Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2021; 28(01): 3-5
DOI: 10.1055/a-1253-9879
Magazin

Versuch einer reisemedizinischen und tropenmedizinischen Perspektive

Die COVID-19-Pandemie – Entwicklungen in einer global vernetzten Welt
Michael Ramharter
1   Hamburg
,
Burkhard Rieke
2   Düsseldorf
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Rückblick

Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass China über eine Häufung von Atemwegserkrankungen mit teils schweren Pneumonien berichtete und die Identifikation des kausalen Erregers bekanntgab, eines inzwischen als SARS-CoV-2 bezeichneten Coronavirus. Bestand anfangs noch die Hoffnung, den Ausbruch durch die rigorosen Maßnahmen in Wuhan eingrenzen zu können, so zeigte sich im Verlauf doch eine Weiterverbreitung durch – vor allem – symptomlos Infizierte im internationalen Reiseverkehr. Reagierte die internationale Gemeinschaft zunächst mit Quarantäne- und Testmaßnahmen an Grenzen, um diese aus wirtschaftlichen Gründen offenzuhalten, so wurden die Infektionswege doch zunehmend unüberschaubarer. Eine Kettenreaktion von Grenzschließungen für den Personenverkehr war die Folge. Mit verbesserter statistischer Erfassung der Infektionsraten trafen an vielen Grenzen ein stärker und ein weniger stark betroffenes Land aufeinander, von denen jeweils eines das andere als Risikogebiet klassifizierte. Die WHO hat Grenzschließungen als präventive Maßnahme zunächst nicht anerkannt, weswegen die Reiseverkehrsbeschränkungen als Verletzung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV, engl. IHR) angesehen wurden. Der Schwerpunkt der Pandemie verlagerte sich dabei zusehends von Asien nach Europa und Nord-, dann Südamerika.

Reiseverkehr im Fokus

Der Reiseverkehr zog somit von Anfang an besondere Aufmerksamkeit bei Ausbreitungswegen und Bekämpfungsmaßnahmen auf sich. Die beinahe komplette Aussetzung des internationalen Flugverkehrs erschwerte die Rückreise von Urlaubern und beruflich Reisenden, was die Bundesregierung im März 2020 zur größten Rückholaktion der Nachkriegszeit veranlasste. Neben den Verkehrsmitteln bildeten offensichtlich auch die Aktivitäten unterwegs einen Risikofaktor: Im österreichischen Wintersportort Ischgl kam es zu einer dramatischen internationalen Ausbreitung mit Sekundärfällen in beinahe allen Kontinenten, ausgelöst wohl durch das Après-Ski-Programm. Kreuzfahrtschiffe standen früh im Fokus, nachdem es auf einem von ihnen, der „Diamond Princess“, zu einem dramatischen Ausbruch an Bord kam und die japanischen Behörden eine Evakuierung verweigerten. Auch wenn die genauen Gründe für die extrem rasche Ausbreitung mit einer später errechneten R0 von 16,8 unklar sind (Enge? Superspreader? Lüftung?), so führte das Geschehen doch zur Abweisung zahlreicher Kreuzfahrtschiffe in den Häfen vieler Länder und schließlich zum Stillstand der gesamten zuvor über Jahre boomenden Kreuzfahrtbranche.


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Erste Bekämpfungsstrategie

Eine erste, noch von wenig Evidenz und eher von Analogien zu Influenza und SARS-CoV-1 geprägte Bekämpfungsstrategie führte zu dramatischen wirtschaftlichen Folgen und einem Rückgang der Inzidenzen, die aber z. T. auch als Folge einer bekannten Saisonalität der Corona-Virus-Infektionen eingetreten sein mag. Abstand wurde als schützend erkannt, wenn auch die Empfehlungen variieren, die Masken erhielten immer mehr Bedeutung. Schließungen betrafen als nicht essenziell angesehene Geschäfte, Dienstleister, Kulturveranstaltungen, Schulen und Kitas – und eben den Reisesektor. Es organisierte sich ein lebhafter internationaler Austausch über Behandlungserfahrungen und erfolgversprechende medikamentöse Interventionen, Sackgassen inklusive. Und es gab sehr frühzeitig Initiativen zur Impfstoffentwicklung. Die sehr arbeitsaufwendige Kontaktnachverfolgung verlor mit sich ausweitender Übertragung etwas an Bedeutung, eine auf Nahfeld-Bluetooth-Kontakten beruhende App zeigte Potenzial, aber auch Kinderkrankheiten.


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Situation in den Tropen

In den Tropen ergibt sich seither ein sehr heterogenes Bild. In Südamerika kam es in vielen Ländern zu einer Überforderung des Gesundheitssystems hinsichtlich stationärer Versorgung, Sauerstoffgabe, erst recht bei intensivmedizinischer Versorgung, Beatmung und spezialisierter Medikation. In Indien sehen wir einen langsamen Anstieg der lnzidenzen, wobei die resultierenden Absolutzahlen aufgrund der Größe der Bevölkerung sehr hoch sind. Hier wie in anderen Ländern stellt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit, mit der Infektionen diagnostiziert und erfasst werden, gerade in ländlichen und abgelegenen Regionen, in einem überlasteten staatlichen Gesundheitssystem und einem für viele unzugänglichem privaten.

Im tropischen Afrika sind die Infektionsraten insgesamt auffallend niedrig geblieben, auch in Ländern mit hohen Testraten. Die Gründe dafür sind bislang unklar und verdienen eine gute Aufarbeitung. Ist die Verteilung zwischen leicht und schwer Erkrankten anders, etwa wegen der viel jüngeren Alterspyramide, der geringeren Prävalenz von Grunderkrankungen oder aus genetischen Gründen? Bietet das feucht-heiße tropische Klima einen Schutz vor der raschen Ausbreitung von SARS-CoV-2? Gibt es eine Bevölkerungsimmunität durch zirkulierende – auch tierpathogene – Coronaviren? Oder handelt es sich nur um eine verzögerte Diffusion des Virus von der Stadt aufs Land, wo große Bevölkerungsanteile sehr geringe Mobilität und wenige Außenkontakte aufweisen? Dass ein schwerer COVID-19-Fall nur in wenigen, gut ausgestatteten Krankenhäusern eine Chance auf adäquate Versorgung hat, gehört auch zur Realität vieler tropisch-afrikanischer Länder.


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Publication History

Article published online:
11 February 2021

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