Laryngorhinootologie 2019; 98(06): 444-445
DOI: 10.1055/a-0834-2225
Facharztfragen
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Fragen für die Facharztprüfung


Subject Editor: Dr. med. Gerlind Schneider, Jena
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Publication Date:
05 June 2019 (online)

Innenohr, Gleichgewichtssinn und Otobasis

Frage: Sprechen Sie über Ätiologie, Einteilung und Symptomatik des Tinnitus.

Antwort: Tinnitus ist definiert als subjektive Wahrnehmung eines Geräuschs bei Fehlen einer äußeren Schallquelle. In der Regel geht Tinnitus mit einer Hörstörung einher, kann aber auch als unabhängiges Symptom auftreten. Epidemiologische Studien für Europa und die Vereinigten Staaten gehen von Zahlen aus, bei denen ca. ¼ aller Menschen bereits Tinnitus-Sensationen einmal erlebt haben. 10–15 % der Menschen hören Tinnitus über einen längeren Zeitraum, davon gelten nur 3–5 % als behandlungsbedürftig, von denen jedoch die Hälfte erheblich belastet ist. Hauptrisikofaktoren sind Lärmbelastung und die damit verbundene Schwerhörigkeit sowie Schwerhörigkeiten, die sich aus anderen Ursachen entwickeln. In mehr als der Hälfte der Fälle finden sich distressbegleitende Komorbiditäten wie Angst- oder depressive Störungen.

Ätiologisch wird das Tinnitusgeräusch als Phantomreiz angesehen, das aufgrund einer gestörten Balance zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Signalen entsteht. Nach den neuesten psycho- und neurophysiologischen Erkenntnissen zu den Mechanismen neuronaler Plastizität sind sowohl die peripheren (innere und äußere Haarzellen, Spiralganglien) als auch die zentralen (Nuclei cochlearis ventralis und dorsalis, Colliculus inferior, oberer Olivenkomplex, Corpus geniculatum mediale, sekundärer und primärer Kortex) Anteile der Hörbahn beteiligt. Neben der auditorischen Hörbahn sind aber vor allem im Hinblick auf die Tinnituspersistenz und Tinnitusbelastung extraauditorische Netzwerke (limbisches System, Stress-, Aufmerksamkeits- und Rückstellungsnetzwerke) relevant.

Die Einteilung des Tinnitus erfolgt nach der Dauer, der Art der Wahrnehmung und dem Belastungsgrad.

  • nach der Dauer: akuter Tinnitus = innerhalb 3 Monate nach Entstehung; chronischer Tinnitus = länger als 3 Monate andauernd

  • nach der Wahrnehmung: objektiver Tinnitus = wird vom Körper erzeugt und kann in der Regel sowohl durch den Patienten als auch durch den Untersucher wahrgenommen werden (z. B. Spasmus des Musculus tensor tympani, Gefäßprozesse, arterio-venöse Fisteln); subjektiver Tinnitus = nimmt nur der Betroffene wahr

  • nach dem Belastungsgrad: Der Schweregrad des Tinnitus im chronischen Stadium ist die entscheidende Einteilung für eine therapeutische Intervention. Der Schweregrad lässt sich einerseits über die klinische Anamnese unter Einbeziehung psychosomatischer Aspekte sowie über den Einsatz validierter Fragebögen feststellen.

  • kompensiert = Der Patient registriert das Ohrgeräusch, kann jedoch damit so umgehen, dass keine Sekundärsymptomatik auftritt. (Grad I: kein Leidensdruck, Grad II: hauptsächlich in der Stille, wirkt störend bei Stress und Belastung);
    dekompensiert = mit Sekundärsymptomatik (Grad III: Der Tinnitus führt zu einer dauernden Beeinträchtigung im privaten und beruflichen Bereich. Es tritt eine Sekundärsymptomatik im emotionalen, kognitiven und körperlichen Bereich auf; Grad VI: Der Tinnitus führt zur völligen Dekompensation im privaten Bereich bis hin zur Berufsunfähigkeit.)

Der Tinnitus kann einseitig, beidseitig oder im Kopf wahrgenommen werden. Er kann verschiedene Ton- und Geräuschvariationen annehmen, z. B. Pfeifen, Rauschen, Summen, Zischen, Klingeln, Piepsen, Sausen, Brummen, Zirpen, Pulsieren, Hämmern.

Die meisten Ohrgeräusche bestehen im Hochfrequenzbereich und imponieren als hoher Pfeifton. Sowohl der akute als auch der chronische Tinnitus sind meist mit dem Auftreten einer Schwerhörigkeit verbunden. Über 40 % der Patienten mit einem chronischen Tinnitus haben eine Hyperakusis.