Hebamme 2018; 31(04): 282
DOI: 10.1055/a-0645-0638
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Entschuldigung, mein Baby vibriert …“

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Publication Date:
05 September 2018 (online)

Am Stützpunkt der nächtlichen Wochenbettstation steht mir ein Vater in Boxershorts mit strubbeliger Sturmfrisur gegenüber. Das Neugeborene, das in seinen Armen zappelt, hält er mit beiden Händen einige Zentimeter von sich gestreckt, als wäre es ein überdimensionales, sehr, sehr zerbrechliches Ei, das jederzeit zerspringen könnte, wenn man es zu fest in den Arm nehmen würde. Er wirkt müde und ernstlich besorgt, das Baby hauptsächlich unbehaglich und leicht absturzgefährdet.

„Ja bitteschön, wie kann ich Ihnen helfen?“ Er sieht mich sehr ernst an. „Ja also, unser Baby vibriert regelmäßig und kontinuierlich …“ Er streckt das Kind noch ein bisschen weiter von sich und hält es mir direkt unter die Nase. Ich bin nur kurz überrascht und dann schwer damit beschäftigt ein Schmunzeln zu unterdrücken. Ich besehe mir den kleinen Kerl, der mich aus wachen, aufmerksamen Augen ansieht und wohl denkt: „Er macht wieder Theater ...“

Er gluckst leise, ehe er unter der nächsten Zwerchfellkontraktion erzittert. Sie sehen ja wirklich gebeutelt aus, wenn sie Schluckauf haben! Meine Erheiterung, ob der „Problematik“ habe ich mittlerweile in ein mitfühlendes Lächeln verpackt, das ich dem frischgebackenen Vater schenke. Ich erkläre ihm sachlich, was seinen kleinen Schatz da gerade – durchaus regelmäßig und kontinuierlich – bewegt, nehme ihm das Kind aus den Händen und lege es ihm in den Arm. „Sie können ihn ruhig festhalten, das macht ihm nichts und dann fühlt er sich gleich wohler. Wenn es gar nicht aufhören will, soll er noch einen Schluck aus dem Busen nehmen.“ Ich begleite die beiden zurück aufs Zimmer, in dem eine erschöpfte Wöchnerin leise schnarcht und lege ihre beiden Jungs neben ihr schlafen.

Die restliche Nacht philosophieren meine Kolleginnen und ich über die Unsicherheit frischgebackener Eltern und sammeln ähnlich lustige Fragen wie: „In welchem Winkel soll ich mein Kind anlegen?“ (Da war ich kurz versucht, zu antworten: „Am besten im rechten!“) Oder: „Mein Baby will gar nicht allein in seinem Bettchen liegen, ist das normal?“

Mir scheint es manchmal beinahe absurd, wie Eltern manche Dinge so sehr zerdenken, dass sie dabei gänzlich den Bezug zur Realität verlieren. Aber wenigstens erheitern sie mit ihren Fragen ein bisschen unseren nächtlichen Dienst – durchaus regelmäßig und kontinuierlich.

Zur Person
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Agnes Maier ist leidenschaftliche Hebamme, Slam-Poetin und Mutter einer Tochter. Sie lebt und arbeitet in Graz. Im September erscheint bei Lektora ihr erstes Buch: Veni, Vidi, Vulva. Slamtexte aus dem Leben einer Hebamme.