B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24(5): 210-211
DOI: 10.1055/s-2008-1077001
RECHT

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Eigenständige Heilbehandlung durch Sport- und Bewegungstherapeuten?

M. Beden1
  • 1Justiziar des DVGS e. V.
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Publication Date:
10 October 2008 (online)

Einige aktuelle Entscheidungen verschiedener Verwaltungsgerichte zum Heilpraktikergesetz geben Anlass, auf eine neue Entwicklung im Gesundheitsrecht hinzuweisen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat in seiner Entscheidung vom 21.11.2006, Az.: 6 A 10271 / 07 entschieden, dass die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde auch gegenständlich beschränkt auf bestimmte Fachgebiete (dort die Physiotherapie) erteilt werden kann, wenn und soweit dort mit gesetzlicher Billigung eine Ausdifferenzierung der Berufsbilder zu verzeichnen ist. Aufgrund der Ausbildung der Physiotherapeuten sah das Gericht nicht die Notwendigkeit, dass der beantragende Physiotherapeut die Eignungsprüfung nach § 2 Abs. 1 Buchst. I HeilprGDV1 absolvierte. Ebenso wenig sah das Gericht die Erfordernis, dass der Physiotherapeut die Berufsbezeichnung des Heilpraktikers führen muss. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wurde zwischenzeitlich durch die Urteile des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.04.2008, Az.: 4 K 5891 / 07 sowie des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 04.07.2008, Az.: 7 A 3665/ 07 bestätigt. Ablehnend steht dieser Rechtsprechung bislang das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegenüber (Urteil vom 22.08.2007, Az.: 7 K 2003 / 05). In diesem Verfahren wurde allerdings die Berufung, über die noch nicht entschieden ist, zugelassen.

Worum geht es?

In der Beratungspraxis der Sport- und Bewegungstherapeuten werden immer wieder Fragen gestellt, wie: Wie weit geht mein Betätigungsfeld? Was darf ich eigentlich?

Dabei ist zwischen präventiven Maßnahmen, Rehabilitationsmaßnahmen und kurativen Tätigkeiten zu unterscheiden, die auf die Ausübung von Heilkunde gerichtet sind. Die Ausübung der Heilkunde bedarf nach § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz der Erlaubnis, sofern der Ausübende kein Arzt ist. Hieraus folgt, dass ein Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz gegeben ist, wenn Kranke ohne Rezept, ärztliche Approbation oder Heilpraktikererlaubnis behandelt werden. Die präventive Arbeit am Gesunden ist dagegen erlaubnisfrei. Ebenso sind Tätigkeiten unter ärztlicher Aufsicht oder aufgrund ärztlicher Anordnung unproblematisch. Die eigenständige Arbeit mit einem Kranken ist dagegen verboten. Die Abgrenzung, wann Heilkunde ausgeübt wird, kann allerdings im Einzelfall schwierig sein.

Nach § 1 Abs. 2 Heilpraktikergesetz ist Heilkunde im Sinne des Gesetzes jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Das Gesetz macht dabei keinen Unterschied, ob es sich bei den Krankheiten und Leiden um rein körperliche oder aber um solche auch oder ausschließlich seelischer Natur handelt. Ebenso wenig stellt es auf die Behandlungsweise ab. Vielmehr liegt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschriften stets Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes vor, wenn die Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung medizinische Fachkenntnisse voraussetzt und wenn die Behandlung – bei generalisierender und typisierender Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit – gesundheitliche Schädigungen verursachen kann. Die medizinischen Fähigkeiten können notwendig sein im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit selbst, die, ohne Kenntnisse durchgeführt, den Patienten schädigen kann, oder im Hinblick auf die Feststellung, ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf. Dabei fallen auch solche Verrichtungen unter die Erlaubnispflicht, die Gesundheitsgefährdungen mittelbar dadurch zur Folge haben können, dass ein frühzeitiges Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetzt, verzögert werden kann, und die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist.

Liegt im Sinne dieser Definition eine heilkundliche Tätigkeit vor, darf sie nicht eigenständig vom Sport- und Bewegungstherapeuten erbracht werden. Die gleiche Situation liegt auch beim Physiotherapeuten vor. Die Leistungseinschränkungen im Gesundheitswesen haben dazu geführt, dass bereits in der Vergangenheit Physiotherapeuten die Heilpraktikerprüfung absolviert haben, um privat zahlende Patienten ohne Rezept behandeln zu können. Eine Abrechnung gegenüber den Krankenkassen scheidet bekanntlich aus, da sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Krankenversicherung die ärztliche Verordnung Voraussetzung einer Leistungspflicht ist. Da die Eignungsprüfung nach dem Heilpraktikergesetz mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist, lag es nahe, die Anerkennung ohne Prüfung gerichtlich durchzusetzen.

Die Urteile in Kürze

Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichts Oldenburg sind weitgehend deckungsgleich. Das nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vertritt eine abweichende Auffassung.

