Diabetes aktuell 2008; 6(3): 131-132
DOI: 10.1055/s-2008-1082343
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Gute Therapie des Diabetes - Die Patienten dort abholen, wo sie stehen

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Publication Date:
07 July 2008 (online)

 
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Ziele und Möglichkeiten der Diabetestherapie und die tatsächlich erreichte Behandlungsqualität klaffen bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen mit Typ-2-Diabetes weit auseinander. Die meisten Patienten sind sich ihrer Eigenverantwortung prinzipiell bewusst, sie empfinden aber die Behandlungsempfehlungen als lästig und fühlen sich überfordert. Eigene konkrete Behandlungsziele haben sie nur selten verinnerlicht und sie stehen häufig ihrer chronischen Erkrankung eher resigniert gegenüber. Als pflichtbewusste Patienten kennen sie zwar ihren HbA1c-Wert als wichtigste Orientierungsgröße ihrer Stoffwechseleinstellung. Sie sind aber nicht in der Lage, seine Bedeutung richtig einzuschätzen und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen.

Diese aufschlussreichen Ergebnisse einer Patientenbefragung wurden erstmals auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in München präsentiert. Die Auswertung macht das vielfach beklagte Missverhältnis zwischen verstärkten therapeutischen Bemühungen und der Stagnation im erzielten Behandlungserfolg deutlich. So kommen einerseits vereinfachte Therapieschemata mit Mischinsulin den Patientenwünschen nach leicht einzuhaltender Behandlung und Abwendung drohender Folgeerkrankungen entgegen. Andererseits bieten neue Therapieoptionen wie die Behandlung mit dem Inkretin-Mimetikum Exenatide (Byetta®) neben einer guten Blutzuckerkontrolle auch Aussicht auf Erfolg in den ansonsten eher frustrierenden Bemühungen um eine Gewichtsreduktion.

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Der HbA1c-Wert ist für die meisten Betroffenen nur eine unverstandene Zahl

Wie Prof. Baptist Gallwitz, Leitender Oberarzt am Universitätsklinikum Tübingen, im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft berichtete, gaben in der Befragung "Choose Control" 752 Menschen mit Typ-2-Diabetes aus fünf europäischen Ländern, darunter 152 aus Deutschland, Auskunft über ihre Gefühle und Erfahrungen mit ihrer Krankheit [1]. Die jeweils 30 Minuten dauernden Telefoninterviews wurden ausschließlich mit Patienten geführt, die nur mit oralen Antidiabetika behandelt wurden. Die letzte HbA1c-Messung durfte nicht länger als sechs Monate zurückliegen und sollte den Zielwert von 6,5 % nicht unterschreiten. Schließlich ging es um eine Bestandsaufnahme darüber, welche Haltung schlecht eingestellte Diabetiker zu ihrer Erkrankung, ihrer Therapie und ihren Lebensumständen insgesamt einnehmen, erläuterte Gallwitz.

Übergewichtig waren 84 % der befragten Deutschen, 45 % sogar adipös (BMI > 30 kg/qm), für 60 % stellt aber eine Gewichtsreduktion den schwierigsten Therapiebaustein dar. Die meisten Patienten gaben zu Protokoll, dass es sie sehr belastet, wenn sie weiter zunehmen. Mit 93 % kannten fast alle ihren HbA1c-Wert, allerdings konnten nur wenige etwas mit dem Messergebnis anfangen. So hielten die Interviewten im Mittel einen HbA1c-Wert von 8,12 % für ein anzustrebendes Ziel. Ihre tatsächlichen Werte erreichten nicht einmal diese Zielgröße. Sie lagen im Schnitt 1,43 % darüber und verfehlten somit die DDG-Empfehlung von 6,5 % sogar um 3,05 Prozentpunkte. Dennoch glaubten 60 %, ihr Langzeitblutzucker sei lediglich "etwas zu hoch". Jeder Vierte ging gar davon aus, er wäre gut eingestellt.

