Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2008; 52(2): 60-68
DOI: 10.1055/s-2008-1044071
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© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Homöopathie in Indien: Ein Absteiger im indischen Gesundheitssystem?

Martin Dinges
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Publication Date:
18 June 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Homöopathie in Indien ist auf den ersten Blick in einer beneidenswerten Situation: Gesundheitspolitisch anerkannt, institutionell auf der Ebene der indischen Union gesichert, mit eigenem Forschungsrat ausgestattet, bei Behandlern aller Art weit verbreitet und mit fast 200 Colleges auch für die Zukunft gut gerüstet und bei den Patienten beliebt. Dieser Artikel wirft einen genaueren Blick auf die Entwicklung der letzten ca. 30 Jahre und kommt zu dem Ergebnis, dass die Homöopathie in der Zangenbewegung zwischen Allopathie und Ayurveda trotz ihrer unstreitigen Erfolge der letzten Jahrzehnte im Verhältnis zu ihren Konkurrenten ein Absteiger ist.

Abstract

From the viewpoint of German speaking countries, homeopathy in India seems to be in an enviable situation: appreciated by health policy, supported institutionally by the Indian Union, equipped with a research council of its own, widespread through multiple therapeuts, well established for the future with its nearly 200 colleges, and last not least popular with the patients. This essay surveys the development of the last 30 years and comes to the conclusion, that homoeopathy between the branches of orthodox medicine and Ayurveda, in spite of its indisputable success of the last decades, is relegated to a lower position.

Anmerkungen

01 Borghardt T: Homöopathie in Indien. Berg: Barthel und Barthel; 1990: 19.

02 Einen Reisebericht von Laienpraktikern bieten z. B. Elmiger C, Gerber D et al: Unsere Studienreise nach Indien. Erlebnisbericht. Similia. 2002; 44 (4): 36-45.

03 Zu den französischsprachigen Forschungsaktivitäten s. Hoyez A-C, Schmitz O: Les voies indiennes de l’homéopathie. Diffusion et ajustements d’une médecine alternative européenne en Asie. Transcontinentales. 2007; 5: 97-112 sowie http:// ifpindia.org/The-exportation-of-homeopathy-from-Europe-to-Asia.html. Landessprachliche (z. B. bengalische) Monografien aus Indien zur Soziologie, Ethnographie oder Geschichte der Homöopathie in Indien konnten auch unsere sprachkundigen Partner vor Ort bisher nicht ermitteln. Vgl. aber den Nachweis zu englischen und landessprachlichen indischen Publikationen in: Poldas SVB: Geschichte der Homöopathie in Indien von ihrer Einführung bis zur ersten offiziellen Anerkennung 1937 [Dissertation]. München: Ludwig-Maximilians-Universität; 2007: 253 ff.
Die in englischer Sprache publizierten indischen Werke sind eher als Quellen nützlich wie z. B. die stark autobiographische Darstellung von Saxena KG: Struggle for Homoeopathy in India. New Delhi; 1992.

04 Höhn R: Indien und die Homöopathie [Dissertation]. Freiburg: Albert-Ludwigs- Universität; 1983. Darüber hinaus versucht Höhn auch Aussagen über die kulturellen Gründe für die Rezeption zu machen.

05 Etliche Jahre nach der Entstehung (1982-84) wurde die Dissertation publiziert als Borghardt (wie Anm. 1).

06 Schumann U: Homöopathie in der modernen indischen Gesundheitsversorgung: Ein Medium kultureller Kontinuität. Münster: 1993; Dieselbe: Entwicklungsperspektiven der Homöopathie in Indien zwischen traditioneller Medizinkultur und Modernisierungsbestrebungen. Medizin, Gesellschaft und Geschichte. 1991 (1992); 10: 189-207.

07 Frank R: Globalisierung und Kontextualisierung heterodoxer Medizin: Homöopathie und Ayurveda in Deutschland und Indien [Dissertation]. Bielefeld: 2002.

