PiD - Psychotherapie im Dialog 2020; 21(04): 101
DOI: 10.1055/a-0987-6239
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Daniel Schreiber: Zuhause

Die Suche nach einem Ort, an dem wir leben wollen
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Hanser Berlin 2017, ISBN: 3446254749, 18,00 €, 144 Seiten

Wahrscheinlich hat sich jeder Mensch einmal in seinem Leben die Frage gestellt: An welchem Ort möchte ich gern zu Hause sein? Daniel Schreiber stellt sich dieser Frage und spiegelt vielleicht den unruhigen Geist, der uns umtreibt, wider.

Er nimmt uns ein Stück mit auf seiner Suche nach einem Zuhause und seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff „zu Hause“. In seinem sehr persönlichen Essay findet er einen Weg, für sich selbst und den Leser unterschiedlichste Perspektiven einzunehmen. Er sucht nach Antworten in der Soziologie, der Psychoanalyse und Philosophie, in Gesprächen und in der Kunst. Die Grundlage ist, den Worten „Heimat“, „Herkunft“ und „Zuhause“ erst einmal Inhalt zu geben.

Ausgangspunkt des Buches ist ein Frühjahr in London – der Beginn einer länger andauernden Lebenskrise, verbunden mit einer tiefen Sehnsucht nach einem Zuhause. Einer Sehnsucht nach einem Ort der Geborgenheit, der Sicherheit, des Ankommens und einem Platz, an dem er bleiben darf. Ein Jahr begleiten ihn diese Krise und viele offene Fragen. Dabei hilft ihm das Archiv seiner Familie, einen Anfang zu finden und bei seinen Wurzeln zu suchen. Die Begriffe „Heimat“ und „Zuhause“ verändern sich, im Angesicht von großen Herausforderungen, von Verzicht und Vertreibung. Den Spuren seiner Urgroßmutter auf Papieren zu folgen und herauszufinden, was damals geschehen ist. Erinnerungen an eine Heimat – die langsam verblassen.

Er berichtet über seine Herausforderungen als Kind und junger Heranwachsender in Mecklenburg-Vorpommern. Als Jugendlicher, der immer zu spüren bekommen hat, dass er anders ist als die anderen, dass er nicht „normal“ ist. Aufgewachsen in einer Zeit, in der Homosexualität noch unter Strafe stand. Später geht er nach Berlin, lebt in New York und London und genießt für einige Zeit ein relativ unbeschwertes Leben, ein Leben in Freiheit. Bis ein Gefühl in ihm aufkeimt, was in diesem Frühjahr erstmals von ihm wahrgenommen wird. Es kommt zu einem Wendepunkt, der einen differenzierten Blick auf die räumliche und gesellschaftliche Umgebung zulässt. Die Suche zurück in Berlin Neukölln führt ihn mehr und mehr zu der Suche nach sich selbst. Die Notwendigkeit zur Veränderung findet mehr Mittel, in die Tiefe zu blicken und öffnet neue Aussichten, wenn man erst einmal angefangen hat, dort hinzuschauen. Er hört auf zu trinken, geht joggen und er erinnert sich an das, was ihm guttut, trifft sich mit Freunden, kocht mit ihnen gemeinsam. Er beginnt aufzuräumen und Platz zu schaffen, er richtet sich in seiner Wohnung ein. Ein Zuhause darf ein Ort von Sicherheit und Freiheit sein. Daniel Schreiber beschreibt sein Ringen um sein Ankommen und Perspektiven, die ihm geholfen haben, die nächsten Schritte zu tun. Seiner Wohnung eine Chance zu geben und sich selbst die Chance, in ihr anzukommen. Eine Basis zu schaffen, auf der ein innerliches Ankommen möglich wird und wo aus Narben Erfahrungen werden.

„Sich zu Hause fühlen, so Yi Fu Tuan, sei immer auch – und seiner Ansicht nach vor allem – eines: ein Prozess, der in der Regel Zeit brauche, sehr viel Zeit.“

Daniel Schreiber macht in seinem Buch „Zuhause – Die Suche nach einem Ort, an dem wir leben wollen“ neugierig, die Sinne zu schärfen, die Umwelt genauer zu betrachten. Und sich vielleicht einmal die Frage zu stellen: Was kann ich dazu beitragen, dass meine Umgebung zu einem Ort wird, an dem ich sein möchte?

Judit Kleinschmidt, Berlin



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Article published online:
20 November 2020

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