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Der Resignation mit Mut machenden Konzepten begegnen

Vor dem Hintergrund dieser eklatanten Fehleinschätzung ihrer eigenen Situation erklärten sich 60 % der Betroffenen auch nicht bereit, sich auf Insulin umstellen zu lassen, wenn ihr Arzt dies empfehlen würde. Aber auch diejenigen, die dem ärztlichen Rat folgen würden, täten dies in der überwiegenden Mehrzahl nur widerwillig und meinten, sie hätten dann ohnehin keine andere Wahl. Nur 5 % hatten keine Bedenken und hielten die Insulintherapie für eine effektive Alternative.

Obwohl sich drei Viertel aller Befragten Sorgen um Komplikationen und Folgeschäden ihrer Erkrankung machen, haben viele jedoch schon resigniert, stellte Gallwitz weiter fest. So gaben 45 % an, sie hätten weniger Spaß am Leben. Jeder Dritte sorgte sich um seine Zukunft und jeder Fünfte fühlte sich depressiv. Der Diabetologe hielt es für wenig hilfreich, die Resignation der Patienten durch fehlende ärztliche Unterstützung zu verstärken. Dadurch werde eine verbesserungsfähige Therapie aus Bequemlichkeit und falscher Rücksichtnahme unangetastet gelassen. Hilfreicher sei es, den Patienten mit neuen Therapiekonzepten Mut zu machen: "Ein erfolgreiches Gewichtsmanagement kann zum Beispiel ein starker Motivator sein, der das Gefühl vermittelt, die Krankheit im Griff zu haben."

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Mit physiologischer Insulinfreisetzung auch Gewichtsprobleme regeln

Dass eine verbesserte Diabeteseinstellung und zugleich eine spürbare Gewichtsreduktion realisierbar sind, verdeutlichte Prof. Rüdiger Göke, niedergelassener Diabetologe, Marburg, beim Symposium der Lilly Deutschland GmbH am Beispiel des Inkretin-Mimetikums Exenatide (Byetta®). So führte eine Infusion mit dem Inkretinhormon Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) in Studien nach sechs Wochen zu einer Reduktion des Körpergewichts um mehr als 2 % [2]. Aus Erfahrungen mit Exenatide in der eigenen Praxis konnte Göke dies auch für die subkutane Injektion des Inkretin-Mimetikums bestätigen. Neben einer Verbesserung der postprandialen Glukosewerte und einer Senkung des HbA1c kam es auch zu einer spürbaren Gewichtsreduktion, berichtete der Mediziner mit Fallbeispielen. Der Effekt erwies sich am stärksten bei hohem BMI. Das hat seinen Ausführungen nach bei den Patienten auch einen Motivationsschub ausgelöst, die Ernährung umzustellen und sich mehr zu bewegen.

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Bild: Lilly Deutschland GmbH

Des Weiteren führte Göke an, dass das Inkretin-Mimetikum die Insulinfreisetzung aus den Betazellen nicht permanent, sondern nur bedarfsgerecht bei erhöhter Glukose stimuliert. Dies bietet den doppelten Vorteil, dass Unterzuckerungen ausgeschlossen sind, die Fähigkeit der Betazellen aber erhalten bleibt, mit einer schnellen Insulinantwort auf einen Reiz durch Nahrungsaufnahme zu reagieren. Insgesamt geht dabei die Belastung der Betazellen zugunsten einer physiologischen Beanspruchung zurück. Das ist nach den Erläuterungen des Mediziners deshalb von Bedeutung, weil es sich bei einem Typ-2-Diabetes stets um eine progressive Erkrankung mit fortschreitendem Betazellverlust handelt. So ist die Betazellmasse bei Adipösen mit erhöhtem Nüchternblutzucker bereits um 40 % und bei Menschen mit manifestem Typ-2-Diabetes um 60 % reduziert [3]. Da Exenatide pharmakologische Wirkspiegel über den ganzen Tag bereitstellt, die das Doppelte der Wirkstärke von nativem GLP-1 überschreiten, kann es selbst noch bei Patienten im fortgeschrittenen Diabetes-Stadium und weit verminderter Betazellmasse eingesetzt werden, betonte der Experte.

