Handchir Mikrochir Plast Chir 2019; 51(03): 216-217
DOI: 10.1055/a-0824-7319
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der „verschwundene“ Ring

The „missing“ ring
Asim Gueven
,
Jessica Almeida
,
Sixtus Allert
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Publication History

Publication Date:
31 January 2019 (online)

Bei der Versorgung handchirurgischer Patienten ist es eines der Grundprinzipien, dass im Rahmen von Verletzungen oder Erkrankungen sämtlicher Schmuck – dabei vor allem Ringe – am betroffenen Arm zügig entfernt wird. Grund ist die Gefahr einer Konstriktion der Gefäß-Nervenbündel durch massives Anschwellen, was im äußersten Fall bis zur Nekrose eines Fingers führen kann.

Nicht selten lassen sich Ringe nach Verletzungen der Finger, aber auch der Hand und des Handgelenkes nicht mehr problemlos vom Finger abziehen. Grund sind akute Schwellungen in Folge des Unfallgeschehens, aber auch vorbestehende Verdickungen der Mittelgelenke, verursacht z. B. durch eine sich langsam entwickelnde Bouchard-Arthrose. Ist ein Ring nicht mehr problemlos zu entfernen, ist doch die Entfernung meist unter Anwendung des einen oder anderen Tricks möglich – selten, dass ein Ring gar aufgeschnitten werden muss.

Deutlicher seltener, wenn auch mehrfach in der Literatur beschrieben, sind allerdings Zustände, bei denen ein Ring teilweise oder gänzlich in Haut und Unterhaut eingewachsen und entsprechend partiell oder vollständig nicht mehr zu sehen ist [1], [2], [3], [4], [5], [6].

Wir berichten von einem 57-jährigen Patienten, bei dem ein Ring nach einer Ringfinger-Grundgliedfraktur im Unterhautgewebe „verschwand“.

Der Patient stellte sich aufgrund einer massiven, zunehmend schmerzhaften Schwellung seines rechten Ringfingers, aber auch der gesamten Hand in unserer Notaufnahme vor. Er gab an, dass er sich 2 Wochen zuvor bei einem Sturzereignis den rechten Ringfinger luxiert und selbst wieder reponiert habe, da er dies als „alter Handballer“ schon mehrmals erlebt habe. In den folgenden Tagen sei es zu einer progredienten Schwellung des Fingers gekommen. Mit zunehmender Schwellung sei der Ring, den er am Ringfinger trage, nicht mehr zu sehen gewesen. Die Schwellung habe sich im Verlauf auf die gesamte Hand ausgedehnt und Rötung und Schmerzen seien hinzugekommen.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine deutliche Schwellung der rechten Hand bis zum proximalen Unterarm reichend mit Punktum maximum am Ringfinger, der gerötet und druckschmerzhaft war. An der Grundgliedbasis des Ringfingers fand sich eine zirkuläre Wunde, an deren distalen Rand nach Entfernung des Granulationsgewebes durch die Haut schimmernd ein Ring zu sehen war ([ Abb. 1 ]). Durchblutung und Sensibilität waren intakt und seitengleich. Der Bewegungsumfang war schwellungsbedingt endgradig eingeschränkt.

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Abb. 1 Klinischer Befund des 4. Fingers mit eingeschlossenem Ring.

Die Röntgenaufnahmen der rechten Hand und des rechten Ringfingers zeigten eine Spiralfraktur des Ringfingergrundglieds, welche sich der Patient höchstwahrscheinlich im Rahmen seines Sturzereignisses zugezogen hatte ([ Abb. 2 ]). Gut zu erkennen war auf den Röntgenaufnahmen auch die Diskrepanz von massiver Weichteilschwellung und Durchmesser des Ringes.

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Abb. 2 Röntgenuntersuchungen der Hand und des 4. Fingers.

