Suchttherapie 2023; 24(04): 167
DOI: 10.1055/a-2123-7311
Editorial

Editorial

Jens Reimer

Liebe Leserinnen und Leser,

hatten oder haben Sie ein Haustier? Ob Katze, Hund, Meerschweinchen oder andere tierische Zeitgenossen, Sie werden die Erfahrung gemacht haben, dass die Vierbeiner uneingeschränkter und unbedingter als die Zweibeiner für einen da sind, man gleichzeitig Verantwortung für deren Wohlergehen übernimmt. Implikationen mögen vielfältig sein; Lebensfreude, Selbstwirksamkeitserleben, Zuneigung, soziale Kontakte, Tagesstrukturierung etc… Als Suchttherapeuten beobachten wir, dass Betroffene zum Teil von Tieren begleitet werden oder Tiere im Wohnumfeld eine Rolle spielen. Vor dem Hintergrund der breiten Palette suchttherapeutischer Angebote mutet es fast ein wenig erstaunlich an, dass der Rolle von Tieren im Leben suchtkranker Menschen und deren Einfluss auf gesundheitliche, psychische und soziale Faktoren recht wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Gut, es mag Gründe geben; Hunde sind nicht auf Rezept verschreibbar, wir würden bei Empfehlung der tiergestützten Intervention, wenn man Sie so begreifen mag, weder auf Medikamente, Psychotherapie, Sozialarbeit oder sonstige Heil- und Hilfsmittel verweisen. Die Intervention fiele aus dem üblichen Kanon der Gesundheitsdienstleistungen. Vielleicht spielt ja auch ein bisschen Unbehagen mit; ist die suchtkranke Person, die es offensichtlich mit der Selbstfürsorge nicht so einfach hat, in der Lage, für ein anderes Lebewesen Sorge zu tragen. Den vorgenannten Themen widmet sich die Arbeit von Michael Schulze, Berlin, dessen Korrespondenzadresse passenderweise am Katzengraben liegt. Von den vierbeinigen ‚Stabilisierern‘ nun zu den nahen zweibeinigen Interaktionspartnern von von Sucht Betroffener. Wie blicken wir auf sie? Als Ko-Abhängige, ‚Hilfsmittel‘ zur Therapie unseres Patienten, Teil des Sozialsystems des Betroffenen oder als auch Behandlungsbedürftige? Die vorrangige Rollenzuschreibung hat dann auch Rückwirkungen auf unseren Behandlungsansatz. Larissa Hornig, Frankfurt/Friedrichsdorf, öffnet diesbezüglich mit ihrem Beitrag die ein oder andere Tür. In ihrer Untersuchung zu Charakteristika von Klienten der Suchtberatung stellen David Gurrea Salas, Hans Jürg Neuenschwander, Michael Schwilk, Thomas Lüdeckens, Eva-Maria Pichler, Norbert Scherbaum und Patrick Roser aus Brugg/Windisch, Aarau, Baden, Lenzburg (jeweils Schweiz) und Essen (Deutschland) erhöhte psychiatrisch-psychotherapeutische und psychosoziale Bedarfe fest. Ggfs. wäre auch hier die Frage der Kumpantiere oder der Einsatz systemischer Ansätze von Interesse. Abschließend bietet sich die Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Rüdiger Holzbach, Arnsberg, schreibt zu Sucht im Alter. Während im Bereich der somatischen Erkrankungen die Leistungserbringung im höheren Lebensalter häufig deutlich zunimmt, scheint im psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich hier und dort manchmal ein Nihilismus einzuziehen. Wie schön, dass in diesem Beitrag einige bereichernde Wege aufgezeigt werden.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,

Ihr Jens Reimer



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Article published online:
09 November 2023

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