psychoneuro 2007; 33(10): 433
DOI: 10.1055/s-2007-992880
Interview

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Innovative Indikationen von IVIg - IVIg - der Silberstreif am Horizont vieler schwer behandelbarer Erkrankungen

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Publication Date:
14 November 2007 (online)

 
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    Immunglobuline (IVIg) werden nicht nur bei einer breiten Palette an Erkrankungen eingesetzt, sie werden auch in immer mehr neuen Indikationen erprobt. Neben klassischen neurologischen Autoimmunerkrankungen zählen auch neurodegenerative und neuroinflammatorische Erkrankungen zu den besonders viel versprechenden potenziellen Indikationen von IVIg. Prof. Ralf Gold, Bochum, informiert über den pathogentischen Hintergrund und aktuelle Studiendaten.

    ? Prof. Gold, wie kann man sich erklären, dass IVIg sowohl bei neurologischen Autoimmunerkrankungen als auch bei neurodegenerativen und neuroinflammatorischen Erkrankungen wirksam sind?

    Prof. Ralf Gold: Das Spektrum an potenziellen Indikationen von IVIg hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen, bei Indikationen wie Alzheimer und Post Polio-Syndrom an einen Einsatz von IVIg zu denken. Doch dank vielfältiger Fortschritte in der Grundlagenforschung wissen wir heute, dass diese Erkrankungen durch Interaktionen des Immunsystems mit den Neuronen verursacht und vorangetrieben werden. Immunglobuline beeinflussen die Elemente des Immunsystems auf vielfältige Weise. Sie können zum Beispiel sowohl Fresszellen als auch Mikrogliazellen inhibieren oder stimulieren, was die relevante Wirkung von IVIg bei Erkrankungen wie Alzheimer und Post Polio Syndrom erklärt.

    ? Was sind für Sie neben den bewährten Standardindikationen viel versprechende neue Indikationen, in denen IVIg derzeit erprobt werden?

    Gold: Primärindikationen sind chronisch entzündliche Nervenerkrankungen wie CIDP, GBS, MMN und die Einschlusskörperchenmyositis. Unter den neuen Indikationen besteht beim Post Polio-Syndrom (PPS) die größte Evidenz. Die Zahl der PPS-Patienten ist derzeit in Deutschland relativ gering, doch aufgrund der zunehmenden Impfmüdigkeit werden die akute Poliomyelitis und das Post Polio-Syndrom zukünftig vermutlich an Bedeutung gewinnen. Man geht davon aus, dass die eine akute Infektion überlebenden Neurone aufgrund von überbelastung etwa 15 bis 20 Jahre nach der akuten Infektion absterben und dass das Immunsystem bei dem neuronalen Abbau eine zentrale Rolle spielt. Bereits eine Einmalgabe von IVIg scheint über sehr lange Zeit wirksam zu sein und einen Stillstand der pathogentischen Prozesse zu initiieren.

    ? Für die Alzheimer Demenz liegen ebenfalls hoffnungsvolle Daten für den Einsatz von IVIg vor ...

    Gold: Im Körper von Patienten mit Alzheimer Demenz zirkulieren der heutigen Vorstellung zufolge vermehrt Abbauprodukte von Amyloid, die durch das körpereigene Abwehrsystem nicht entfernt werden können. Mithilfe von Immunglobulinen werden den Patienten Antikörper von gesunden Spendern zugeführt, die dann einen vermehrten Abbau von Amyloid initiieren. Das Therapieprinzip hat sich sowohl tierexperimentell als auch klinisch bestätigt. Wenngleich ein breiter Einsatz von Immunglobulinen in dieser Indikation aufgrund der Zahl von Alzheimer-Patienten und der limitierten Ressourcen offen ist, kann der Einsatz von IVIg bei Alzheimer uns einen Weg zeigen, um die Pathogenese von Erkrankungen besser zu verstehen und weitere Therapien zu entwickeln. So schlägt die Wirkung von IVIg bei Alzheimer Demenz die Brücke zum Verständnis und zur besseren Behandlung weiterer Erkrankungen wie beispielsweise der Einschlusskörperchenmyositis. Diese Erkrankung, die sich vor allem jenseits des 60. Lebensjahres und überwiegend bei Männern manifestiert, ist mit einer in vielen Fällen unaufhaltsam voranschreitenden Muskelschwäche an Armen, Beinen und Schlundmuskel verbunden. Neben inflammatorischen Prozessen ist für eine Einschlusskörperchenmyositis insbesondere die Ablagerung von Amyloid im Muskel charakteristisch. Während konventionelle entzündungshemmende Medikamente wie Steroide oder andere Immunsuppressiva versagen, stellen Immunglobuline derzeit die einzige wirksame Therapie dar. Vermutet wird derzeit, dass Immunglobuline bei der Einschlusskörperchenmyositis ähnlich wie bei Alzheimer einen vermehrten Amyloidabbau initiieren.

    ? Wie beurteilen Sie die Daten zu IVIg in weiteren Indikationen wie der Narkolepsie?

    Gold: Immunglobuline scheinen bei Patienten mit Narkolepsie mit einem relevanten Nutzen assoziiert zu sein. Sie bewirken bei dieser seltenen, doch die Patienten sehr belastenden Erkrankung eine signifikante Reduktion von Kataplexien. Dass zwischen Narkolepsie und Immungenen wie dem HLA-DQ-Allelen eine Assoziation besteht, wurde lange nicht verstanden. Heute geht man davon aus, dass bestimmte Nervenzellgruppen im Stammhirn immunologisch bedingt zu Beginn der Erkrankung untergehen und dann sekundär eine Störung des Schlaf-Wachrhythmus initiieren. Durch eine ausreichend frühe kausale Intervention zum Beispiel mit Immunglobulinen könnte es gelingen, die immunologischen Prozesse zu unterbrechen und die Patienten vor letztlich schwer zu bewältigenden Spätfolgen der Erkrankung zu bewahren. Vermutlich werden hierzu in absehbarer Zeit weiterführende Daten zur Verfügung stehen.

    ! Prof. Gold, herzlichen Dank für das Gespräch.

     
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