psychoneuro 2007; 33(9): 329
DOI: 10.1055/s-2007-991569
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Europäische Tagung zur Suchtforschung - Behandlungsstrategien bei Abhängigkeitserkrankungen

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Publikationsdatum:
08. Oktober 2007 (online)

 
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200 Millionen Menschen weltweit konsumieren illegale Suchtmittel. Allein in Europa sind 23 Millionen Menschen alkoholabhängig, knapp 200 000 Menschen sterben in Europa jährlich an den Folgen des Alkoholkonsums. In diesem Jahrhundert werden weltweit eine Milliarde Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, rechnen Experten vor.

Die Behandlung der Abhängigkeit von Substanzen wie Alkohol, Nikotin oder Opiaten bis hin zu nicht-substanzgebundenen Süchten wie Kauf-, Internet- oder Spielsucht diskutierten internationale Experten auf der Konferenz der Europäischen Vereinigung für Suchttherapie (EAAT) in Wien.

Wie EAAT-Tagungspräsidentin Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und -therapie der Medizinuniversität Wien erklärte: "Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass in Europa heute bereits ein Zehntel aller für das Gesundheitswesen aufgewendeten Kosten in die Behandlung unterschiedlicher Abhängigkeiten fließen." Viele Betroffene würden aber nach wie vor nicht in den Genuss einer adäquaten Therapie kommen, weil Abhängigkeiten mit einem deutlichen Stigma behaftet seien. Zu Unrecht, sagte Fischer: "Sucht ist weder eine Schwäche noch ein Charakterfehler, sondern eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung, die genauso der Behandlung mit allen zur Verfügung stehenden Methoden bedarf wie jede andere Krankheit auch. Es ist daher entscheidend, Suchtbehandlungen in das allgemeine Gesundheitssystem zu integrieren und neben einem verbesserten Behandlungszugang endlich eine Entstigmatisierung zu erreichen."

Durch neue bildgebende Verfahren lässt sich inzwischen zeigen, dass die Neurotransmitteraktivitäten im Zentralnervensystem bei jeder Art von Suchtverhalten ähnlich ablaufen, unabhängig davon, ob Alkohol oder Opiate, "binge-eating" oder pathologisches Spielen im Mittelpunkt der Abhängigkeit stehen. Wenn wir diese neuronalen Mechanismen weiter aufklären könnten, müssten sich daraus auch gemeinsame Behandlungsansätze erarbeiten lassen."

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Missbrauchssichere Therapien für Opiatabhängige

Ein Problem von Medikamenten zur Therapie von Opiatabhängigkeit besteht darin, dass sie für den suchtspezifischen "Kick" zweckentfremdet werden können, wenn sie nicht, wie vorgeschrieben, oral eingenommen, sondern intravenös gespritzt werden.

Mit einer neuen Substanzkombination soll jetzt bei hoher Wirksamkeit der Therapie mehr Missbrauchssicherheit erreicht werden, berichtete Prof. Alison Ritter vom Nationalen Drogen- und Alkohol-Forschungszentrum an der Universität New South Wales (Australien). "In einer Tablette wird das Opioid Buprenorphin mit einem seiner Gegenspieler, dem Opioid-Antagonisten Naloxon, kombiniert". Das Medikament entfaltet nur dann die erwünschten Wirkungen, wenn man es wie vorgesehen unter der Zunge zergehen lässt, weil dann lediglich Buprenorphin aktiv wird. Wird die Tablette hingegen gespritzt oder gesnieft, werden die entscheidenden Opioid-Rezeptoren an den Nervenzellen vom biochemisch schneller wirkenden Naloxon besetzt und bewirken statt Suchtbefriedigung Entzugserscheinungen.

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Kokain-Impfung in Sicht?

Auch in anderen Bereichen der Suchttherapie gibt es neue pharmakologische Entwicklungen. "Wir arbeiten unter anderem an der Entwicklung von neuen Therapieansätzen bei Heroinabhängigkeit, die nicht auf Opiaten basieren", berichtete Dr. Frank J. Vocci, Direktor der Abteilung für Pharmakotherapie und Medizinische Konsequenzen von Drogenmissbrauch (Division of Pharmacotherapies and Medical Consequences of Drug Abuse, DPMCDA) des National Institute on Drug Abuse (NIDA), USA. "Ein besonders viel versprechender Ansatz ist eine Substanz, die am so genannten Corticotropin Releasing Factor, kurz CRF, ansetzt." Das Hormon CRF ist als Mediator an einer Vielzahl von emotionalen Reaktionen beteiligt. Dr. Vocci: "Bisherige Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass ein CRF-Antagonist den Opiatentzug abmildern, Abneigungsreaktionen blockieren und stressbedingte Rückfälle bei Opiatabhängigkeit verhindern könnte."

Hohe Priorität hat für NIDA auch die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Kokainabhängigkeit, die bisher nur verhaltenstherapeutisch behandelt werden kann. NIDA hat mehr als 60 bereits am Markt befindliche Medikamente aus verschiedenen Therapiebereichen auf ihre Wirksamkeit gegen Kokain-Abhängigkeit getestet - einige durchaus mit Erfolg, sagt Dr. Vocci: "Disulfiram, ein derzeit in der Behandlung von Alkoholabhängigen verwendetes Medikament, hat in doppelblinden, plazebokontrollierten klinischen Studien seine Wirksamkeit gezeigt." Andere Substanzen - etwa Medikamente aus der Epilepsie- oder Narkolepsie-Therapie - haben in ersten klinischen Studien Wirksamkeit gezeigt.

Dr. Vocci: "Eine spannende Herausforderung ist die Entwicklung neuer Arzneien, die auf den neuesten Forschungsergebnissen über die speziellen biochemischen Mechanismen und genetischen Zusammenhängen bei Kokainabhängigkeit aufbauen." Ein Ansatz, der auch auf dieser Tagung vorgestellt wird, ist die aktive Immunisierung mit speziellen Konjugat-Impfstoffen, die in der Lage sind, die Wirkung von Kokain zu blockieren - die so genannte Kokain-Impfung also.

Weitere Informationen: www.sucht-addiction.info, www.eaat.org

 
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