08 Poldas SVB: Geschichte der Homöopathie in Indien von ihrer Einführung bis zur ersten offiziellen Anerkennung 1937 [Dissertation]. München: Ludwig-Maximilians-Universität; 2007.

09 Die Veröffentlichung in der Reihe „Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte” wird derzeit vorbereitet. Seit 1996 bot einen aus Originalquellen gearbeiteten Überblick: Jütte R: Eine späte homöopathische Großmacht: Indien. In: Dinges M (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. München: Beck; 1996: 355-381.

10 Demgegenüber wurde die ethnographisch viel aufschlussreichere Arbeit von Schumann, die nicht in einem „Homöopathie-Verlag” erschien, bedauerlicherweise praktisch nicht wahrgenommen.

11 Quellen für 1949/59: Schätzung des Homoeopathic Enquiry Commitee, „nach Reise durch mehrere Bundesstaaten”, zitiert von Höhn, 45; 90 % seien Autodidakten mit einem sehr geringen Kenntnisstand.
Für 1983: Health Statistics India, zitiert von Borghardt, 7. Eine Ergänzung - etwa für die Jahre 1993 und 2003 - anhand der Publikation „Health Statistics India” war nicht möglich, da dieses Werk seit Monaten im deutschen Fernleihverkehr nicht zu erhalten und sich unsere Buchbestellung ebenfalls bereits Monate hinzieht. Im Internet sind die Werte für diese Jahre nicht zu ermitteln. Für 2007: http://indianmedicine.nic.in/Statewise-homeo.asp; Indische Bevölkerung: 1950 ca. 360 Mio., 1991: 846 Mio., 2001: 1,1 Mrd. http://cbhidghs.nic.in/indicator%20of%20HII2005.htm (Abruf 8.4.2008).

12 Teilmenge der 116 000.

13 Diese historischen Entwicklungen werden in einem späteren Aufsatz genauer dargestellt.

14 Der Central Council für die indischen Medizinsysteme war bereits 1970 gegründet worden, die Homöopathen erhielten 1973 ihren Central Council of Homeopathy http://www.ccimindia.org/1.htm und http://www.cchindia.com/central_act.htm (Abruf: 11.4.2008).

15 Näheres zu den Minimalvoraussetzungen bei Borghardt, S. 121 ff.

16 http://indianmedicine.nic.in/summary-of-infrastructure.asp (Tabelle des AYUSH) (Abruf: 12.4.2008). Die Anzahl der „institutionell qualifizierten” verhält sich ebenfalls wie 1 zu 2.

17 http://mohfw.nic.in/annualrep%20english/aannex1.pdf (Jahresbericht des Gesundheitsministeriums für 2006/2007, Annex 1) (Abruf: 12.4.2008).

18 http://indianmedicine.nic.in/summary-of-infrastructure.asp (Tabelle des AYUSH) (Abruf: 12.4.2008).

19 http://mohfw.nic.in/reports/1999-20Er/ANNEXURES-11.pdf (Jahresbericht des Gesundheitsministeriums für 1999/2000, Annex 11) (Abruf: 12.4.2008). Aktuellere Zahlen konnte ich nicht ermitteln.

20 Auch hier ließen sich die aktuellen Angaben zum „Staff” leider nicht ermitteln.

21 http://indianmedicine.nic.in/Statewise-homeo.asp (Abruf: 8.4.2008).

22 Angabe nach Borghardt, 8.

23 Zur Begriffsgeschichte s. Jütte R: Geschichte der alternativen Medizin. München: Beck; 1996: 25 ff.

24 http://www.cbhidghs.nic.in/HII2004/7.02.htm (Abruf: 8.4.2008) allerdings registrieren einige Bundesstaaten immer noch nicht.

25 http://www.cbhidghs.nic.in/HII2004/7.01-chart.htm (Abruf: 8.4.2008).

