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DOI: 10.1055/s-2007-992869
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Interview mit Dr. Helmut Schönell, Krefeld, zur Doppeldiagnose Schizophrenie und Sucht - Wir setzen auf die integrative Behandlung
Publication History
Publication Date:
14 November 2007 (online)
Schizophrene Psychose und Sucht: Diese Doppeldiagnose findet sich bei etwa der Hälfte der schizophrenen Patienten. Sie ist für den Psychiater eine besonders große Herausforderung. Dr. Helmut Schönell verfolgt an der Klinik Königshof in Krefeld bei diesen Patienten ein integratives Konzept. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen und die Anforderungen an die Behandlung von Doppeldiagnose-Patienten.
? Schizophrene Psychose plus Sucht: Wie häufig ist diese Doppeldiagnose in der Praxis?
Dr. Helmut Schönell: Nach den Daten der letzten zehn Jahre hat etwa die Hälfte aller schizophrenen Patienten auch ein Problem mit Suchtmitteln wie Cannabis, Alkohol und anderen Drogen. Sogar bei Ersterkrankten ist zumindest bei einem Drittel mit einer gleichzeitig bestehenden Substanzproblematik zu rechnen. Was dabei Henne und was Ei ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es gibt sicher Patienten, die auf Vorläufersymptome der Schizophrenie wie Antriebslosigkeit und Rückzug mit Drogen reagieren, vor allem, wenn sich die ersten Symptome in der Pubertät zeigen, wo ohnehin bis zu 25 Prozent aller Jugendlichen Cannabis konsumieren. Es gibt aber auch viele Patienten, die erst im Laufe der Erkrankung zu Suchtmitteln greifen. Neben den Hypothesen, dass auch genetische Einflüsse eine Rolle spielen, geht man im Augenblick eigentlich eher davon ausgeht, dass es vielfältige Bedingungen für diese Doppeldiagnose gibt.
? Sehen Sie heutzutage solche Patienten häufiger als in früheren Jahren?
Schönell: Systematische Untersuchungen zu dieser Frage gibt es vor allem aus den 80er und 90er Jahren. Danach hat die Doppeldiagnose Schizophrenie/ Sucht zugenommen. Das hat aus meiner Sicht auch damit zu tun, dass in den letzten 20 bis 30 Jahren der Konsum von Alkohol und Drogen im Jugendalter zugenommen hat, und damit letztlich auch bei den Jugendlichen, die von einer Schizophrenie betroffen sind.
? Inwiefern stellt die Therapie von Patienten mit Doppeldiagnose im Vergleich mit Schizophreniepatienten ohne zusätzlichen Drogenkonsum eine besondere Herausforderung dar?
Schönell: Die Doppeldiagnose bringt eine ganze Reihe von Problemen mit sich: Der Substanzkonsum führt zu einer regelmäßigen Verschlechterung der Psychose. Gleichzeitig trägt er dazu bei, dass den Patienten die Krankheitseinsicht besonders schwer fällt und sie noch weniger compliant sind als nur schizophrene Patienten. Ein weiterer Aspekt: Patienten mit Doppeldiagnose reagieren wesentlich empfindlicher auf Neuroleptika, zeigen mehr Nebenwirkungen und brechen die Therapie häufiger ab.
? Gibt es auch bei Patienten mit Doppeldiagnose eine Chance, die modernen, hochgesteckten Therapieziele "Remission" und "Recovery" zu erreichen?
Schönell: Sie sind erreichbar, aber man braucht einen sehr langen Atem. Es gelingt in der Regel nicht, dass die Patienten schon nach einer Behandlungsepisode krankheitseinsichtig in Psychose und Substanzkonsum werden, hinsichtlich beidem compliant sind und ein Psychose- und Sucht-freies Leben führen. Häufig werden zwei oder drei Behandlungsepisoden benötigt, bis die Patienten die Notwendigkeit einer konsequenten ambulanten Behandlung einsehen und zumindest ein Jahr lang nicht mehr stationär aufgenommen werden müssen. Man darf nicht in Kategorien von einer Behandlungsepisode denken, sondern muss dem Patienten Entwicklungschancen geben. Das gilt im Übrigen auch für Patienten, die "nur" schizophren sind.
? Welche Voraussetzungen muss die Therapie dieser Patienten erfüllen?
Schönell: Die Therapie muss medikamentös und nicht-medikamentös angegangen werden. In psychoedukativen Gruppen und in dazugehörigen Einzelgesprächen müssen die Patienten informiert werden, wie sich der Gebrauch von Drogen und Alkohol auf die Psychose auswirkt. Wichtig ist auch die Anschlussbehandlung. Der Patient muss in einem konsumfreien Umfeld leben können, in dem der Gebrauch von Drogen negativ besetzt ist, also entweder in entsprechenden Heimen, Wohngruppen oder durchaus auch im Elternhaus.
