Psychother Psychosom Med Psychol 2009; 59(11): 409-415
DOI: 10.1055/s-2008-1067553
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Spurensuche: Psychische Entwicklung der Großstadtkinder aus dem 2. Weltkrieg

Erste Ergebnisse eines 25-Jahre-Follow-up der Mannheimer KohortenstudieTraces of the 2nd World WarThe Relationship Between Childhood Experiences and Mental Health in Advanced AgeMarina  Hiltl1 , Patricia  Bielmeier1 , Bertram  Krumm1 , Matthias  Franz2 , Heinz  Schepank1 , Klaus  Lieberz1
  • 1Psychosomatische Klinik, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg
  • 2Klinik und Klinisches Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication History

eingereicht 19. März 2008

akzeptiert 25. August 2008

Publication Date:
26 September 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Mannheimer Kohortenstudie bildet die Grundlage für die Erforschung der Auswirkungen von Kindheitserfahrungen und kriegstraumatischen Ereignissen auf die seelische Gesundheit im Erwachsenenalter. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden die Daten von 26 im Jahre 1935 geborenen Probanden analysiert. Die im Verlauf von 25 Jahren erfasste psychosomatische Beeinträchtigung wird in Beziehung zu den globalen Entwicklungsbedingungen in der Frühgenese sowie explizit zu Kriegserlebnissen im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg gesetzt. Zur Messung der psychosomatischen Beeinträchtigung dient der Beeinträchtigungs-Schwere-Score (BSS) von Schepank. Die Genesedaten entstammen der A-Studie des Mannheimer Kohortenprojektes. Kriegserfahrungen werden mit dem eigens konzipierten Kriegs-Belastungs-Fragebogen (KBF) erhoben. Es zeigt sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen frühkindlicher sowie weiterer kindlicher Gesamtbelastung und dem seelischen Gesundheitszustand im Erwachsenenalter. Dagegen ist die Anzahl der Kriegserlebnisse nicht mit der Ausprägung einer psychosomatischen Symptomatik im späteren Leben korreliert. Eine kriegsbedingte Trennung vom Vater während der Frühgenese lässt ebenfalls keine Vorhersagen im Hinblick auf die spätere seelische Gesundheit zu. Die Studie liefert interessante Erkenntnisse über die Rolle von Kindheitsfaktoren für die seelische Gesundheit im fortgeschrittenen Lebensalter. Bemerkenswert ist insbesondere, dass sich die meisten Probanden trotz der dramatischen zeitgeschichtlichen Umstände während ihrer Kinderjahre zu seelisch gesunden Erwachsenen entwickelten.

Abstract

Based on the results of the Mannheim Cohort Study, a possible causal relationship between childhood experiences and the long-term course of predominantly psychosocially influenced disorders was examined, focussing on global development terms and war experiences. A sample of 26 individuals born in 1935 was investigated over a period of approximately 25 years. Psychosomatic impairment was assessed using a standardized expert rating (BSS impairment score) with high reliability. We found strong evidence that global development terms make an impact on mental health in advanced age. The amount of war experiences was not correlated with psychosomatic impairment in later life. Furthermore, war-determined fathers' absence during childhood was not a predictor of psychosomatic impairment in later life. Methodical problems and consequences of these findings are discussed.

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Marina Hiltl

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Psychosomatische Klinik

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