Die ersten drei Gerichte setzen sich zunächst mit der Frage auseinander, ob Physiotherapeuten die Heilpraktikererlaubnis, beschränkt auf den Bereich der Physiotherapie, ohne weitere Eignungsprüfung erteilt werden muss. Dabei stellen die Gerichte übereinstimmend fest, dass die Behörden bei der Erlaubniserteilung kein Ermessen ausüben können. Vielmehr ist jeder Antragsteller ohne Bestallung zuzulassen, wenn kein sich aus § 2 Abs. 1 der 1. DVO HeilPrG ergebender – rechtsstaatlich unbedenklicher – Versagungsgrund gegeben ist. Wie die Überprüfung zu erfolgen hat, ist weder im Heilpraktikergesetz noch in der Durchführungsverordnung geregelt.

Im Folgenden setzen sich die Gerichte dann sehr intensiv mit den Prüfungsvoraussetzungen der im Masseur- und Physiotherapeutengesetz umschriebenen Ausbildung der Physiotherapeuten auseinander und kommen letztendlich nach Anhörung verschiedener Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass die Ausbildung und Prüfung der Physiotherapeuten im Bereich der Physiotherapie im Vergleich zu der Ausbildung und Prüfung der Heilpraktiker umfassender ist. Aus diesem Grund sehen die Gerichte die grundsätzliche Eignung der Physiotherapeuten im Bereich der Physiotherapie nach dem Heilpraktikergesetz als gegeben an. Dabei stellen die Gerichte in den Urteilen erkennbar darauf ab, dass die Eignung der Physiotherapeuten durch eine staatliche Prüfung nachgewiesen ist.

Auch in der im Heilpraktikergesetz enthaltenen Universalität der Heilpraktikererlaubnis sehen die Gerichte kein Hindernis. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 21.01.1993, Az.: 3 C 34.90, entschieden, dass bei Psychotherapeuten eine gegenständliche beschränkte Erlaubnis zu erteilen war. Der Grund liegt darin, dass sich die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe seit dem Erlass des Heilpraktikergesetzes in damals nicht voraussehbarer Weise ausdifferenziert haben, sodass Anlass bestehe, die Vorschriften des vorkonstitutionellen Heilpraktikergesetzes im Wege der Auslegung an die gegenwärtigen Gegebenheiten anzupassen. Die gleiche Argumentation verwenden die Gerichte für den Bereich der Physiotherapie.

Abschließend stellten alle drei Verwaltungsgerichte fest, dass die klagenden Physiotherapeuten nicht verpflichtet sind, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker” zu führen. Diese Verpflichtung treffe nur den Personenkreis der Heilpraktiker ohne spezielle heilkundliche Berufsausbildung, dem nur eine umfassende Heilpraktikererlaubnis zuteil werden kann. Einen sachlichen Grund, die Berufsbezeichnung ohne Ausnahme auf das gesamte Berufsfeld der nicht approbierten Heilbehandler anzuwenden, gebe es nicht. Mit der Berufsbezeichnung „Heilpraktiker” verbänden sich nämlich Vorstellungen, deren Übertragung auf den Absolventen einer qualifizierten heilkundlichen Berufsausbildung diskriminierend sein kann, sodass es gerechtfertigt erscheine, den Titelführungszwang jedenfalls insoweit zu lockern.

Perspektiven für die Sport- und Bewegungstherapie

Die Urteile der genannten Verwaltungsgerichte können nicht eins zu eins auf den Bereich der Sport- und Bewegungstherapie übertragen werden. Im Gegensatz zu den Physiotherapeuten existiert im Bereich der Sport- und Bewegungstherapie kein gesetzlich geregelter Abschluss. Auf diesen stellen die Gerichte im Bereich der Physiotherapie allerdings u. a. ab, da dieser Abschluss eine Garantie für die Eignung anstelle der staatlichen Heilpraktikerprüfung gebe.

Gleichwohl eröffnen die Urteile eine Chance, auch als Sport- und Bewegungstherapeut die gegenständliche begrenzte Heilpraktikererlaubnis ohne Absolvieren der Heilpraktikerprüfung zu beantragen. Auch wenn von diesen keine staatliche Prüfung absolviert wird, müssen die Absolventen ein einschlägiges Studium nachweisen, um zur Prüfung zugelassen zu werden. Darüber hinaus existieren wie im Bereich der Physiotherapie auch im Bereich der Sport- und Bewegungstherapie Ausbildungs- und Prüfungsordnungen. Nach diesen sind schulmedizinische Grundkenntnisse der Anatomie, Physiologie und Diagnostik – insbesondere der Pathologie und Psychologie – mit besonderen Kenntnissen in Trainings- und Bewegungslehre erforderlich. Aus diesem Grunde liegt bezogen auf den gegenständlich beschränkten Bereich der Sport- und Bewegungstherapie bei den Absolventen ein schulmedizinisch fundiertes Wissen vor, das das Wissen eines Heilpraktikers in diesem Bereich sicherlich übersteigt. Es ist davon auszugehen, dass diese Tatsache in einem Gerichtsverfahren durch Gutachter belegt werden kann.

Zwischenzeitlich ist ein Verfahren anhängig, das mit Unterstützung des DVGS geführt wird, um eine gegenständlich beschränkte Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz ohne Heilpraktikerprüfung für einen Sport- und Bewegungstherapeuten zu erhalten. Über das Ergebnis dieses Verfahrens werden wir zu gegebener Zeit berichten.

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M. Beden

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