26 Borghardt, S. 138 ff.

27 Man müsste allerdings die Geschlechterverteilung der Studierenden mit derjenigen auf Ayurveda-Colleges und in den Medical Colleges vergleichen sowie das anschließende Heiratsverhalten und dessen Auswirkung auf die Ausübung einer heilkundlichen/ärztlichen Tätigkeit untersuchen.

28 Vgl. ein Beispiel zu Familiendynastien bei Jütte, Indien.

29 Die staatliche Anerkennung in Kuba wäre allenfalls als Vergleich heranzuziehen. Sie ist aber später erfolgt und war Ergebnis politischer Entscheidungen der Staatsspitze. Sie sollte u. a. der Kostensenkung im Gesundheitswesen, insbesondere durch die Reduzierung von Arzneimittelimporten, dienen.

30 Dalva de Andrade Monteiro und Jorge Alberto Bernstein Iriart, Homeopatia no Sistema Único de Saúde: representações dos usuários sibre o tratamento homeopático, in: Cadernos Saúde pública, Rio de Janeiro 23, 8, 2007, S. 1903-1912.

31 http://indianmedicine.nic.in/background.asp (Abruf: 11.4.2008).

32 Es handelt sich um die in Anm. 14 genannten Central Councils.

33 Vorläufer war seit 1969 ein gemeinsamer Zentralrat für Forschung. http://www.ccras.nic.in/doc/bylows.doc (Abruf: 11.4.2008) enthält die Bestimmungen für Ayurveda und Sidda.

34 http://mohfw.nic.in/annualrep%20english/chap18.pdf (Abruf: 11.4.2008), S. 292.

35 http://ccrhindia.org/newsletter.pdf#page=1 (Abruf: 11.4.2008).

36 Dazu äußerten sich die Berichte des Gesundheitsministeriums während der 1990er-Jahre noch ganz anders.

37 http://mohfw.nic.in/reports/reports/Report_on_NCMH/ReportoftheNationalCommission.pdf (Abruf: 11.4.2008) S. 127 des Berichts.

38 Ebendort, S. 58 f. gleiches Vorgehen in den Background-Papers, S. 94 http://mohfw.nic.in/reports/reports/Report_on_NCMH/BackgroundPapersreport.pdf (Abruf: 11.4.2008).

39 Ironischerweise teilen sie damit das Schicksal der nicht lizenzierten Laienheiler innerhalb der Homöopathenschaft, siehe oben den Kommentar zur Tabelle.

40 Zur Kompetenzabgrenzung http://mohfw.nic.in/annualrep%20english/chap1.pdf (Abruf: 11.4.2008). Der Blick auf das Staatsbudget ist hier - wie meist - ebenfalls ernüchternd: Im zehnten Entwicklungsplan für die Jahre 2002-2007 sind für den Gesundheitssektor Ausgaben von 2,09 % des Gesamthaushalts vorgesehen, für die Familienwohlfahrt 1,83 %; AYUSH bringt es dann noch auf 0,05 %, was immerhin fast eine Verdopplung des Anteils gegenüber der letzten Planperiode ist! http://cbhidghs.nic.in/hia2005/4.01.htm (Abruf: 11.4.2008).

41 Backgroundpapers (wie Anm. 38), S. 261.

42 Varman R, Vikas RM: Rising Markets and Failing Health: An Inquiry into Subaltern Health Care Consumption under Neoliberalism. Journal of Macromarketing. 2007; 27 (2): 162-172; so auch Rao M: Eliding History. The World Bank’s Health Politics. In: Kumar D (Hrsg.): Disease and Medicine in India. A Historical Overview. New Delhi: 2001; 265-275, 272.

Prof. Dr. Martin Dinges

Institut für Geschichte der Medizin
der Robert Bosch Stiftung Stuttgart


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70184 Stuttgart

Email: martin.dinges@igm

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