Gastroenterologie up2date 2008; 4(2): 104-105
DOI: 10.1055/s-2008-1077327
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Leberzellkarzinom: Daten zum epidermalen Wachstumsfaktor - aktuell ohne pathogenetische und klinische Relevanz

Hubert  E.  Blum
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Publication Date:
16 June 2008 (online)

Kommentar zu:

Genpolymorphismus von epidermalem Wachstumsfaktor und das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom bei Patienten mit Leberzirrhose

Epidermal growth factor gene functional polymorphism and the risk of hepatocellular carcinoma in patients with cirrhosis

Tanabe KK, Lemoine A, Finkelstein DM, Kawasaki H, Fujii T, Chung RT, Lauwers GY, Kulu Y, Muzikansky A, Kuruppu D, Lanuti M, Goodwin JM, Azoulay D, Fuchs BC; Division of Surgical Oncology, Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, MA 02114-2696, USA

Hintergrund: Es gibt zunehmend Hinweise, dass der epidermale Wachstumsfaktor (EGF) bedeutsam ist für die maligne Transformation und Progression von Tumoren. So bewirkt die Überexpression eines humanen EGF-Fusionsproteins in den Leberzellen transgener Mäuse, dass diese ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) entwickeln. K.K. Tanabe et al. sahen sich nun die Rolle der Genexpression von EGF beim Leberzellkarzinom einmal genauer an.

Methoden: Sie überprüften dabei die Zusammenhänge zwischen Einzelnukleotid-Polymorphismen des EGF-Gens, EGF-Expression und dem Risiko für ein HCC. Dazu führten sie Genanalysen an humanen Leberzellkarzinom-Zelllinien durch. Anschließend sequenzierten sie die DNA der Hepatozyten von 207 US-amerikanischen Patienten mit Leberzirrhose unterschiedlicher Genese. 59 litten an einem HCC. Ihre Ergebnisse validierten sie an 121 französischen Patienten mit alkoholischer Leberzirrhose, 44 davon mit HCC. Für die Bestimmung des EGF-Genpolymorphismus-Genotyps wurden Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismen verwendet.

Ergebnisse: Transkripte des EGF-61*G-Allels hatten gegenüber denen des 61*A-Allels die doppelte Halbwertszeit. In G/G-HCC-Zelllinien fand sich im Vergleich zu A/A-Zelllinien eine 2,3-fach höhere Sekretion von EGF. Patienten mit G/G-Genotyp hatten, verglichen mit A/A-Patienten, 1,8-fach höhere Serum- und 2,4-fach höhere Leberspiegel von EGF. Die Analyse der Allelfrequenzen in der amerikanischen Population erbrachte beim Genotyp G/G ein 4-fach höheres Risiko für ein HCC im Vergleich zum Genotyp A/A. Bei den französischen Patienten war dieses Risiko 2,9-fach höher. Die Regressionsanalyse zeigte, dass die Anzahl der G-Kopien nach Anpassung bezüglich möglicher Störfaktoren signifikant mit einem HCC korrelierte.

Folgerungen: Der Genotyp des EGF-Genpolymorphismus korreliert bei Leberzirrhose durch Modulation des EGF-Spiegels mit dem Risiko, ein HCC zu entwickeln, so die Autoren.

JAMA 2008; 299: 53 - 60

Bekannte Risikokonstellationen. Der referierte Beitrag reiht sich in eine Vielzahl von Studien zur Identifikation individueller Risikofaktoren für die Entstehung des HCC sowie für die Prognose und das Rezidivrisiko ein. Zu unterscheiden sind hierbei drei Aspekte:

Ätiologiespezifische Hochrisikokonstellationen, z. B. bei chronischer Hepatitis B die Positivität für e-Antigen (HBeAg) 1 2 sowie eine hohe Virämie auch bei HBeAg-negativen Patienten mit normalen Transaminasen 3, bei chronischer Hepatitis C eine Infektion mit Genotyp 1 4 oder bei alkoholbedingter Lebererkrankung die Menge an regelmäßig konsumiertem Alkohol. Angeborene genetische Risikofaktoren, die in Patientenlymphozyten nachweisbar sind und zu denen auch die diskutierte A-G-Transition in Position 61 des EGF-Gens (EGF-61*G-Allel) zählt. Im Laufe der Progression der Lebererkrankung zur Leberzirrhose und zum HCC erworbene genetische Veränderungen, die zur HCC-Entstehung, -Progression, -Metastasierung und -Rezidivhäufigkeit beitragen.