Medikamentös sind die Patienten auf eine längerfristige neuroleptische Behandlung angewiesen. Das Antipsychotikum sollte gut wirksam sein, auch im Hinblick auf die Negativsymptomatik, und nebenwirkungsarm. Zudem muss berücksichtigt werden, dass wegen der Doppelproblematik gehäuft dysphorische Zustände auftreten, die die Patienten dann schnell wieder zum Suchtmittel greifen lassen. Das Antipsychotikum sollte deshalb auch nicht sedieren, die Stimmung nicht verschlechtern oder das Denken einengen. Daher kommen eigentlich nur Atypika in Frage. Wegen der hohen Therapietransparenz bieten sich bei diesen Patienten gerade Depotpräparate an, z. B. das bisher einzige atypische Depotpräparat Risperdal® Consta®. Viele Patienten benötigen zusätzlich ein Antidepressivum. Bei Alkoholabhängigkeit kommt die Gabe von Acamprosat in Frage um das Craving zu unterdrücken.
? Welche Therapieansätze verfolgen Sie in der Klinik Königshof, um diese Patienten optimal zu behandeln?
Schönell: Wir setzen auf eine integrative Behandlung, bei der ein Team den Patienten sowohl im Hinblick auf die Psychose als auch auf die Sucht behandelt. Es gibt nämlich inzwischen zahlreiche Hinweise in der Literatur, dass weder der sequenzielle noch der parallele Therapieansatz, bei dem der Patient in der Psychiatrie und gleichzeitig in einer anderen Gruppe zur Suchtbekämpfung behandelt wird, sinnvoll ist. Für die integrative Behandlung ist nicht zwingend eine Doppeldiagnose-Spezialstation notwendig, aber die Betreuung des Patienten sollte in der Hand eines Teams bleiben um eine ausreichende Beziehung zum Patienten aufzubauen.
Gerade Patienten mit Doppeldiagnose haben oft alle sozialen Bindungen abgebrochen und sind noch beziehungsunfähiger als die nur schizophrenen Patienten. Es ist deshalb besonders wichtig eine therapeutische Beziehung zu ihnen aufzubauen um sie bei der Stange halten zu können. Das geht aber nur, wenn die Ansprechpartner nicht dauern wechseln.
? Welche Rolle nimmt das atypische Depotpräparat in Ihrem klinischen Alltag ein?
Schönell: Wir setzen als Basismedikation aufgrund der häufig unzureichenden Compliance ein Depotpräparat ein, bevorzugt ein atypisches wie Risperdal® Consta®, oder auch niedrig dosiertes Fluanxol. Durch das Depotantipsychotikum können auch Wirkstoffspitzen im Plasma verhindert werden. Der Patient hat dann nicht gute oder schlechte Tage, sondern eine konsistente Basismedikation. Das ist sicher die bessere Lösung als eine orale Therapie. Zusätzlich bieten wir dem Patienten ein orales Neuroleptikum an, damit er eine Variabilität hat um sein Medikament zu steuern. Diese Möglichkeit erhöht auch die Akzeptanz des Patienten für eine Depotmedikation, da er das Gefühl hat, die Behandlung selbst beeinflussen zu können. Außerdem dosieren wir das Depotpräparat so, dass wir dem Patienten ein hohes Sicherheitsgefühl geben. Bei Patienten, die gewillt sind ihre Krankheit anzugehen, erreichen wir dadurch eine hohe Akzeptanz für das Depot.
? Teilen Sie die Einschätzung von Experten, dass nach remittierter Suchtproblematik eine Remission eher erreichbar, die Prognose also besonders gut ist, weil die Patienten willensstark sind?
Schönell: Ich würde es anders betrachten. Ein Teil der Patienten mit der Doppeldiagnose Schizophrenie und Sucht wäre ohne den Substanzkonsum nicht erkrankt, weil deren Ausmaß an Vulnerabilität nicht so groß ist und im Grunde durch den Substanzmissbrauch getriggert wird. Werden diese Patienten adäquat behandelt und der Drogenkonsum eingestellt, sind erneute Krankheitsphasen wegen der niedrigeren Vulnerabilität seltener. Es gibt aber auch die Patienten, die ohne Substanzmissbrauch eine Psychose entwickelt hätten, und bei denen der Substanzmissbrauch nur ein hilfloser Versuch ist, damit umzugehen. Diese Patienten haben keine bessere Prognose. Ganz entscheidend für die Prognose ist, dass das Problem der Doppeldiagnose früh erkannt wird. Manchen Allgemeinpsychiatern fällt hier der Zugang schwer.
! Sehr geehrter Herr Dr. Schönell, herzlichen Dank für das Gespräch.
Mit freundlicher Unterstützung der Janssen-Cilag GmbH