psychoneuro 2008; 34(5): 280-281
DOI: 10.1055/s-2008-1081032
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Versorgung bei Alzheimer-Demenz - Patienten profitieren von Galantamin

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Publication Date:
03 July 2008 (online)

 
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Soll- und Ist-Zustand bei der Versorgung von Alzheimer-Patienten sind auch heute noch weit voneinander entfernt. Nationale und internationale Fachgesellschaften, wie die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) sowie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bestätigen den klinischen Nutzen von Acetylcholinesteraseinhibitoren (AchI). Nach den Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (www.dgn.de) gilt:

  • Die dauerhafte Behandlung mit Acetylcholinesteraseinhibitoren (AChI) gilt als evidenzbasierte Therapie der 1. Wahl bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung.

  • AChI sind wirksam, auch in der Einschätzung durch unabhängige Institute wie die Cochrane Collaboration und Gremien mit Regierungsauftrag, wie IQWiG und NICE.

  • Der Nutzen ist umso größer, je früher mit der Behandlung begonnen wird.

  • Jeder Patient sollte auf die maximal verträgliche Dosis eingestellt werden.

  • Zu jedem beliebigen Zeitraum profitieren behandelte gegenüber unbehandelten Patienten von der Therapie.

Die Behandlungsrealität sieht jedoch leider anders aus. Nur jeder vierte Demenzpatient (26%) in Europa erhält ein Antidementivum [1]. Die Wahrscheinlichkeit ein Antidementivum zu erhalten, sinkt mit zunehmendem Alter. Dabei sprechen die Studienergebnisse eine klare Sprache. Auf den Ebenen von Kognition und Pflegebedürftigkeit, über die sich nach einer EMNID-Umfrage aus dem Jahr 2006 die Patienten am meisten Sorgen machen, liegen deutliche Ergebnisse vor. Nach einer Metaanalyse des National Institute for Clinical Excellence (NICE) von Studien über den Effekt von Cholinesterasehemmern auf die Kognition, zeigt sich insbesondere für Galantamin eine gute Wirksamkeit in allen Schweregraden [2]. Auch zu weiteren patientenrelevanten Eckpunkten wie Alltagsaktivität, Verbesserung psychopathologischer Symptome, Betreuungsaufwand und Lebensqualität der betreuenden Angehörigen liegen evidente Daten vor. So verringert sich die erforderliche Pflegezeit bei mittelschwerer Demenz unter Galantamin pro Tag und Patient im Durchschnitt um 121 Minuten [6]. Den hohen Nutzen von Galantamin bestätigt auch das IQWiG in seiner Stellungnahme zur Bewertung der Acetylcholinesterasehemmer. Eine positive Wirkung auf psychopathologische Symptome, Lebensqualität der (betreuenden) Angehörigen und Betreuungsaufwand wurden dabei einzig für Galantamin festgestellt (Tab. [1]).

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Abb. 1 Metaanalyse von NICE: Galantamin hat in der Verhinderung des Kognitionsabbaus die Nase vorn

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Abb. 2 Langzeitdaten zur Änderung der Kognition unter Galantamin

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Tab. 1 Nutzenbewertung von Galantamin für Patienten und Angehörige

Als Ursache für den Vorteil von Galantamin gegenüber anderen AChIs wird der duale Wirkmechanismus von Galantamin diskutiert. Neben der Hemmung der Acetylcholinesterase moduliert Galantamin auch die nikotinergen Rezeptoren und erleichtert so die neuronale Signalweiterleitung. Die Empfindlichkeit dieser Rezeptoren wird erhöht und damit die Freisetzung von Glutamat verstärkt, das Lernen und das Gedächtnis werden verbessert [2].

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Erhalt der Kognition

Raskind et al. veröffentlichten bereits in 2000 die Ergebnisse einer sechsmonatigen, doppelblinden, placebokontrollierten Studie bezüglich eines Effektes von Galantamin auf die Kognition an 636 Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Erkrankung. Bei Studienende war der Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe auf der ADAS-cog/11-Subskala (11-Item AD Assessment Scale cognitive subscale) signifikant gegenüber Placebo (p < 0,001) [3]. Die Studie wurde danach offen weitergeführt. Mittlerweile liegen die Daten auch aus anderen offenen Fortsetzungsstudien bis zu vier Jahren vor, welche die Wirksamkeit von Galantamin auf die Kognition bestätigen [4].

Letztes Jahr stellte Prof. Elio Scarpini, Mailand, auf dem 17th Meeting of the European Neurological Society (ENS) die ersten Daten einer über zwei Jahren laufenden placebokontrollierten Studie zur Kognition vor (Abb. [2]) [5]. Die italienische Untersuchung schloss 254 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung ein. Zunächst erhielten diese in einer offenen Phase 16mg/d Galantamin für 12 Monate. Anschließend wurden die Responder randomisiert mit Galantamin oder Placebo weiterbehandelt. 176 Patienten beendeten die offene 12-Monatsphase. Davon wurden 139 Patienten (80%) als Responder identifiziert und in der doppelblinden Phase randomisiert (n = 76 unter Galantamin, n = 63 unter Placebo).

Die Studie wurde abgebrochen, wenn ein Patient eine Verschlechterung von 4 Punkten auf der ADAS-cog/11-Subskala erreichte. Während der zweijährigen Therapiedauer war dies nach sechs Monaten nur bei einem Patienten (1,3%) in der Galantamingruppe bzw. sieben Patienten (11%) in der Placebogruppe der Fall. Insgesamt erreichten die Patienten der Galantamingruppe diesen Endpunkt erst nach durchschnittlich 726 Tagen, die Patienten der Placebogruppe bereits nach 552 Tagen (p < 0,05). Eine relevante Verschlechterung der Kognition konnte also nachweislich um rund sechs Monate durch die Galantamintherapie verzögert werden (Tab. [1]).