Alle drei Aspekte interagieren potenziell, indem z. B. der o. g. EGF-61-G-Polymorphismus selbst vermutlich keine onkogene Wirkung hat, aber bei einer bestehenden Lebererkrankung das HCC-Risiko erhöhen kann.

Interpretationsschwierigkeiten. Die Daten sind interessant, die pathogenetische und klinische Relevanz bleiben jedoch unklar. Offensichtlich ist der Beitrag des EGF-61-G-Polymorphismus abhängig von der Ätiologie der Lebererkrankung. Es ist bekannt, dass das HCC-Risiko für Patienten mit chronischer Hepatitis B oder C deutlich höher ist als für Patienten mit alkoholtoxischer Leberzirrhose. Da die Häufigkeit des EGF-61-Polymorphismus bei den amerikanischen und den französischen Patienten vergleichbar ist, ist es wahrscheinlich, dass die Ätiologie der Lebererkrankung für den Beitrag des EGF-61-Polymorphismus zum HCC-Risiko von Bedeutung ist. Während bei den französischen Patienten mit ausschließlich alkoholtoxischer Leberzirrhose der EGF-61-A/G-Polymorphismus das HCC-Risiko nicht erhöht, erhöht der G/G-Polymorphismus das HCC-Risiko um das 3-fache, allerdings nur knapp signifikant. Im Vergleich dazu ist bei den amerikanischen Patienten das HCC-Risiko abhängig vom EGF-61-Polymorphismus knapp signifikant (A/G p = 0,05) bzw. signifikant erhöht (G/G p = 0,02). Gleichzeitig ist die Ursache der Leberzirrhose bei diesen Patienten jedoch sehr heterogen. Ferner liegen für die amerikanischen Patienten keine Informationen zur Dauer und Schwere der Lebererkrankung vor. Die Daten sind daher nicht interpretierbar. Gleichzeitig ist eine ätiologieorientierte statistische Subgruppenanalyse wegen der dann zu kleinen Anzahl der Patienten nicht möglich.

Die Daten sind deshalb - und auch wegen der retrospektiven Natur der Studie - aktuell nicht ausreichend, um den EGF-61-Genpolymorphismus als klinisch relevanten Risikoparameter anzusehen.

Erstpublikation: DMW 2008; 133: 398

Literatur

  • 1 Yang H I, Lu S N, Liaw Y F. et al . Hepatitis B e antigen and the risk of hepatocellular carcinoma.  N Engl J Med. 2002;  347 168-174
  • 2 Sun H, Zhang W, Qin L. et al . Positive serum hepatitis B e antigen is associated with higher risk of early recurrence and poorer survival in patients after curative resection of hepatitis B-related hepatocellular carcinoma.  J Hepatol. 2007;  47 684-690
  • 3 Chen C J, Yang H I, Su J. et al . Risk of hepatocellular carcinoma across a biological gradient of serum hepatitis B virus DNA level.  JAMA. 2006;  295 65-73
  • 4 Bruno S, Crosignani A, Maisonneuve P. et al . Hepatitis C virus genotype 1b as a major risk factor associated with hepatocellular carcinoma in patients with cirrhosis: a seventeen-year prospective cohort study.  Hepatology. 2007;  46 1350-1356

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hubert E. Blum

Abteilung Innere Medizin II
Medizinische Universitätsklinik Freiburg

Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg

Email: hubert.blum@uniklinik-freiburg.de

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