Neonatologie Scan 2022; 11(03): 161-162
DOI: 10.1055/a-1746-9916
Editorial

Der Blick über den Tellerrand

Axel Hübler
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Roland Hentschel
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Axel Hübler
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Roland Hentschel

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Zusammenschau der in dieser Ausgabe referierten Publikationen aus der internationalen neonatologischen Fachliteratur bietet, wie immer, einen bunten Mix. Es sind erwartungsgemäß stets die gleichen Themen, die die gegenwärtige klinische Forschung dominieren: (nicht-)invasive Beatmung, Asphyxie/Enzephalopathie/Hypothermie, Prognose und Langzeit-Outcome, neue invasive und bildgebende Techniken, sowie verschiedene Ernährungsformen und ihr Zusammenhang mit dem Wachstum. Aber auch das wichtige Thema neonatale Infektionen ist in jedem Heft mit mehreren Beiträgen vertreten, wobei in dem Ihnen jetzt vorliegenden Heft der Beitrag von Jacqueline Magers und Kollegen („Safety and efficacy of nafcillin for empiric therapy of late-onset sepsis in the NICU“) aus „Pediatrics“ ins Auge fallen wird.

Dass es Koagulase-negative Staphylokokken gibt, die durch die Expression von Penicillinasen und anderen Beta-Lactam-inaktivierenden Enzymen resistent gegen die seinerzeitige Wunderwaffe gegen Infektionen sind, war bereits kurz nach Entdeckung des Penicillins in den 1940er-Jahren bekannt, die Resistenzlage erreichte in den vergangenen 10 Jahren jedoch eine Marke von über 90 %. Das „penicillinasefeste“ Methicillin war nur kurzfristig von Vorteil, die Affinität zu Beta-Lactam-Antibiotika ging sukzessive ebenfalls verloren. Auch eine schwache In-vitro-Wirksamkeit schließt, wie man schnell herausfand, eine In-vivo-Resistenz gegenüber allen Beta-Lactamen, einschließlich Cephalosporinen und Carbapenemen, nicht aus. Die Zahl resistenter Stämme variiert in unterschiedlichen Ländern zum Teil beträchtlich, betraf jedoch in Europa bereits vor 15 Jahren etwa drei Viertel aller Koagulase-negativen Staphylokokken, hingegen nur ein Viertel aller Staphylococcus-aureus-Stämme. Verminderte Empfindlichkeiten von Koagulase-negativen Staphylokokken gegenüber Makroliden, Chinolonen, Aminoglykosiden, Lincosamiden, Rifampicin und anderen Substanzen sind inzwischen die Regel. Als sichere Alternative bieten sich glücklicherweise noch die „klassischen“ Glykopeptide, z.B. Vancomycin und Teicoplanin an.

Beim Verdacht auf eine Late-onset-Sepsis (LOS) des Frühgeborenen hat sich daher die empirische Gabe von Vancomycin in Kombination mit einem Aminoglykosid seit Langem bewährt.

Inzwischen finden sich jedoch in manchen Regionen der Welt Teicoplanin-resistente Staphylococcus-haemolyticus-Stämme, die den Nimbus der Reserveantibiotika aus der Gruppe der Glykopeptide in Frage stellen. Ausbrüche von Erkrankungen mit Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen (MRSA), ebenso wie resistente Enterococcus-faecium-Stämme, stellten in den vergangenen Jahren auf neonatologischen Intensivstationen eine zunehmende Bedrohung für Patienten dar und haben – durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen in den Medien zu diesem Thema – auch in der Bevölkerung für Unruhe gesorgt.

Zeit also für neue Antibiotika!

Am Children’s Hospital in Columbus, Ohio, hat man aus den oben genannten Gründen bereits seit 2014 Nafcillin, das mit Oxacillin verwandt ist, als Alternative zum Vancomycin in der Primärtherapie der LOS ohne Vorgeschichte für MRSA eingesetzt. In der jetzt veröffentlichten retrospektiven Studie war dieses Regime mit einer 70 %-igen Reduktion des Einsatzes von Vancomycin erfolgreich und erwies sich als ebenso effektiv bei der Vermeidung einer tödlichen Sepsis wie die Kombination mit Vancomycin. Wenngleich etliche Fragen noch offen sind, ist dies ermutigend, auch im Hinblick auf die ototoxischen und nephrotoxischen Nebenwirkungen des Vancomycin. In anderen Studien hat sich übrigens auch die Resistenzentwicklung gegen Rifampicin mit Nafcillin unterdrücken lassen.



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Article published online:
19 August 2022

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