Die Wirbelsäule 2023; 07(03): 131-133
DOI: 10.1055/a-1993-8490
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Subaxiale zervikale Facettenfrakturen: Reicht die CT-Diagnostik aus?

Sebastian Decker
1   Klinik für Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
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Die aktuelle konsensusbasierte Klassifikation subaxialer HWS-Frakturen der AOSpine ist angelehnt an die Klassifikation der thorakolumbalen Frakturen [1]. Facettengelenksfrakturen werden im Rahmen der Klassifikation als „secondary injuries“ bezeichnet und hierarchisch an Position 2 hinter der Beschreibung der Morphologie der Wirbelkörperdestruktion/segmentalen Verletzung gelistet. Unterschieden wird zwischen nicht dislozierten Frakturen (F1), Frakturen mit potenzieller Instabilität (F2), einer mobilen Massa lateralis (F3) sowie der (Sub-)Luxation (F4). Gemäß den aktuellen Empfehlungen sollen F1-Frakturen, welche isoliert auftreten können, konservativ behandelt werden. F2-4-Verletzungen hingegen treten zumeist im Rahmen von B- und C-Verletzungen auf, welche sodann das operative Vorgehen indizieren [2]. Die Klassifikation subaxialer HWS-Verletzungen ist CT-basiert. Dennoch wird im Rahmen der Therapieempfehlungen darauf hingewiesen, dass zusätzlich zum CT bei Unklarheiten, z.B. bez. der Ursache neurologischer Defizite, ggf. zum Ausschluss einer Dissektion der A. vertebralis oder bei Verdacht auf Ruptur des posterioren Bandapparats, ergänzend ein MRT hilfreich sein kann und durchgeführt werden sollte [1] [2].

In der von Cabrera et al. durchgeführten Studie zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Chirurgen bei allen Subtypen von Facettengelenksfrakturen zusätzlich zum CT ein MRT wünschte, ebenfalls wurden zusätzliche Gefäßdarstellungen oder dynamische Röntgenaufnahmen gefordert.

Die Interpretation der präsentierten Daten ist nur eingeschränkt möglich. Es wird nicht beschrieben, ob das subaxiale HWS-CT mit Kontrastmittel durchgeführt wurde. Dies würde bspw. dem Standardprotokoll im Rahmen eines Polytrauma-CTs entsprechend der aktuellen S3-Polytraumaleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie entsprechen [3]. Die potenzielle Bedeutung zeigt sich darin, dass die höhergradigen Facettengelenksfrakturen oftmals bei polytraumatisierten Patienten vorzufinden sind. Daher könnte in diesem Patientenklientel die Rate an zusätzlich notwendigen Gefäßdarstellungen durchaus geringer sein. Die Autoren beschreiben, dass der neurologische Status den Studienteilnehmern nicht übermittelt wurde. Die Kenntnis dieses beim wachen Patienten unabdingbaren klinischen Befundes hat selbstverständlich eine hohe Relevanz für die potenzielle Anforderung eines MRTs und somit einen anzunehmenden Einfluss auf das Ergebnis der präsentierten Studie. Insbesondere beim wachen und klinisch beurteilbaren Patienten ist die Entscheidung über notwendige Diagnostik nicht ohne den klinischen Befund sinnvoll.

Die klinische Erfahrung zeigt, dass diskoligamentäre Verletzungen im CT oftmals nicht ausreichend detektiert werden können. Hier ist die Bedeutung des MRTs bei nachgewiesener Facettengelenksfraktur hervorzuheben und sicherlich unverzichtbar ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Fallbeispiel 1: 68-jähriger Patient mit Wirbelsäulenserienverletzung. U.a. zeigt sich eine B2-Verletzung im Segment C6/7 mit F2-Fraktur links (a und d). Der proc. articularis inferior C6 ist links frakturiert, der korrespondierende proc. articularis superior ist fissuriert (a, Pfeil). In der median sagittalen Ansicht wirkt das Segment im CT unauffällig, nicht zuletzt auch bedingt durch Artefakte durch den einliegenden endotrachealen Tubus sowie die Schultern (b). Die rechten Facetten wirken ebenfalls im CT unauffällig (c). Eine diskoligamentäre Verletzung mit resultierender OP-Indikation wird erst im MRT klar erkennbar. Hier findet sich als Ausdruck der Bandscheibenzerreißung ein ausgeprägtes Flüssigkeitssignal in der Bandscheibe C6/7, mit Zerreißung des Lig. longitudinale anterius (d).

Im eigenen klinischen Alltag befürworte ich daher bei im CT nachgewiesener Facettengelenksfraktur ohne bereits erkennbare Instabilität oder OP-Indikation (F1 und F2) die großzügige Indikationsstellung zur Durchführung eines MRTs und stimme der Kernaussage von Cabrera et al. zu, dass die CT zur Beurteilung und Festlegung der Therapie oftmals als nicht ausreichend empfunden wird. Dies entspricht ohne Zweifel gelegentlich einer Hypertriage, regelmäßig finden sich jedoch segmentale Verletzungen mit resultierender OP-Indikation, welche im CT nicht ersichtlich waren und nicht übersehen werden dürfen. Letzteres gilt insbesondere für die vermeintlich isolierten F1-Frakturen. Dennoch ist festzuhalten, dass der Umgang mit Facettengelenksfrakturen, sowohl diagnostisch, als auch therapeutisch, regions- und fachbezogen unterschiedlich ist [4]. Bei Durchführung eines MRTs kann auch eine Darstellung der Gefäße, insbesondere zum Ausschluss einer Dissektion der A. vertebralis, erfolgen, sofern dies nicht im Rahmen einer obligaten Kontrastmittelgabe im Rahmen einer Polytraumaspirale erfolgt ist. Die dynamische Untersuchung der Halswirbelsäule ist hingegen nur notwendig, sofern auch nach dem MRT Unklarheiten bez. einer potenziellen mechanischen Instabilität verbleiben und stellt zunehmend eine Ausnahme dar.



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Article published online:
24 August 2023

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