Dialyse aktuell 2008; 12(1): 56-57
DOI: 10.1055/s-2008-1064896
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Antineoplastische Eigenschaften der mTOR-Inhibition nutzen - Nach Nierentransplantation Hautkrebsrisiko 50-fach erhöht

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11 March 2008 (online)

 
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Limitierender Faktor für die Langzeitprognose nach Nierentransplantation (NTX) sind heute nicht mehr akute oder chronische Abstoßungsreaktionen, sondern - neben kardiovaskulären Komplikationen - das im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung vier- bis fünffach erhöhte Risiko an Krebs zu erkranken. Eine aktuelle Auswertung der Daten von 2 419 im Universitätsklinikum München-Großhadern in den vergangenen 25 Jahren nierentransplantierten Patienten [12] bestätigen die Angaben aus den USA (n = 35765/6 Jahren) [7] und Australien/Neuseeland (n = 7797/36 Jahre) [1].

Wie massiv die Bedrohung ist, lässt sich nach Aussage von Prof. Karl-Walter Jauch, München, auch daran ablesen, dass sich in der eigenen Untersuchung nahezu die Hälfte aller Tumoren bereits innerhalb der ersten fünf Jahre nach NTX manifestiert hatte. Erschwerend komme dazu, dass Malignome bei TX-Patienten in der Regel deutlich aggressiver seien [3].

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Risikofaktoren: UV-Licht, Alter, onkogene Viren, Immunsuppression

Mit weitem Abstand am höchsten - das deckt sich mit den Erfahrungen in anderen Ländern - war in der Münchner NTX-Kohorte das Risiko für einen Hauttumor. Die Wahrscheinlichkeit war bei den nichtmelanozytären Neoplasien 53-mal höher als im Bevölkerungsdurchschnitt, dagegen bei den Melanomen "nur" viermal höher. Um diesem Phänomen gerecht zu werden bzw. die Nachsorge zu optimieren, wurde an der Hautklinik der Charité in Berlin 2002 eine dermatologische Spezialsprechstunde für Organtransplantierte eingerichtet. Bei den rund 5 000 Konsultationen pro Jahr stellten die NTX-Patienten mit etwa 40% die größte Gruppe, verwies Prof. Eggert Stockfleth, Berlin, auf die inzwischen akkumulierte Erfahrung dieser Institution.

Das erhöhte Risiko von transplantierten Patienten für kutane Neoplasien beruht im Wesentlichen auf vier miteinander interagierenden Faktoren [9]:

  • UV-Licht, das die DNA schädigt und das lokale Immunsystem herunterreguliert, was unter anderen die Barriere für onkogene Viren herabsetzt

  • Alter zum Zeitpunkt der Transplantation als Maß für die Summation des bereits erworbenen UV-Schadens

  • onkogene Viren wie vor allem humane Papillomaviren (HPV) und humane Herpesviren Typ 8 (HHV8) als Trigger für die Entstehung von Plattenepithelkarzinomen und Kaposi-Sarkomen (Risiko in der Münchner Kohorte 142-fach erhöht;12)

  • Immunsuppression, die zum einen die körpereigenen Abwehrmechanismen schwächt, zum Teil aber auch eigenständige tumorfördernde Eigenschaften haben kann.

Während in der Allgemeinbevölkerung die Inzidenz von Basalzellkarzinomen (Basaliome) im Vergleich zu Plattenepithelkarzinomen (Spinaliome) bei grob gerechnet zwei zu eins liegt, ist das Verhältnis bei Organtransplantierten umgekehrt. Die Plattenepithelkarzinome wachsen bei TX-Patienten außerdem schneller, werden früher invasiv und haben ein höheres Metastasierungspotenzial [5].

Vom klinischen Bild her typisch für immunsupprimierte Patienten ist nach Aussage von Stockfleth die Flächenkarzinose als Nebeneinander von Warzen und malignen intraepidermalen Läsionen. Auf kleinem Hautareal finde man manchmal das ganze Spektrum von der aktinischen Keratose (Carcinoma in situ) über den Morbus Bowen bis hin zu bereits invasiven Plattenepithelkarzinomen.

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Regelmäßige Hautkontrollen und Modifikation der Immunsuppression

Bei TX-Patienten mit Hautkrebs sollte nicht nur die erforderliche spezifische Therapie durchgeführt, sondern auch eine Modifikation der Immunsuppression diskutiert werden, empfiehlt Stockfleth. Noch besser sei es, bei Risikokandidaten - beispielsweise mit aktinischer Keratose, starkem Warzenbefall und/oder fortgeschrittenem Alter - von vornherein auf Substanzen mit tumorfördernden Eigenschaften zu verzichten. An der Charité werde deshalb bereits jeder Patient auf der Warteliste auch dermatologisch untersucht.