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Einfaches Therapiekonzept verbindet physiologisches Insulinprofil mit Komfort

Als typische Zeichen des Versagens einer OAD-Therapie bei Patienten in der Spätphase eines Typ-2-Diabetes nannte Göke schwere postprandiale Hyperglykämien im Glukose-Tagesprofil. Zur Verringerung des Risikos von diabetischen Folgeerkrankungen sollte man diesen Patienten unbedingt die Vorzüge einer Insulintherapie nahe bringen. Um die Patienten für den Schritt in die Insulintherapie zu gewinnen, riet er zu einem möglichst einfachen Therapiekonzept. Einem physiologischen Wirkprofil mit langwirksamem Basisinsulin und kurzwirksamem Bolusinsulin ist gegenüber anderen Therapieregimen mit Basisinsulin der Vorzug zu geben. Diese Anforderungen erfüllen seiner Auffassung nach Humalog® Mix25 mit 25 % Insulin Lispro und Humalog® Mix50 mit 50 % des kurzwirksamen Insulinanalogons. Mit dreimal täglicher Gabe von Humalog® Mix25 zu den Mahlzeiten lassen sich nicht nur die Nüchternblutzuckerwerte gut kontrollieren, sondern auch die postprandialen Glukosespitzen besser kappen als unter alleiniger Gabe eines langwirksamen Insulinanalogons [4]. Sogar im Vergleich zu einer intensivierten Insulintherapie erwies sich die Behandlung mit dem Mischinsulin (Humalog® Mix50) als nahezu ebenso effektiv, den HbA1c und postprandiale Glukosewerte zu kontrollieren, berichtete Göke [5].

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Bild: Photo Disc Medicine Today

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Umstellung auf Insulin führt rasch und anhaltend zum Behandlungserfolg

Wie Dr. Andreas Liebl, Chefarzt des Diabetes- und Stoffwechselzentrums Bad Heilbrunn, im Rahmen der Veranstaltung hierzu anmerkte, setzten die Diabetologen aus Schwerpunktpraxen im Behandlungsverlauf tatsächlich mehr auf eine kombinierte Basis-Bolus-Insulintherapie als auf eine alleinige prandiale Therapie. Diesen Schluss zog er aus der Auswertung der INSTIGATE-Studie (Insulin Titration - Gaining an Understanding of the Burden of Type 2 Diabetes in Europe) [6]. Den deutschen Ergebnissen dieser prospektiven Beobachtungsstudie zufolge gelang es bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, die erstmals auf Insulin eingestellt wurden, den HbA1c-Wert von durchschnittlich 9,2 % innerhalb von sechs Monaten auf 6,9 % zu senken. Dieser Behandlungserfolg konnte über weitere sechs Monate auch gehalten werden.

Als erschreckend und zugleich sehr aufschlussreich bezeichnete Liebl allerdings die Basisdaten der 1172 Patienten aus fünf beteiligten europäischen Ländern, die zu Beginn der Feldstudie erhoben wurden [7]. Zum einen verweist die extrem schlechte Blutzuckereinstellung bei der Eingangsuntersuchung darauf, dass die meisten Menschen mit Typ-2-Diabetes viel zu spät mit Insulin behandelt werden. Denn HbA1c-Werte über 9 % setzen eine monate-, wenn nicht jahrelange Karriere mit Langzeitblutzuckerwerten voraus, die jenseits der leitliniengerechten Therapieempfehlungen liegen. Diabetesbedingte Folgeschäden sind bei einem solchen Vorgehen regelrecht vorprogrammiert, warnte der Diabetologe. Auch die Tatsache, dass die Patienten zu Beginn der Insulinbehandlung einen Body Mass Index (BMI) von durchschnittlich 29,9 aufwiesen, spricht seinen Ausführungen nach nicht gerade für eine durchgängige Einhaltung leitliniengerechter Therapie. Dabei gilt Übergewicht mit abdominaler Fettverteilung als wesentlicher Risikofaktor für Herz- und Gefäßschäden. Nicht verwunderlich erschien es ihm, dass auch die Triglyzeride bei diesen völlig unzureichend vorbehandelten Patienten mit 254 mg/dl im Mittel massiv erhöht waren.

