Der Nuklearmediziner 2018; 41(04): 287-288
DOI: 10.1055/a-0671-5391
Radiochemie in Klinik und Praxis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial zur Ausgabe: „Radiochemie in Klinik und Praxis“

Radiochemistry in Clinic and Doctorʼs Surgery
Christoph Solbach
Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Ulm, Ulm
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Publication Date:
21 December 2018 (online)

Sorgsam ausgearbeitete und effiziente radiochemische Prozesse und Verfahrensweisen zur sicheren Produktion moderner Radiopharmaka garantieren eine effektive und präzise nuklearmedizinische Bildgebung in Praxis und Klinik, die von hoher Aussagekraft geprägt ist. Die Radiochemie, genauer gesagt die Radiopharmazie, stellt somit zweifellos die Basis der nuklearmedizinischen Patientenversorgung dar.

Um keine Missverständnisse zu etablieren, vorab ein erläuternder Abschnitt zur Verwendung der Begriffe „Radiochemie“ und „Radiopharmazie“: beide Bezeichnungen des Fachgebietes werden praktisch synonym im Kontext der Nuklearmedizin verwendet. Genau genommen sollte die pharmazeutische Produktion radiomarkierter Verbindungen für die nuklearmedizinische Diagnostik oder Therapie unter der Bezeichnung Radiopharmazie eingeordnet werden, da es sich um pharmazeutische Abläufe und Verfahrensweisen zur Herstellung und Prüfung dieser speziellen Pharmaka für die Humananwendung handelt. Natürlich bilden hierbei die radiochemischen Arbeitsschritte wie die Herstellung des sog. Markierungsvorläufers (z.B. 11C-Methyliodid für Markierungen mit Kohlenstoff-11) für die eigentliche Radiomarkierung des Radiopharmakons einen wichtigen Kern dieser Abläufe mit Bezug zu Ausbeute und Effizienz. Das entscheidende Kriterium für die Anwendung ist allerdings die (radio)pharmazeutische Qualität des Produktes. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass das Arbeitsgebiet der Radiopharmazie praktisch ausschließlich von Radiochemikern, Radiochemie-Ingenieuren und Technikern besetzt wird. Radiopharmazeutisch tätige Apotheker stellen eine absolute Ausnahme dar.

Betrachtet man nun die Entwicklung des Fachs Nuklearmedizin über die letzten 25 Jahre, so fällt auf, dass diese durch eine große Anzahl von Innovationen und von enormer wissenschaftlicher Dynamik gekennzeichnet ist. Exemplarisch sei nur auf einige der Wichtigsten hier nachfolgend in aller Kürze eingegangen. Neben der Weiterentwicklung der Kamera-Systeme, z. B. von einfachen ersten kommerziellen Positronen-Emissions-Tomografen (PET) über die Einführung der PET/CT-Maschinen bis hin zu modernen PET/MR-Geräten (aber auch szintigrafische Fusionsgeräte wie SPECT/CT) oder der Entwicklung potenter medizinischer Zyklotrone und moderner Radionuklidgeneratorsysteme für die Radionuklidproduktion, waren es vor allem die Arbeiten innovativer Radiochemiker und Radiopharmazeuten, die durch die Entwicklung neuer Radiopharmaka oder auch durch die kreative Entwicklung neuer oder effizienterer Synthesewege die Grundlage für die molekulare Bildgebung neuer und z. T. bisher nicht zugänglicher biologischer Targets erarbeiteten. Explizit sei hierbei unter anderem auf die auch in dieser Ausgabe dargestellten Arbeiten zu Somatostatin-Rezeptor-Imaging und -Therapie, der Bildgebung pathologischer β-Amyloid- und Tau-Ablagerungen oder auch zur Bildgebung und Therapie des (metastasierten) Prostata-Karzinoms verwiesen.

Das Arbeitsfeld des niedergelassenen Nuklearmediziners und des klinisch tätigen Kollegen unterscheidet sich nicht unbedingt vom Grundsätzlichen, sondern vielmehr in der Regel vor allem durch die unterschiedlichen Voraussetzungen bezüglich der vorhandenen Infrastruktur und hierbei primär der radiochemischen bzw. radiopharmazeutischen Ausstattung. Der Betrieb eines eigenen Heißlabores für die Produktion und Qualitätskontrolle ist für den niedergelassenen Nuklearmediziner sicherlich schon sehr aufwendig und trotzdem ist dieser in der Regel auf die Anwendung entsprechender Radiopharmaka aus zugelassenen Radiopharmaka-Kits zumeist unter Verwendung eines zugelassenen 99mTc-Generators oder auf Basis eines 68Ga-Generators beschränkt. Zusätzlich besteht aber auch die Möglichkeit, zugelassene Radiopharmaka wie z.B. 18FDG kommerziell zu erwerben und anzuwenden. Dem gegenüber kann jedoch der klinisch tätige Nuklearmediziner (innerhalb z. B. einer Uniklinik oder eines Forschungszentrums) zumeist auf die fachkundige Unterstützung durch einen separaten Radiopharmazie-Bereich inklusive Zyklotron, Hot Cells, speziellen Synthesizern und Reinraum für die Produktion steriler Radiopharmaka zurückgreifen, der vor allem auch über die entsprechende personelle Ausstattung mit Radiopharmazeuten, Ingenieuren und Technikern verfügt. Somit steht dem klinisch tätigen Nuklearmediziner in der Regel zusätzlich – neben den „klassischen“ Kit-Radiopharmaka – ein großes Spektrum verschiedenster und hochaktueller PET-Radiopharmaka zur Verfügung, deren Anwendung dem niedergelassenen Kollegen unter anderem auch aus Gründen der mangelnden Verkehrsfähigkeit solcher nicht zugelassener Radiopharmaka verwehrt bleibt.