Dass sich die zur Abstoßungsprophylaxe eingesetzten Immunsuppressiva hinsichtlich ihres kanzerogenen Potenzials erheblich unterscheiden, belegen inzwischen zahlreiche pharmakologische Untersuchungen und klinische Studien. Die Calcineurininhibitoren behinderten DNA-Reparaturprozesse und steigerten via Hochregulation von Zytokinen wie TGF-Beta ("transforming growth factor"), IL 10 (Interleukin) oder VEGF ("vascular endothelial growth factor") Wachstum und Aggressivität der Tumoren [6], so Jauch.

Gewissermaßen entgegengesetzt ist die Situation bei den mTOR-Inhibitoren. Am besten belegt sind die antineoplastischen Eigenschaften bisher für Sirolimus (Rapamune®): Die Aktivität von TGF-Beta, IL 10 und VEGF wird herunterreguliert und die Proliferation und Vaskularisation von Malignomen gehemmt [4]. Die Identifikation des "mammalian target of rapamycin" (mTOR) als Schlüsselenzym für Zellwachstum und Angionese bzw. der Dysregulation des mTOR-Signalwegs als Ursache der malignen Entartung von Zellen hat der Krebsforschung neuen "Input" gegeben. Der erste mTOR-Inhibitor, der speziell für die Onkologie entwickelt wurde, ist Temsirolimus (ToriselTM). Die Zulassung zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms wurde von der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA im November 2007 auch für Deutschland erteilt.

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Unter Sirolimus weniger Hautumoren und andere maligne Neoplasien

Für den TX-Patienten relevanter ist jedoch die Tatsache, dass diese für Sirolimus experimentell nachgewiesenen Effekte auch in der klinischen Situation Bestand haben. Sehr eindrucksvoll ist das Ergebnis einer Auswertung der OPTN/UNOS[1]-Datenbank von 33 249 Patienten, die zwischen Juli 1996 und Dezember 2001 eine neue Niere erhalten hatten. In dieser Kohorte betrug die Tumorinzidenz innerhalb von 963 Tagen nach NTX unter Calcineurininhibitoren 1,8% im Vergleich zu nur 0,6% unter mTOR-Inhibitoren (fast ausnahmslos Sirolimus - allein oder in Kombination mit einem Calcineurininhibitor) [8].

Einen noch längeren Beobachtungszeitraum, dazu noch unter kontrollierten Bedingungen, decken die Daten der RMR[2]-Studie bei transplantierten Patienten ab. Es handelt sich dabei um die Fortsetzung der Sirolimus-Zulassungsstudie. Bei Patienten, die ab dem vierten Monat nach Transplantation nur Sirolimus plus ein Steroid erhalten hatten (n = 215), wurde eine niedrige kumulative Krebsinzidenz beobachtet (Abb. [1]; [2])

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Abb. 1 Kumulative Inzidenz von Hauttumoren bei NTX-Patienten unter Immunsuppression mit Sirolimus [*] plus Steroid (SRL-ST) versus Sirolimus plus Ciclosporin plus Steroid (SRL-CsA-ST) nach [2]

Der CONVERT-Studie ("Sirolimus Renal Conversion Trial") zufolge lohnt sich die Modifikation der Abstoßungsprophylaxe zu nahezu jedem Zeitpunkt. Im Mittel drei Jahre nach der Nierentransplantation hatte man die Basisimmunsuppression randomisiert entweder von Cyclosporin oder Tacrolimus auf Sirolimus umgestellt (n = 555) oder unverändert fortgeführt (n = 275) - jeweils in Kombination mit einem Steroid plus Mycophenolatmofetil oder Azathioprin. Dass sich bereits bei der Zwischenauswertung nach zwei Jahren ein signifikanter Unterschied bei der Krebsinzidenz zeigen würde (Abb. [2]), habe man selbst in Expertenkreisen nicht erwartet, kommentierte Prof. Josep Campistol, Barcelona (Spanien), das Ergebnis [10].

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Abb. 2 Tumorinzidenz (durch Biopsie bestätigt/Patienten mit mehr als einer Krebsmanifestation zählen nur einmal) zwei Jahre nach Umstellung der Immunsuppression von einem Calcineurininhibitor (CNI) auf Sirolimus (SRL) oder nach unveränderter Fortführung der Immunsuppression

Noch spektakulärer sind die Beobachtungen einer italienischen Arbeitsgruppe bei fünfzehn NTX-Patienten mit Kaposi-Sarkom. Drei Monate nach Austausch von Ciclosporin und Mycophenolatmofetil gegen Sirolimus hatten sich die Hautläsionen bei allen Betroffenen zurückgebildet. Weitere drei Monate später konnte die Remission in allen Fällen auch histologisch bestätigt werden [11].

