lungenfunktionstest und arterielle Blutgasanalyse sinnvoll. Die paO2- und paCO2-Werte geben Hinweise auf das Ausmaß der Insuffizienz und dienen der Prognose von postoperativen Werten.

  • Spirometrie, Bronchospasmolysetest, Peakflowmessungen sind für die Diagnose überaus wichtig. Relevante Parameter sind Vitalkapazität, forcierte Vitalkapazität, forcierte Einsekundenkapazität, prozentualer Anteil der forcierten Einsekundenkapazität an der Vitalkapazität und Peak Expiratory Flow Rate.

  • Bei Asthma-Patienten ist eine Einstellung mit bronchodilatierenden und antiinflammatorischen Präparaten wie β2-Sympathomimetika und Kortikosteroiden auch noch wenige Tage vor einer geplanten Operation sinnvoll.

  • Atropin gehörte lange Zeit zu den klassischen Medikamenten in der Behandlung des Bronchospasmus. Heute werden zur Prävention eines perioperativen Bronchospasmus während der Narkose β2-Sympathomimetika und Kortikosteroide bevorzugt. Auf die routinemäßige Gabe von Atropin bei Patienten mit bronchialer Hyperreagibilität kann verzichtet werden.

  • Inhalationsanästhetika werden als Medikamente der ersten Wahl bezeichnet, wenn es um Narkosen bei Patienten mit bronchialer Hyperreagibilität geht. Halothan und Sevofluran werden die größten bronchodilatierenden Effekte zugeschrieben. Desfluran sollte bei hyperreagiblen Atemwegen nicht angewendet werden.

  • Propofol hat sich als das geeignete Medikament zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose bei Patienten mit bronchialer Hyperreagibilität erwiesen. Bei bronchialer Hyperreagibilität ist es das Mittel der Wahl: Es zeigt im Tierversuch atemwegsrelaxierende Effekte, die selbst denen von Ketamin überlegen sind.

  • Morphin setzt in hohen Dosierungen Histamin frei und ist beim Asthmatiker kontraindiziert. Opioide (Fentanyl, Sufentanil, Remifentanil, Alfentanil) können hingegen bei bronchialer Hyperreagibilität eingesetzt werden.

  • Bei Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungen ist regionalen Anästhesieverfahren - auch in Kombination mit einer Allgemeinanästhesie - der Vorzug zu geben. Die Patienten können schneller extubiert werden und erfahren eine bessere Analgesie, insbesondere während der Mobilisierung und Atemgymnastik.

  • Vor allem mechanische Irritationen der Atemwege (Intubation, Extubation) sowie eine zu geringe Narkosetiefe führen zum Bronchospasmus. Während der Einleitung empfiehlt sich bei gefährdeten Patienten zur Prophylaxe eine 5- bis 10-minütige Maskenbeatmung mit dem Inhalationsanästhetikum. Auch kann die Einlage einer Larynxmaske vorteilhafter als die endotracheale Intubation sein.

  • Häufigste perioperative respiratorische Komplikation bei Kindern ist der Laryngospasmus. Prädisponierende Faktoren sind akute Atemwegsinfektionen, das Alter des Kindes, operative Eingriffe an den Luftwegen und ein in der Kinderanästhesie unerfahrener Anästhesist. Weiterer Risikofaktor ist die häusliche Nikotinexposition.

  • Während der Schwangerschaft sind die konsequente Fortführung der antiasthmatischen Therapie und die Objektivierung der individuellen Lungenfunktion durch regelmäßige Peak-flow-Messungen entscheidend. Schwangere Asthmatikerinnen sind vor allem durch hormonelle Veränderungen des Arachidonsäurestoffwechsels gefährdet.

  • Substanzen mit einem Molekulargewicht von mehr als 600Da passieren die Plazentaschranke und gelangen in den fetalen Kreislauf: Bei mütterlichen Plasmakonzentrationen >15mg/ml ist mit einer fetalen Theophyllin-Intoxikation zu rechnen.

Literatur

Prof. Dr. Dorothee Bremerich

Email: d.bremerich@st-vicenz.de

Prof. Dr. Dr. Thomas Hachenberg

Email: thomas.hachenberg@medizin.uni-magdeburg.de