Frauenheilkunde up2date 2022; 16(06): 537-554
DOI: 10.1055/a-1718-9729
Interdisziplinäre Themen

Rechtliche und medizinische Aspekte der gynäkologischen Aufklärung

Jörg Heberer

Bei der ambulanten und stationären Patientenversorgung sind niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte täglich diversen Risiken ausgesetzt, die zu erheblichen juristischen Konsequenzen führen können. Diese umfassen sowohl eine zivilrechtliche als auch eine strafrechtliche Haftung. Mit das haftungsträchtigste Risiko ist die ordnungsgemäße Aufklärung – fast alle Patienten berufen sich bei einem Arzthaftungsverfahren auch auf eine mangelhafte Aufklärung.

Kernaussagen
  • Aus dem Behandlungsvertrag sowie dem Gesetz ergeben sich für einen Arzt zahlreiche Pflichten. Bei deren schuldhafter Verletzung kann er zivilrechtlich grundsätzlich auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden, wenn hierdurch ein Patientenschaden verursacht wird. Daneben kommen strafrechtliche Konsequenzen in Betracht.

  • Zentrale Bedeutung kommt sowohl bei der zivil- als auch strafrechtlichen Haftung der Wirksamkeit der Einwilligung der Patientin zu, die wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung voraussetzt. Ohne wirksame Einwilligung ist die Behandlungsmaßnahme rechtswidrig, auch wenn sie lege artis durchgeführt wurde.

  • Bei der Aufklärung wird unterschieden zwischen der Selbstbestimmungsaufklärung (§ 630e BGB), die für eine wirksame Einwilligung maßgeblich ist, und der Sicherungsaufklärung (oder therapeutische Aufklärung, § 630c Abs. 2 S. 1 BGB), die bei Unvollständigkeit oder Fehlen einen Behandlungsfehler zur Folge hat.

  • Die Selbstbestimmungsaufklärung beinhaltet die Behandlungs-, Diagnose- und Risikoaufklärung.

  • Die Aufklärung muss stets in einem mündlichen Aufklärungsgespräch erfolgen.

  • Die Aufklärung muss von einem Arzt vorgenommen werden, sodass eine Delegation an nichtärztliche Mitarbeiter unzulässig ist.

  • Besonderes Augenmerk ist auf die Rechtzeitigkeit der Aufklärung zu legen, da der Patientin genügend Zeit verbleiben muss, um eine wohlüberlegte Entscheidung über die Einwilligung treffen zu können. Sie muss das Für und Wider der Eingriffsgründe hinreichend abwägen können.

  • Die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung liegt beim Arzt.

  • Eine detaillierte Dokumentation des Aufklärungsgesprächs und dessen Inhalts ist aus juristischer Sicht zwingend zu empfehlen.



Publication History

Article published online:
08 December 2022

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  • Literatur

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  • 5 BGH. Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09.
  • 6 LG Kiel. Urteil vom 29.03.2019 – 8 O 190/16.
  • 7 BGH. Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13.
  • 8 BGH. Urteil vom 15.06.2010 – VI ZR 204/09.
  • 9 OLG Köln. Urteile vom 09.12.2015 – 5 U 184/14 und vom 23.01.2019 – 5 U 69/16.
  • 10 Martis R, Winkhart-Martis M. Patientenrechtegesetz. P51. Ders. Aufklärung. A1819b, c. In: Martis R, Winkhart-Martis M. Arzthaftungsrecht. 6. Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt; 2021
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  • 14 OLG Dresden. Urteil vom 20.12.2017 – 4 U 966/17.
  • 15 OLG Köln. Urteil vom 17.03.2010 – 5 U 51/09.
  • 16 Brudermüller G, Ellenberger J, Götz I, Grüneberg C, Herrler S, Sprau H, Thorn K, Weidenkaff W, Weidlich D, Wicke H. § 630e Rn. 9. In: Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch. 77. München: C. H. Beck; 2018
  • 17 OLG Hamm. Beschluss vom 29.11.2019 – II-12 UF 236/19.
  • 18 OLG Frankfurt a. M.. Urteil vom 16.07.2019 – 8 U 228/17.
  • 19 BGH. Urteil vom 10.10.2006 – VI ZR 74/05.
  • 20 BGH. Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 131/02.
  • 21 BGH. Urteil vom 28.08.2018 – VI ZR 509/17.
  • 22 OLG Dresden. Urteil vom 15.11.2016 – 4 U 507/16.
  • 23 OLG Bremen. Urteil vom 25.11.2021 – 5 U 63/20.
  • 24 Brudermüller G, Ellenberger J, Götz I, Grüneberg C, Herrler S, Sprau H, Thorn K, Weidenkaff W, Weidlich D, Wicke H. § 630e Rn. 12. In: Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch. 77. München: C. H. Beck; 2018
  • 25 Brudermüller G, Ellenberger J, Götz I, Grüneberg C, Herrler S, Sprau H, Thorn K, Weidenkaff W, Weidlich D, Wicke H. § 630e Rn. 13. In: Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch. 77. München: C. H. Beck; 2018
  • 26 BGH. Urteil vom 27.04.2021 – VI ZR 84/19.