Gabriele Blaeser-Kiel, Hamburg

Quelle: Satellitensymposium "Immunsuppression for a New Era" und Expertendiskussion "Meeting the Challenges of Post-Transplant Malignancy" im Rahmen des Congress of the European Society for Organ Transplantation in Prag

Der Bericht entstand mit freundlicher Unterstützung der Wyeth Pharma GmbH, Münster

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Das sollten NTX-Patienten wissen

UV-Exposition

  • Verzicht auf ausgedehnte Sonnenbäder (besonders in der Zeit zwischen 11.00 und 15.00 Uhr)

  • Verzicht auf den Besuch von Solarien

  • bei längerem Aufenthalt im Freien (Wandern, Sport, Gartenarbeit) möglichst Arme und Beine bedeckende Kleidung und immer eine Kopfbedeckung tragen

  • Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor (mindestens 25) gegen UVA und UVB für Gesicht, Hände und andere unbedeckte Körperareale benutzen (auch bei Bewölkung oder unter dem Sonnenschirm)

  • Sonnencreme mehrfach täglich anwenden, besonders nach dem Schwimmen/Baden, körperlicher Anstrengung oder bei starkem Schwitzen

  • auch zur täglichen Hautpflege Creme mit hohem Lichtschutzfaktor verwenden

Inspektion der Haut

  • einmal im Monat selbst die Haut auf Läsionen kontrollieren und bei verdächtigen Veränderungen sofort den Hautarzt kontaktieren

  • mindestens einmal im Jahr gründliche Inspektion durch einen Dermatologen, auch wenn die Selbstuntersuchung dazu keinen Anlass gibt

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Literatur

  • 01 ANZDATA-Register (Australia/New Zealand Dialysis and Transplantation) Registry 2004 Report, abzurufen unter www.unzdata.org.au
  • 02 Campistol JM . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 581-589
  • 03 Euvrand S . et al . N Engl J Med. 2003;  348 1681-1691
  • 04 Geissler M . et al . Curr Opin Organ Transplant. 2004;  9 394-399
  • 05 Gerlini G . et al . Crit Rev Oncl Hematol. 2005;  56 127-136
  • 06 Guba M . et al . Transplantation. 2004;  77 1777-1784
  • 07 Kasiske BL . et al . Am J Transplantat. 2004;  4 905-913
  • 08 Kauffmann HM . et al . Transplantation. 2005;  80 883-889
  • 09 Nindl I . et al . Dis Markers. 2007;  23 247-259
  • 10 Schena FP . et al . 7th ATC/WTC-Congress 2006, Boston (USA). 
  • 11 Stallone G . et al . New Engl J Med. 2005;  352 1317-1323
  • 12 Wimmer CD . et al . Kidney Int. 2007;  71 1271-1278

01 Organ Procurement and Transplant Network/United Network for Organ Sharing

02 Rapamycin Maintenance Regimen

03 Sirolimus darf in der Erhaltungstherapie nur dann (und danach auch nur in Verbindung mit Kortikosteroiden) verabreicht werden, wenn Ciclosporin abgesetzt werden konnte.

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Literatur

  • 01 ANZDATA-Register (Australia/New Zealand Dialysis and Transplantation) Registry 2004 Report, abzurufen unter www.unzdata.org.au
  • 02 Campistol JM . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 581-589
  • 03 Euvrand S . et al . N Engl J Med. 2003;  348 1681-1691
  • 04 Geissler M . et al . Curr Opin Organ Transplant. 2004;  9 394-399
  • 05 Gerlini G . et al . Crit Rev Oncl Hematol. 2005;  56 127-136
  • 06 Guba M . et al . Transplantation. 2004;  77 1777-1784
  • 07 Kasiske BL . et al . Am J Transplantat. 2004;  4 905-913
  • 08 Kauffmann HM . et al . Transplantation. 2005;  80 883-889
  • 09 Nindl I . et al . Dis Markers. 2007;  23 247-259
  • 10 Schena FP . et al . 7th ATC/WTC-Congress 2006, Boston (USA). 
  • 11 Stallone G . et al . New Engl J Med. 2005;  352 1317-1323
  • 12 Wimmer CD . et al . Kidney Int. 2007;  71 1271-1278

01 Organ Procurement and Transplant Network/United Network for Organ Sharing

02 Rapamycin Maintenance Regimen

03 Sirolimus darf in der Erhaltungstherapie nur dann (und danach auch nur in Verbindung mit Kortikosteroiden) verabreicht werden, wenn Ciclosporin abgesetzt werden konnte.

 
Zoom Image

Abb. 1 Kumulative Inzidenz von Hauttumoren bei NTX-Patienten unter Immunsuppression mit Sirolimus [*] plus Steroid (SRL-ST) versus Sirolimus plus Ciclosporin plus Steroid (SRL-CsA-ST) nach [2]

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Abb. 2 Tumorinzidenz (durch Biopsie bestätigt/Patienten mit mehr als einer Krebsmanifestation zählen nur einmal) zwei Jahre nach Umstellung der Immunsuppression von einem Calcineurininhibitor (CNI) auf Sirolimus (SRL) oder nach unveränderter Fortführung der Immunsuppression