Eine Metaanalyse des NICE zeigte die Verlangsamung des kognitiven Abbaus (ermittelt mit dem Mini-Mental-Status-Test, MMST) in allen Schweregraden unter Galantamin auch im Vergleich zu den anderen AChIs (www.nice.org.uk). In schweren Demenzstadien verbesserten sich die Patienten unter Galantamin sogar um 6,1 Punkte auf der ADAS-cog/11-Subskala im Vergleich zu den Ausgangswerten (Abb. [1]).

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Galantamin - sichtbare Wirksamkeit

Die Wirksamkeit von Galatamin kann in bildgebenden Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fRMT) auch direkt beobachtet werden. Mit dieser Methode können kortikale metabolische Störungen und Aktivierungsdefekte sichtbar gemacht werden. Patienten mit Alzheimer-Demenz weisen im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen eine regionale Verlangsamung des kortikalen Stoffwechsels auf.

Nach einer Pilotstudie von Dr. Arun Bokde, München, und Mitarbeiter kann auch direkt mittels fMRT beobachtet werden, dass Galantamin diese Aktivierungsdefekte wieder verbessert. Die Untersucher behandelten Alzheimerpatienten über drei Monate mit Galantamin (Reminyl®) und nahmen jeweils vor und nach dem Behandlungszeitraum ein fMRT der Patienten auf. Während der Aufnahme stellten sie den Probanden dabei unterschiedliche Aufgaben (z.B. die Lokalisation von Bildern zu vergleichen). Bei diesem Lokalisationsvergleich fielen vor der Behandlung die Aktivierungsmuster der Patienten deutlich geringer aus als bei der gesunden Kontrollgruppe. Nach drei Monaten entsprachen dagegen die fRMT-Aufnahmen bei diesem Versuch denen von Gesunden.

Dr. Katrin Wolf, Eitorf

Quelle: Bokde A. Vortrag "Wirksamkeit sichtbar gemacht in fMRT" im Rahmen des Symposiums "Alzheimer Demenz: Rezeptoren, Bilder, Patienten", veranstaltet von der Janssen-Cilag GmbH, Neuss, auf der 52. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) am 10. April 2008 in Magdeburg

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Literatur

  • 01 Waldemar G . et al . Access to diagnostic evaluation and treatment for dementia in Europe.  Int J Geriatr Psychiatry. 2007;  22 (1) 47-54
  • 02 Maelicke A . Klinische Bedeutung: Dualer Wirkmechanismus von Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Demenz.  psychoneuro. 2005;  31 (5) 243-246
  • 03 Raskind MA . et al . Galantamine in AD: A 6-month randomized, placebo-controlled trial with a 6-month extension. The Galantamine USA-1 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2261-2268
  • 04 Raskind MA et al. Galantamine is safe and effective during long-term therapy in patients with Alzheimer's disease. Poster präsentiert auf dem 127th Annual Meeting of the American Neurological Association (ANA) New York, New York, 13. bis 16. Oktober 2002. 
  • 05 Scarpine E et al. Long-term Treatment With Galantamine in Alzheimer's Disease: GAL-ITA2, an Italian, Multicentre, Randomised, Double-blind, Placebo-controlled trial. Poster präsentiert auf dem ENS-Kongress, 16. bis 20. Juni 2007, Rhodos (Griechenland), Abstract P588. 
  • 06 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment in caregiver time in alzheimer disease.  Int J Geriatr Psychiatr. 2003;  18 (10) 942-950
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Literatur

  • 01 Waldemar G . et al . Access to diagnostic evaluation and treatment for dementia in Europe.  Int J Geriatr Psychiatry. 2007;  22 (1) 47-54
  • 02 Maelicke A . Klinische Bedeutung: Dualer Wirkmechanismus von Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Demenz.  psychoneuro. 2005;  31 (5) 243-246
  • 03 Raskind MA . et al . Galantamine in AD: A 6-month randomized, placebo-controlled trial with a 6-month extension. The Galantamine USA-1 Study Group.  Neurology. 2000;  54 (12) 2261-2268
  • 04 Raskind MA et al. Galantamine is safe and effective during long-term therapy in patients with Alzheimer's disease. Poster präsentiert auf dem 127th Annual Meeting of the American Neurological Association (ANA) New York, New York, 13. bis 16. Oktober 2002. 
  • 05 Scarpine E et al. Long-term Treatment With Galantamine in Alzheimer's Disease: GAL-ITA2, an Italian, Multicentre, Randomised, Double-blind, Placebo-controlled trial. Poster präsentiert auf dem ENS-Kongress, 16. bis 20. Juni 2007, Rhodos (Griechenland), Abstract P588. 
  • 06 Sano M . et al . The effects of galantamine treatment in caregiver time in alzheimer disease.  Int J Geriatr Psychiatr. 2003;  18 (10) 942-950
 
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Abb. 1 Metaanalyse von NICE: Galantamin hat in der Verhinderung des Kognitionsabbaus die Nase vorn

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Abb. 2 Langzeitdaten zur Änderung der Kognition unter Galantamin

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Tab. 1 Nutzenbewertung von Galantamin für Patienten und Angehörige