psychoneuro 2007; 33(7/08): 274
DOI: 10.1055/s-2007-986472
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Multicenteranalyse - Komplikationen bei tiefer Hirnstimulation

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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Jürgen Voges

Klinik für Neurologie II und Stereotaktische Neurochirurgie

Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

Leibnitz Institut für Neurobiologie

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

Email: juergen.voges@med.ovgu.de

Publication History

Publication Date:
27 August 2007 (online)

 
Table of Contents

In einer aktuellen in der Zeitschrift "Movement Disorder" publizierten Arbeit (Voges et al. Mov Disorder 2007; 22:1486-1489) wurden die Daten zu Komplikationen, die während der ersten 30 Tage nach Implantation eines Systems zur tiefen Hirnstimulation aufgetreten waren, aus fünf deutschen Zentren (Kliniken für Neurochirurgie bzw. Neurologie an den Universitäten Berlin, Heidelberg, Kiel, Köln-Düsseldorf and München) kumulativ ausgewertet. Dies ist bisher mit 1183 Patienten die weltweit größte Serie und zeigt deutlich niedrigere Blutungsraten als bisher in der Literatur beschrieben.

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Ergebnisse

Von 1994 bis März 2005 wurden in den ausgewerteten Zentren insgesamt 1183 Patienten mit einem System zur THS operativ versorgt. Die Mortalitätsrate während der ersten 30 Tage nach Operation betrug 0,4 % (5/1183 Patienten). Ursachen für das Ableben dieser Patienten waren: intrakranielle Blutung (2 Patienten), Pneumonie (1 Patient), akutes Leberversagen/Leberinsuffizienz (1 Patient mit einer bis dato nicht bekannten Hepatopathie) und zentrale respiratorische Insuffizienz (1 Patient mit multipler Sklerose und autoptisch bestätigtem Krankheitsprogress nach Operation).

Die Häufigkeit intrakranieller Blutungen wurde für alle erfassten 1183 Patienten als "symptomatische Blutung" angegeben sowie zusätzlich für vier der fünf Zentren als "asymptomatische Blutung". In diesen vier Zentren wurde regelhaft postoperativ entweder eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomtografie (CT) durchgeführt. Als "Blutung" wurde jedes Bildsignal registriert, das eine auch minimale intrakranielle Blutansammlung anzeigte. Asymptomatische Blutungen wurden bei 11 von 697 Patienten (1,6 %) festgestellt. Bezogen auf die insgesamt ausgewertete Patientenkohorte (sämtliche 5 Zentren) führte eine intrakranielle Blutung bei 15 von 1183 Patienten zu neurologischen Störungen (symptomatische Blutung: 1,3 %). Die neurologischen Störungen waren in sechs Fällen transient (0,5 %) und persistierten in neun Fällen (0,8 %).

Die Blutungsereignisse verteilten sich auf die einzelnen Diagnosen wie folgt: Morbus Parkinson: 19/789 (2,4 %), Dystonie: 3/169 (1,8 %), essenzieller Tremor: 1/84 (1,2 %), Multiple Sklerose: 1/64 (1,6 %), Schmerz: 0/49, "andere Diagnosen": 2/15 (13,8 %).

Risikofaktoren für das Auftreten einer intrakraniellen Blutung waren: Lebensalter ≥ 60 Jahre, arterielle Hypertonie und eine präoperativ nicht bekannte Koagulopathie.

Zusätzlich wurden während der ersten 30 Tage nach Operation die folgenden Komplikationen registriert: Abduzensparese (0,2 %), transiente Extremitätenparese (0,1%), Wundheilungstörung mit nachfolgender Entfernung von implantierten Systemkomponenten (0,4 %), Liquorfistel (0.3%), Meningitis, venöser Infarkt, sowie ein einmaliges zerebrales Anfallsereignis bei 5 von 1183 Patienten (0,4 %).

Sieben von 1 183 Patienten erkrankten unmittelbar postoperativ an einer Pneumonie (0,6 %). Sämtliche Pneumoniepatienten waren aufgrund eines Morbus Parkinson operativ behandelt worden. Weiterhin fanden sich im Vergleich zur gesamt ausgewerteten Patientenkohorte bei den Pneumoniefällen deutlich mehr Patienten mit kardiovaskuläre Risikofaktoren.

Der hier referierten Arbeit zufolge können sich bei Patienten mit der Diagnose Morbus Parkinson relevante Komplikationen (Knochenfraktur, Skalpverletzung, moderates Schädel-Hirn-Trauma) auch aus Stürzen während der unmittelbar postoperativen Periode ergeben (6/789 Patienten, 0,8 %).

Die Häufigkeit direkt chirurgisch bedingter Komplikationen (intrakranielle Blutung, neurologisches Defizit durch direkte Gewebeverletzung, venöser Infarkt) korrelierte nicht mit der operativen Erfahrung der einzelnen Zentren (Gesamtzeitraum des THS-Programms, Zahl der durchgeführten Operationen pro Jahr, Zahl der Operateure, etc.). Weiterhin unterschieden sich die fünf untersuchten Zentren nicht bezüglich ihrer Gesamtkomplikationsrate.

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Diskussion

Zusammengefasst betrug die Häufigkeit asymptomatischer intrakranieller Blutungen 1,6 %. Diese Angaben liegen am unteren Ende eines Bereichs, der die bisher zu diesem Thema publizierten Literaturangaben aus Kohorten mit mindestens 50 ausgewerteten Patienten einzelner Zentren berücksichtigt (1,2 %-5,0 %, Durchschnitt: 3,0 %). Ein neuer Aspekt der hier referierten Arbeit war, dass Lebensalter ≥ 60, arterieller Hypertonus und Koagulopathie eindeutige Risikofaktorten für eine operationsbedingte intrakranielle Blutung darstellen.

Die 30-Tages Mortalität betrug 0,4 %. In zwei von fünf Fällen war dieses Ereignis unmittelbare Operationsfolge (2 Patienten mit intrazerebralen Blutung). In allen anderen Fällen konnte lediglich mittelbar ein Zusammenhang zu dem durchgeführten operativen Eingriff hergestellt werden. Die Auswertung der zentrumsspezifischen Aspekte zeigte keine Unterschiede zwischen den einzelnen Kliniken auf.

Zusammengefasst zeigt die hier referierte Arbeit, dass stereotaktisch-neurochirurgische Eingriffe, die in Zusammenhang mit THS in speziell dafür ausgestatteten Zentren durchgeführt werden, ein Risiko für bleibende Störungen in der Größenordnung von 1 % beinhalten. Morbidität ist im Wesentlichen die Folge einer intrakraniellen Blutung und zeigt die Notwendigkeit des Einsatzes extrem hochwertiger und hochauflösender Bildgebungsverfahren bei der Behandlungsplanung an. Durch die zunehmenden Verfügbarkeit von MRT-Geräten höherer Feldstärken (3T bzw. 7T) und die damit verbundene höhere Auflösung der MRT-Bilder lässt sich möglicherweise zukünftig die Blutungsrate weiter minimieren.

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Key words

tiefe Hirnstimulation - Nebenwirkungen - Komplikationen

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Klinik für Neurologie II und Stereotaktische Neurochirurgie

Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

Leibnitz Institut für Neurobiologie

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

Email: juergen.voges@med.ovgu.de

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Leibnitz Institut für Neurobiologie

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

Email: juergen.voges@med.ovgu.de