psychoneuro 2008; 34(3): 164-165
DOI: 10.1055/s-2008-1076635
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medikamente gegen das Vergessen - Galantamin unterstützt Patienten und Angehörige

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Publication Date:
14 April 2008 (online)

 
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Die Lebenserwartung der Menschen in den Industriestaaten steigt pro Dekade um weitere zwei bis drei Jahre, so eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Für die in 2007 geborenen Kinder liegt die Lebenserwartung in Deutschland bereits bei 76,6 Jahren für Jungen und 82,1 Jahren für Mädchen. Dies bedeutet auch, dass immer weniger Erwerbstätige einer immer größer werdenden Anzahl alter und pflegebedürftiger Menschen gegenüberstehen. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird in den nächsten Jahren auf über 25% ansteigen. In der Versorgung von Demenzpatienten ist dieses Problem bereits sichtbar.

In Deutschland sind etwa eine Million Menschen von einer mittelschweren oder schweren Demenz betroffen und in der Regel nicht mehr zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage (Daten aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, www.rki.de). Etwa 60% der Demenzkranken werden in Privathaushalten versorgt. Nach einer bundesweiten Studie liegt der durchschnittliche Zeitaufwand pro Woche und Patient bei leichter Demenz bereits bei 36 Stunden, bei mittlerer bis schwerer Demenz schon bei rund 47 Stunden [7]. Vor allem die zusätzlich zu den kognitiven Störungen auftretenden Verhaltensprobleme und der zunehmende Verlust an Alltagskompetenz erhöhen die Belastungen der pflegenden Angehörigen und zählen zu den Hauptgründen für eine Aufnahme in ein Pflegeheim. Dabei könnte eine rechtzeitige Behandlung die Symptome der Erkrankung und vermutlich auch den Betreuungsaufwand verringern.

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IQWiG bestätigt den Nutzen von Cholinesterasehemmern

Bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz werden heute Cholinesterasehemmer unter anderem in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) ausdrücklich als Mittel der Wahl empfohlen. Für den Cholinesterasehemmer Galantamin (Reminyl®) konnte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) außerdem in seinem aktuellen Abschlussbericht bestätigen, dass psychopathologische Symptome, Lebensqualität der (betreuenden) Angehörigen und Betreuungsaufwand verbessert werden [2]. Dass dies bisher nur für Galantamin auf allen diesen Ebenen nachgewiesen werden konnte, ist vermutlich auf dem besonderen dualen Wirkmechanismus von Galantamin zurückzuführen. Als allosterischer Modulator der nikotinergen Rezeptoren bindet Galantamin (Abb. [1]) im Gegensatz zu anderen Cholinesterasehemmern nicht an der Bindungsstelle für Acetylcholin, sondern in deren unmittelbarer Nachbarschaft. Die Folge ist eine erhöhte Empfindlichkeit der nikotinergen Rezeptoren. Durch diesen zusätzlichen Wirkmechanismus steigt die Acteylcholinverfügbarkeit und gleichzeitig werden auch andere Transmittersysteme (z.B. Glutamat, Serotonin, GABA) und damit Lernvorgänge und Stimmung günstig beeinflusst [3]. Durch die erhöhte Ausschüttung von GABA wird außerdem eine angstlösende und aggressionsvermindernde Wirkung erzielt. Dies spiegelt sich auch im Betreuungsaufwand wider. So verringerte sich unter Galantamin der Pflegebedarf in zwei sechsmonatigen multizentrischen, randomisierten Studien bei mittelschwerer Demenz um rund zwei Stunden pro Tag (Abb. [2]) [6]. Hiervon profitierten insbesondere fortgeschrittene Patienten und ihre Angehörigen.

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Abb. 1 Dualer Wirkmechanismus von Galantamin: Galantamin weist neben der Hemmung der Acetylcholinesterase einen weiteren Wirkmechanismus mit spezifischer Modulation des nikotinischen Teils der cholinergen Neurotransmission auf. Als sogenannter allosterisch potenzierender Ligand (APL) erhöht Galantamin die Empfindlichkeit der verbliebenen nikotinischen Rezeptoren und stärkt somit zusätzlich selektiv die nikotinisch-cholinerge Neurotransmission. Durch diesen zusätzlichen Wirkmechanismus können sowohl das cholinerge Transmittersystem als auch andere Transmittersysteme (z. B. Glutamat, Serotonin, GABA) günstig beeinflusst werden. Galantamin bewirkt möglicherweise daher nicht nur eine Verbesserung der Kognition durch Erhöhung der Acetylcholinspiegel, sondern kann auch durch eine erhöhte Ausschüttung von Glutamat Lernvorgänge unterstützen, durch erhöhte Ausschüttung von Serotonin die Emotionslage verbessern sowie durch eine erhöhte Ausschüttung von GABA angstlösend und agressionsvermindernd wirken [3]