Die rechtliche Situation der Radiopharmaka-Herstellung und Anwendung ist unübersichtlich und unterliegt ebenfalls immer wieder kurzfristigen Veränderungen insbesondere im Hinblick auf die Interpretation der Gesetzeslage. Als problematisch diesbezüglich erweist sich das föderale System der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Hoheit der Arzneimittelüberwachung in den jeweiligen Landesbehörden angesiedelt ist. Dies führt wiederum dazu, dass es zu unterschiedlichen Auslegungen der relevanten Gesetzestexte und Guidelines kommt. Insbesondere die Auslegung der nach § 13 Abs. 2b AMG erlaubnisfreien Selbstherstellung durch einen selbstanwendenden Arzt, die je nach Bundesland ggf. in sehr unterschiedlicher Weise akzeptiert wird, ist hiervon betroffen. Zum Teil wird von Landesaufsichtsbehörden die unmittelbare räumliche Nähe des Arztes gefordert, während in einem anderen Bundesland die Produktionsverantwortung des Arztes ggf. auch über größere Distanzen (> 100 km) akzeptiert wird. Wünschenswert wären hierzu bundeseinheitliche Regelungen, um den daraus durchaus resultierenden unterschiedlichen Versorgungslagen und möglichen Wettbewerbsverzerrungen, die ein Ärgernis darstellen, Abhilfe zu schaffen. Unterstützt werden solche Bemühungen insbesondere von der EFG 12 (Expertenfachgruppe 12; bestehend aus den Vertreter der einzelnen Inspektorate der Landesaufsichtsbehörden unter Beteiligung des BfArM) bei der ZLG (Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten), die sich um eine einheitliche Interpretation der gesetzlichen Vorgaben bemüht und diese Empfehlungen in Ihren EFG-Voten und Aide-memoire Texten zumeist auch öffentlich macht.

Für den niedergelassenen Nuklearmediziner ist insbesondere die im Jahre 2009 im Zuge der 15. AMG Novellierung erfolgte „Neuinterpretation“ der zuvor als „Rekonstitution“, im Sinne des § 4 Abs. 31 AMG, akzeptierten Anwendung zugelassener Radiopharmaka-Kits problematisch. Die Anwendung solcher Radiopharmaka-Kits wird seitdem als „Herstellung“ interpretiert und ist somit nach § 67 Abs. 2 AMG und § 13 Abs. 2b AMG bei der zuständigen Landesaufsichtsbehörde anzeigepflichtig und verpflichtet somit zur Einhaltung gewisser Mindeststandards (Arzneibuch). Die dazu ggf. notwendige bauliche Umsetzung entsprechender Maßnahmen ist kostenintensiv und z. T. – je nach baulicher Voraussetzung – evtl. gar nicht umsetzbar. Kaum nachvollziehbar bleibt, warum hier eine langjährig etablierte und sichere Vorgehensweise ohne Not eingestellt wurde.

Das Arbeitsfeld des klinisch tätigen Radiochemikers ist durch eine Vielzahl von Aufgaben und Funktionen gekennzeichnet. Neben der Leitung und Organisation eines hochtechnisierten Bereiches (u.a. mit Zyklotron, Reinraum, Hot Cells, Synthesizer, chromatographische Systeme der Qualitätskontrolle, Lager, Partikelmonitoring, Luftkeimmonitoring, LAF-Bank, radiopharmazeutischer Isolator zur Abfüllung unter Reinraum A-Bedingungen, Strahlenschutzmonitoring etc.) übernimmt er Verantwortung gegenüber den zuständigen Aufsichtsbehörden (StrSch-Überwachung und Arzneimittelüberwachung) und steht in der Regel in den Funktionen als Sachkundige Person und Strahlenschutzbeauftragter diesen als unmittelbarer Ansprechpartner zur Verfügung. Das sich aufgrund zum Teil konträrer Anforderungen der beiden Aufsichtsbehörden ergebende Spannungsfeld bedarf dabei eines umsichtigen Umgangs. Dies gestaltet sich zum Teil schwierig, da sich die behördlichen Anforderungen z. B. an universitäre Radiopharmaka-Hersteller im Grundsatz nicht von denen an große Pharma-Firmen, die jedoch über ein Vielfaches an Fachpersonal verfügen, unterscheiden.

Aufgrund des zumeist als Quereinstieg vollzogenen Berufsbeginns eines pharmazeutisch tätigen Radiochemikers ist der Bedarf nach intensiver Einarbeitung und externer Weiterbildung nachvollziehbar. Insbesondere arzneimittelrechtliche Grundlagen, GMP-Kenntnisse und pharmazeutisches Grundlagenwissen sind von essenzieller Bedeutung für die Tätigkeit. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen bedarf es der Unterstützung der Klinikleitung, in deren unmittelbarem eigenen Interesse solche qualitätssichernden Weiterbildungen vor allem im Sinne der Arzneimittelsicherheit liegen. Verwiesen sei hierbei auf die ärztliche Verantwortungsübernahme der nach § 13 Abs. 2b AMG delegierten Radiopharmakaproduktionen.

Die vorliegende Ausgabe „Radiochemie in Klinik und Praxis“ soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen des Fachs und deren Umsetzung in Klinik und Praxis geben. Darüber hinaus bietet es punktuell Hilfestellung und Informationen zu einzelnen Sachfragen. Die Autoren dieser Ausgabe sind ausnahmslos renommierte Vertreter Ihres Fachgebietes und somit auch als Ansprechpartner qualifiziert.