Vermutlich war es bei der Grundgliedfraktur zu einem Aufreißen der Haut durch den – vielleicht bereits zu diesem Zeitpunkt die Haut und Unterhaut einschnürenden – Ring gekommen. Die frakturbedingte Fehlstellung des Ringfingers schätzte der Patient fälschlicherweise als Luxation ein und reponierte den Finger. Mit zunehmender Schwellung „verschwand“ dann der Ring im Subkutangewebe, zugleich entwickelten sich Infektzeichen. Unter der Diagnose Fingerphlegmone bei Ringfingergrundgliedfraktur erfolgte ein großflächiges Débridement und die Entfernung des Rings ([ Abb. 3 ]). In der chirurgischen Exploration von streck- und beugeseitig zeigten sich die Gefäß-Nervenbündel beidseits intakt und unbeeinträchtigt. Auch die Beugesehnen und der Strecksehnenapparat wurden dargestellt und waren weder mechanisch noch durch den Infekt affektiert. Eine postoperative Ruhigstellung sowie intravenöse Antibiose mit Unacid wurden durchgeführt. Im Verlauf demarkierten sich die Spitzen der Hautläppchen im Sinne einer Wundheilungsstörung, die wir sekundär heilen ließen. Nach einem stationären Aufenthalt von 6 Tagen konnte der Patient in die ambulante Weiterversorgung entlassen werden. In der ersten ambulanten Verlaufskontrolle zeigten sich keine Funktionseinschränkungen des Fingers bei reizarmen Wundverhältnissen. Die nachfolgenden Kontrolltermine wurden durch den Patienten nicht eingehalten.

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Abb. 3 Intraoperativer Befund nach Darstellung des Rings.

In der Literatur finden sich ähnliche Fälle. Ältere Fälle dieses Krankheitsbildes wurden durch Deshmukh et al. 2003 und Shafiroff 1979 beschrieben [2], [5].

2011 berichtete Steirer in dieser Zeitschrift von einer Patientin, bei der nebenbefundlich ein eingewachsener Ring am Ringfinger aufgefallen war [6]. Im Vergleich zu unserem Fall lag die initiale Verletzung, die zum Verschwinden des Rings unter die Haut und Unterhaut führte, mehrere Jahre zurück und der Ring war reizlos über einen epithelialisierten Kanal in den Finger integriert. Interessant waren die Langzeitfolgen dieser Reaktion an den umliegenden Geweben. Es zeigte sich in den bildgebenden Untersuchungen eine deutliche Erosion des Grundgliedknochens sowie eine Verschiebung der Gefäß-Nervenbündel nach dorsal.

Eine ähnliche Beobachtung machten Awan et al. in ihrer Publikation 2013 [1]. Bei der chirurgischen Exploration und Bergung eines Rings wurde sogar ein Gefäß gesehen, welches über bzw. oberhalb des eingewachsenen Rings verlief.

Während in unserem Fall eine frakturbedingte Schwellung des Fingers im Verlauf zum Verschwinden des Rings führte, werden in der Literatur weitere verschiedene initiale Verletzungen dargestellt. Langridge et al. berichteten 2017 von einem Fall, bei dem initial ein Insektenbiss am Ringfinger dazu führte, dass im weiteren Verlauf schwellungsbedingt der Ring unter der Haut verschwand [4]. 2013 präsentierten Kumar et al. einen Fall, bei dem eine Schnittverletzung zu ebendiesem klinischen Bild führte [3].

Der gemeinsame Risikofaktor der publizierten Fälle mit diesem Verletzungsmuster ist hauptsächlich eine Vernachlässigung oder Fehleinschätzung der eigenen gesundheitlichen Lage und das Ignorieren der zeitnahen Abnahme des Ringes nach einer Verletzung. In den meisten Fällen geschah dies im Rahmen von psychiatrischen, geronto-psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen. In unserem Fall lag keine psychiatrische Erkrankung im klassischen Sinne vor, jedoch kann das Verhalten des Patienten als eine Fehleinschätzung des körperlichen Zustands gewertet werden.