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Abb. 2 Reduzierter Pflegeaufwand unter Galantamin versus Placebo [6]

Der Nutzen ist dabei umso größer, je früher mit der Behandlung begonnen wird [4]. In dieser Studie mit über 600 Patienten hatte eine Gruppe zunächst für sechs Monate Placebo eingenommen, bevor sie wie die anderen Patienten der Studie Galantamin (24-32 mg/d) erhielt. Allerdings konnte die ehemalige Placebogruppe in einer Fortsetzungsstudie nicht mehr die kognitive Leistungsfähigkeit erreichen (gemessen nach ADAS-cog/11) wie solche Patienten, die von Anfang an Galantamin verordnet bekamen. Dies spricht dafür, dass unter Galantamin der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst wird. Auch langfristig bleibt der Nutzen vorhanden, wie die Vier-Jahres-Daten der Studie zeigen, die offen weitergeführt wurde [5]. Dabei schneidet Galantamin auch im Vergleich zu anderen Cholinesterasehemmern gut ab, wie eine Metaanalyse des britischen IQWiG-Pendants NICE zeigte (www.nice.org.uk). Insbesondere in schweren Demenzstadien scheint ein deutlicher Vorteil in Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit unter Galantamin aufzutreten (Verbesserung um 6,1 Punkte auf der ADAS-cog-Skala im Vergleich zu den Ausgangswerten). Wichtig für das Pflegepersonal ist aber auch, dass Verhaltensstörungen unter Galantamin - insbesondere unter 24 mg/d im Vergleich zu 16 mg/d - signifikant seltener und später auftreten als bei nichtbehandelten Patienten oder unter Placebo [8]. Dies bestätigt auch die Anzahl an Heimeinweisungen unter Galantamin. In einer Beobachtung über drei Jahre konnten Galantaminpatienten im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe rund zwei Jahre länger zuhause versorgt werden [1].

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Die Initiative PAULA[1]

Mit PAULA sollen insbesondere Angehörige in der ersten Zeit nach der Diagnosestellung unterstützt werden. Dazu erhalten sie von den behandelnden Ärzten jeweils ein Tagebuch, in dem sie zwölf Wochen lang jeden Tag sechs Fragen durch Ankreuzen beantworten sollen (u.a. Wie haben Sie sich heute gefühlt? Wie hoch war der zeitliche Aufwand bei der Unterstützung des Angehörigen?). Die Broschüre gibt dabei auch Tipps zum Umgang mit Demenzkranken und zur Pflege. Gleichzeitig steht für die Angehörigen eine Hotline mit Fachkräften in Sachen Alzheimer-Demenz zur Verfügung, die sie unter 02065/256-2093 bei Fragen kostenlos anrufen können. Diese speziell geschulten Berater werden die Angehörigen auch etwa alle zwei Wochen auf deren Wunsch direkt anrufen, um Fragen rund um die alltäglichen Probleme in der Betreuung zu beantworten.

PAULA lieferte bereits erste Ergebnisse. So berichteten 50% der pflegenden Angehörigen, dass die medikamentöse Behandlung der Alzheimer-Patienten ihre Belastungen im Alltag verringert hätten. Mehr als 80% beobachteten dies bereits nach dem ersten Behandlungsmonat. Auch die behandelten Ärzte wurden befragt. Zu ihren bisherigen Erfahrungen mit Antidementiva gaben die meisten an, rund drei Viertel ihrer dementen Patienten Antidementiva zu verordnen. Als wirksamstes Medikament im mittelschweren Stadium bezeichneten die Mehrheit der Ärzte Galantamin.

Wenn Sie bei dieser Initiative noch teilnehmen möchten, können Sie sich ebenfalls gerne an diese Hotline wenden. Da die Tagebücher anschließend zeitnah ausgewertet werden, sollten die Angehörigen allerdings spätestens bis zum 31. Mai mit dem Führen der Tagebücher beginnen.