Auch wenn der Blutzucker bei den auf Insulin umgestellten Patienten in die richtige Richtung ging, blieben allerdings andere Risikofaktoren, die im Rahmen des metabolischen Syndroms berücksichtigt werden müssten, häufig vernachlässigt. So wurde ganz im Gegensatz zu Großbritannien nur ein geringer Teil der Diabetiker in Deutschland mit Lipidsenkern, Thrombozytenaggregationshemmern und Antihypertensiva behandelt. Liebl führte das darauf zurück, dass das Vergütungssystem ärztlicher Leistungen in England eine leitliniengerechte Therapie fördert.

Bericht: Martin Wiehl

Lilly-Symposium "Diabetestherapie heute: Im Spannungsfeld zwischen Behandlungsqualität und Wirtschaftlichkeit" am 1. Mai 2008 im Rahmen der 43. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) in München

Eine Kooperation mit Lilly Deutschland GmbH

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Quellen

  • 01 Gallwitz B: Choose Control - Eine Befragung bei Menschen mit Typ 2 Diabetes (Daten für Deutschland) [Vortrag]. In: Symposium Lilly Deutschland "Diabetestherapie heute: Im Spannungsfeld zwischen Behandlungsqualität und Wirtschaftlichkeit". Jahrestagung der DDG, München, 01.05.2008. 
  • 02 Zander M . et al . Lancet. 2002;  359 824-830
  • 03 Butler AE . et al . Diabetes. 2003;  52 (1) 102-110
  • 04 Malone JK . et al . Diabet Med. 2005;  22 374-381
  • 05 Rosenstock J . et al . Diabetes Care. 2008;  31 20-25
  • 06 Liebl A, et al. Clinical and patient reported outcomes in German patients with insulin type 2 diabetes in the 6 months after starting insulin: INSTIGATE Study [Posterpräsentation]. Jahrestagung der DDG, München, 30.04.-03.05.2008. 
  • 07 Timlin L, et al. Differences in initial insulin regimes initiated in patients with type 2 diabetes in 5 European Countries: INSTIGATE Study [Posterpräsentation] EASD, Amsterdam, 17.-21.9.2007. 
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Quellen

  • 01 Gallwitz B: Choose Control - Eine Befragung bei Menschen mit Typ 2 Diabetes (Daten für Deutschland) [Vortrag]. In: Symposium Lilly Deutschland "Diabetestherapie heute: Im Spannungsfeld zwischen Behandlungsqualität und Wirtschaftlichkeit". Jahrestagung der DDG, München, 01.05.2008. 
  • 02 Zander M . et al . Lancet. 2002;  359 824-830
  • 03 Butler AE . et al . Diabetes. 2003;  52 (1) 102-110
  • 04 Malone JK . et al . Diabet Med. 2005;  22 374-381
  • 05 Rosenstock J . et al . Diabetes Care. 2008;  31 20-25
  • 06 Liebl A, et al. Clinical and patient reported outcomes in German patients with insulin type 2 diabetes in the 6 months after starting insulin: INSTIGATE Study [Posterpräsentation]. Jahrestagung der DDG, München, 30.04.-03.05.2008. 
  • 07 Timlin L, et al. Differences in initial insulin regimes initiated in patients with type 2 diabetes in 5 European Countries: INSTIGATE Study [Posterpräsentation] EASD, Amsterdam, 17.-21.9.2007. 
 
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Bild: Lilly Deutschland GmbH

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Bild: Photo Disc Medicine Today