Z Sex Forsch 2019; 32(02): 115
DOI: 10.1055/a-0892-0220
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Buzz – A Stimulating History of the Sex Toy

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Publication Date:
06 June 2019 (online)

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Obwohl Selbstbefriedigung heute als normal und zunehmend sogar ausdrücklich als gesund bzw. gesundheitsförderlich angesehen wird, ist die masturbatorische Praxis ideologisch hochgradig umstritten und ungenügend erforscht: Buchstäblich Tausende von Studien befassen sich mit der – überwiegend masturbatorischen – Pornografienutzung und behandeln dabei primär nur Risiken. Noch schlechter untersucht sind die bei der Selbstbefriedigung ebenfalls weit verbreiteten Sextoys: Weniger als hundert Publikationen zu Sexspielzeugen werden in wissenschaftlichen Literaturdatenbanken nachgewiesen. Die hier vorgestellte Monografie „Buzz“ von Hallie Lieberman, welche die Geschichte der Sexspielzeuge in den USA seit 1850 rekonstruiert, stößt somit in eine Forschungslücke. Das Buch basiert auf der 2014 an der University of Wisconsin-Madison verteidigten Dissertation der Autorin und ist kulturhistorisch angelegt. Lieberman hat Archive durchforstet und mit rund 20 Zeitzeug_innen aus der Sexspielzeugbranche gesprochen. Sie hat die Fachliteratur aufgearbeitet und Zeitungsartikel, Werbeanzeigen, Leser_innenbriefe, Kund_innenkorrespondenz und Gerichtsakten analysiert. Auch Sextoy-Darstellungen in TV-Serien wie „Sex and the City“ oder der Romantrilogie „Fifty Shades of Grey“ sind Thema. Zudem streut die Autorin anekdotische Beobachtungen ein aus der Zeit, in der sie selbst Verkaufspartys für Sextoys organisiert hat.

Das Buch rekonstruiert detailreich, wie sich der Sexspielzeugmarkt in den USA entwickelt hat und wie Sexspielzeuge im jeweiligen historischen Kontext verstanden und vermarktet wurden: In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts wurden Vibratoren vorzugsweise als nicht-sexuelle Massagegeräte für Rücken und Nacken beworben (siehe dazu auch: Lieberman H. Selling Sex Toys: Marketing and the Meaning of Vibrators in Early Twentieth-Century America. Enterprise & Society 17; 2016: 393–433). Erst später wurde der sexuelle Einsatz angedeutet. Dabei wurden die Geräte bis in die 1970er-Jahre als Hilfsmittel für den ehelichen Sex vermarktet mit Fokus auf das Vergnügen des Mannes, um das sich die Frau zu kümmern habe, deren eigene Lust untergeordnet war. Die Frauenbewegung schließlich politisierte Sextoys: Wenn Frauen dank Vibratoren bei der Selbstbefriedigung leichter Orgasmen erleben, dann kann ihnen das mehr sexuelle Unabhängigkeit verschaffen, zu Selbstliebe und generellem Empowerment beitragen. Davon zumindest waren eine Reihe von Feministinnen überzeugt, die denn auch den Zugang zu Sextoys durch frauenfreundliche Sexshops wie Eve’s Garden (gegründet 1974 in New York von Dell Williams) oder Good Vibrations (gegründet 1977 in San Francisco von Joani Blank) erleichterten und Masturbationsworkshops organisierten (z. B. die seit den 1970er-Jahren stattfindenden „BodySex-Workshops“ von Betty Dodson). Andere Teile der Frauenbewegung waren skeptisch. Sie sahen Sex nicht als Hauptproblem der Emanzipation und lehnten insbesondere Sextoys ab, da sie a) „unnatürliche“ technische Artefakte darstellten, b) zur kapitalistischen Konsumkultur gehörten und c) von zwischenmenschlicher Bindung losgelöste masturbatorische Orgasmen ohnehin einem defizitären „männlichen“ Bild von Sexualität entsprächen.

„Buzz“ stellt die Lebenswege der wichtigsten Aktivistinnen vor, beschreibt den Werdegang, Auf- und Abstieg von Sextoy-Unternehmen, geht auf deren Marketing für unterschiedliche Zielgruppen wie Ärzt_innen, Menschen mit Behinderungen und die LGBTIQ-Community ein und thematisiert nicht zuletzt die strengen rechtlichen Regulierungen der Branche in den USA. Durch die Analyse von Leser_innenbriefen und Kund_innenkorrespondenz wird auch die Anwendungsperspektive und dabei das große Ausmaß an Unsicherheit, Scham- und Schuldgefühlen rund um Selbstbefriedigung deutlich (siehe dazu auch: Lieberman H. Intimate Transactions: Sex Toys and the Sexual Discourse of Second-Wave Feminism. Sexuality & Culture 21; 2017: 96–120).

Die Monografie ist informativ und gut lesbar. Besonders spannend ist die Darstellung der widersprüchlichen feministischen Deutungen und Diskurse zu Dildos und Vibratoren. Bedauerlich sind indessen zwei gravierende Limitationen: Der alleinige Fokus auf die USA (der leider im Titel der Monografie nicht ausgewiesen ist) schränkt den Wert der Analyse ein. So wird die Situation in Deutschland am Beispiel von Beate Uhse nur einmal sehr kurz vergleichend angesprochen (S. 195). Zudem ist zu bemängeln, dass die zeitgenössischen Entwicklungen der Branche ignoriert werden: Technisch fortgeschrittene Sexspielzeuge und Sexmaschinen, die teilweise durch Crowdfunding finanziert werden, sind ebenso wenig Thema wie der neuerdings umfangreiche internetöffentliche Austausch über Erfahrungen mit Sextoys in Online-Kundenrezensionen, Online-Foren und Weblogs (siehe entsprechenden Beitrag zu Weblogs in diesem Heft).

Nicola Döring (Ilmenau)