Dr. Katrin Wolf, Eitorf

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Quellen:

  • 01 Feldman H et al. Galantamine delays admission to nursing home. Poster präsentiert auf dem 8th International Montreal/Springfield Symposium on Advances in Alzheimer Therapy, Montreal, Kanada, 14.-17. April 2004. 
  • 02 IQWiG-Abschlußbericht (A05/19-A) zu Cholinesterasehemmern bei Alzheimer Demenz. Köln: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 2007. 
  • 03 Maelicke A . et al . Dualer Wirkmechanismus von Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Demenz.  psychoneuro. 2005;  31 (5) 243-246
  • 04 Raskind MA . et al . Galantamine in AD: A 6-month randomized, placebo-controlled trial with a 6-month extension. The Galantamine USA-1 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2261-2268
  • 05 Raskind MA et al. Galantamine is safe and effective during long-term therapy in patients with Alzheimer's disease. Poster präsentiert auf dem 127th Annual Meeting of the American Neurological Association (ANA) New York, New York, 13.-16. Oktober 2002. 
  • 06 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment on caregiver time in Alzheimer's disease.  Int J Geriatr Psychiatry. 2003;  18 (10) 942-950
  • 07 Schäufele M et al. Betreuung von demenziell erkrankten Menschen in Privathaushalten: Potenziale und Grenzen. In: Schneekloth U, Wahl U (Hrsg.). Selbständigkeit und Hilfebedarf bei älteren Menschen in Privathaushalten. Stuttgart: Kohlhammer, 2006. 
  • 08 Tariot PN . et al . A 5-month, randomized, placebo-controlled trial of galantamine in AD. The Galantamine USA-10 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2269-2276

01 Patienten- und Angehörigen-Unterstützung im Leben mit Alzheimer

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Quellen:

  • 01 Feldman H et al. Galantamine delays admission to nursing home. Poster präsentiert auf dem 8th International Montreal/Springfield Symposium on Advances in Alzheimer Therapy, Montreal, Kanada, 14.-17. April 2004. 
  • 02 IQWiG-Abschlußbericht (A05/19-A) zu Cholinesterasehemmern bei Alzheimer Demenz. Köln: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 2007. 
  • 03 Maelicke A . et al . Dualer Wirkmechanismus von Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Demenz.  psychoneuro. 2005;  31 (5) 243-246
  • 04 Raskind MA . et al . Galantamine in AD: A 6-month randomized, placebo-controlled trial with a 6-month extension. The Galantamine USA-1 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2261-2268
  • 05 Raskind MA et al. Galantamine is safe and effective during long-term therapy in patients with Alzheimer's disease. Poster präsentiert auf dem 127th Annual Meeting of the American Neurological Association (ANA) New York, New York, 13.-16. Oktober 2002. 
  • 06 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment on caregiver time in Alzheimer's disease.  Int J Geriatr Psychiatry. 2003;  18 (10) 942-950
  • 07 Schäufele M et al. Betreuung von demenziell erkrankten Menschen in Privathaushalten: Potenziale und Grenzen. In: Schneekloth U, Wahl U (Hrsg.). Selbständigkeit und Hilfebedarf bei älteren Menschen in Privathaushalten. Stuttgart: Kohlhammer, 2006. 
  • 08 Tariot PN . et al . A 5-month, randomized, placebo-controlled trial of galantamine in AD. The Galantamine USA-10 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2269-2276

01 Patienten- und Angehörigen-Unterstützung im Leben mit Alzheimer

 
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Abb. 1 Dualer Wirkmechanismus von Galantamin: Galantamin weist neben der Hemmung der Acetylcholinesterase einen weiteren Wirkmechanismus mit spezifischer Modulation des nikotinischen Teils der cholinergen Neurotransmission auf. Als sogenannter allosterisch potenzierender Ligand (APL) erhöht Galantamin die Empfindlichkeit der verbliebenen nikotinischen Rezeptoren und stärkt somit zusätzlich selektiv die nikotinisch-cholinerge Neurotransmission. Durch diesen zusätzlichen Wirkmechanismus können sowohl das cholinerge Transmittersystem als auch andere Transmittersysteme (z. B. Glutamat, Serotonin, GABA) günstig beeinflusst werden. Galantamin bewirkt möglicherweise daher nicht nur eine Verbesserung der Kognition durch Erhöhung der Acetylcholinspiegel, sondern kann auch durch eine erhöhte Ausschüttung von Glutamat Lernvorgänge unterstützen, durch erhöhte Ausschüttung von Serotonin die Emotionslage verbessern sowie durch eine erhöhte Ausschüttung von GABA angstlösend und agressionsvermindernd wirken [3]

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Abb. 2 Reduzierter Pflegeaufwand unter Galantamin versus Placebo [6]

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