DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2007; 5(04): 29
DOI: 10.1055/s-2007-993811
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CaseReport 2
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Kurze Entwicklungsgeschichte des enterischen Nervensystems (ENS)

Peter Wührl
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Publication Date:
05 November 2007 (online)

Die funktionelle Bedeutung des enterischen Nervensystems (ENS) liegt darin, dass es die lokale Regulation des gesamten gastrointestinalen Traktes eigenständig steuert. Fehlbildungen des ENS[1], insbesondere die fehlende Ausbildung der Nervenplexus bei Morbus Hirschsprung (kongenitale Agangliose des Hinterdarms) führen zu Störungen der Darmfunktion mit Motilitätsstörungen (Verstopfung) oder Absorptionsstörungen (Mangelerscheinung) mit Positions- und Elastizitätsverlust (Ausdehnung des Darmrohres zum Megakolon).

Das ENS wird von den submukosalen und myenterischen Nervengeflechten, die miteinander vernetzt sind, gebildet. Das komplexe Netzwerk der afferenten, efferenten und Inter-Neurone im ENS bestimmt (im Zusammenspiel mit lokalen Schrittmacherzellen und anderen lokal-autonomen Mechanismen) den Tonus der Wandmuskulatur, die rhythmischen Kontraktionen, die Mukosafunktionen und die lokale Durchblutung.

Der größte Teil der Nerven- und Gliazellen des ENS entstammt den vagalen (rhombenzephalischen) Abschnitten der Neuralleiste[2] und gehört somit dem peripheren Nervensystem an.

Die ektodermalen Vorläufer-Zellen liegen den Somitenpaaren 3-6 benachbart. Aus der vagalen Leistenregion auswandernd besiedeln sie den gesamten Darm von rostral nach kaudal[3]. Die Zellen des Vagus werden später denselben Weg nehmen. Die Vorläuferzellen migrieren zuerst in der Mukosa, bevor sie nach außen zur zirkulären Muskulatur ziehen und dort den Plexus myentericus bilden. Der Hinterdarm wird von kaudal nach rostral durch Zellen aus der sakralen Neuralleiste besiedelt. Diese bilden zuerst den Plexus myentericus um dann zur Mukosa zu ziehen. Im Hinterdarm treffen sich und interagieren die Zellen aus der vagalen und sakralen Neuralleiste. Aus der Rumpfneuralleiste auswandernde Zellen bilden das ENS des Ösophagus und der Kardia des Magens. Alle ENS-Neuronen und zugehörige Neuroglia proliferieren aus den ca. 1000 Zellen der Neuralleiste[4]. Für den Dünndarm werden 100 Millionen Nervenzellen des ENS angenommen.

Während die Vorläuferzellen durch das Darmrohr migrieren, ist phänotypisch noch nicht klar, ob sie Neurone oder Neuroglia bilden werden. Die Vorläuferzellen wandern als nicht-spezifische, multipotente Zellen in den Darm ein und werden im Kontakt mit lokalen Molekülen und Stoffen zu funktionalen Zellen des ENS. Erst durch die Kommunikation mit lokalen, nicht-neuronalen Zellen differenziert sich das ENS. Diese Kommunikation lässt eine Funktion, die Autoregulation, entstehen. Für eine osteopathische Beeinflussbarkeit des ENS[5] spricht die Tatsache, dass viele Zellen des ENS mechanorezeptiv sind, d.h. auf einen physiologischen Dehnungsreiz mit Aktivitätsänderung re-agieren.

 
  • 1 Camilleri M. Enteric nervous system disorders: genetic and molecular insights for the neurogastroenterologist. Neurogastroenterol, Mot. 2001; 13: 277-295.Costa M, et al (Hrsg.): The enteric nervous system in health and disease. Gut 2000; 47, Suppl IV.Huizinga JD: Neural Injury, Repair, and Adaptation in the GI Tract.IV. Pathophysiology of GI motility related to interstitial cells of Cajal. Am J Physiol Gastroint Liver Physiol 1998; 275
  • 2 Burns AJ, Douarin NM Le. Enteric nervous system development: Analysis of the selective developmental potentialities of vagal and sacral neural crest cells using quail-chick chimeras. The Anatomical Record 2001; 262: 116-28
  • 3 Burns AJ, Champeval D, Douarin NM Le. Sacral neural crest cells colonise aganglionic hindgut in vivo but fail to compensate for lack of enteric ganglia. Dev Biol 2000; 219: 30-43
  • 4 Young HM, Newgreen D. Enteric neural crest-derived cells: origin, identification, migration, and differentiation. Anat Rec 2001; 262: 1-15
  • 5 Wührl P. Neuronale Autonomie und mechanische Beeinflussbarkeit des enterischen Nervensystems. D.O. Thesenarbeit (DAO); 2001