Psychother Psychosom Med Psychol 2009; 59(5): 194-203
DOI: 10.1055/s-2008-1067408
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stationäre und tagesklinische Behandlung der Anorexia nervosa: Bewertung von Therapiekomponenten aus Patientensicht

Treatment Components of Inpatient and Day Clinic Treatment of Anorexia Nervosa: The Patient's PerspectiveAlmut  Zeeck1 , Jennifer  Maier1 , Armin  Hartmann1 , Edda  Wetzler-Burmeister1 , Michael  Wirsching1 , Thomas  Herzog2
  • 1Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Freiburg
  • 2Klinik für Psychosomatische Medizin und Fachpsychotherapie, Christophsbad Göppingen und Werner-Schwidder-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Bad Krotzingen
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Publication History

eingereicht 17. Juli 2007

akzeptiert 22. Februar 2008

Publication Date:
19 May 2008 (online)

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Zusammenfassung

Die Akzeptanz von Therapieverfahren hängt davon ab, was Patienten selber als hilfreich oder hinderlich erleben. Bei der nicht selten chronisch verlaufenden Anorexia nervosa (AN) ist die Patientenperspektive auch deshalb von besonderem Interesse, da charakteristischerweise eine starke Ambivalenz der Behandlung gegenüber besteht. 102 Patienten mit AN (ICD-10) beurteilten die Komponenten einer multimodalen (stationären und tagesklinischen) Therapie zum Zeitpunkt der Entlassung oder einer katamnestischen Nachbefragung. Sowohl psychodynamische als auch symptomorientierte Behandlungskomponenten wurden im Mittel als „hilfreich” eingeschätzt. Es zeigten sich keine Unterschiede in der Bewertung durch restriktive oder bulimische Anorexiepatientinnen. Die psychodynamisch ausgerichtete Einzeltherapie erhielt die höchste Bewertung. Angebote im Einzelsetting wurden tendenziell besser bewertet als Gruppenangebote. Patientinnen mit ungünstigem Therapieergebnis beurteilten symptomorientierte Elemente (Gewichtsvorgaben, konkrete Arbeit am Essverhalten) als signifikant weniger hilfreich bzw. eher als behindernd als erfolgreiche. Die schlechtere Bewertung einzelner symptomorientierter Elemente zeigte Zusammenhänge mit der Schwere der allgemeinen Psychopathologie und der Schwere der bulimischen Symptomatik. Sie könnte Ausdruck von Überforderung oder einer hohen Ambivalenz im Hinblick auf eine Veränderung des Essverhaltens sein.

Abstract

The acceptance of a treatment depends on what patients experience as helpful or not. In the treatment of anorexia nervosa, the patient's perspective is of special importance as patients are typically highly ambivalent concerning a change in their dysfunctional attitudes and behaviour. 102 patients with anorexia nervosa (ICD-10) evaluated the components of a complex, multimodal treatment programme (inpatient and day clinic) at the end of therapy or follow-up. Overall, psychodynamic as well as symptom-oriented treatment components were experienced as „helpful”. Psychodynamic individual sessions received the best assessments. Individual sessions got higher ratings than group sessions. Patients with less successful outcomes described symptom oriented elements like weight goals and work on eating behaviour as significantly less helpful. Lower rankings of some symptom oriented components were associated with more overall symptom severity and bulimic pathology and may point to a feeling of being overtaxed with the programme or a lack of motivation to change.

Literatur

1 Die S3-Leitlinien „Essstörungen” werden voraussichtlich 2009 veröffentlicht.

2 Da es sich zu 90 % um weibliche Patientinnen handelt, wird die weibliche Form gewählt.

3 Vorgaben bei stationärer Therapie: zunächst 500 g Gewichtszunahme pro Woche, ab 1997 geändert auf mind. 750 g pro Woche. In der Tagesklinik beinhaltet die Therapievereinbarung eine Gewichtsvorgabe von mind. 500 g/Woche.

4 Auf eine Darstellung der Fragebögen SCL-90-R und EDI-2 wird verzichtet, da sie allgemein verbreitete und bekannte Selbstbeurteilungsinstrumente darstellen.

5 Anmerkung: eine Signifikanztestung von Mittelwertsdifferenzen zwischen Variablen ist nicht möglich.

Dr. phil. Dipl.-Psych. Armin Hartmann

Abt. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Hauptstraße 8

79104 Freiburg

Email: armin.hartmann@uniklinik-freiburg.de