Zentralbl Chir 2023; 148(05): 404-405
DOI: 10.1055/a-2146-5273
Editorial

Editorial

Ralph Ingo Rückert

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Gefäßmedizin und insbesondere die moderne Gefäßchirurgie sind einerseits durch die Weiterentwicklung minimalinvasiver Therapieverfahren – also vor allem der endovaskulären Therapie – geprägt. Andererseits ergeben sich damit aber auch neue Herausforderungen für das komplexe Management bei langfristig entstehenden Problemen nach endovaskulärer Therapie. Das aktuelle Themenheft zur Gefäßchirurgie präsentiert neue Erkenntnisse und Ideen zur optimalen Behandlung der Patient*innen, die dieses Gesamtspektrum adressieren und die ausnahmslos klinisch relevant sind.

Ihre Erfahrung mit einem neuen Stentprothesensystem und der sog. „In-situ-Fenestration“ für die linke A. subclavia bei der Behandlung von thorakalen Aortenpathologien verbinden Ursai und Austermann, Münster, mit einer Übersicht zu den verschiedenen Methoden der Erhaltung der Perfusion der A. subclavia sinistra. Einerseits sind in der akuten vs. elektiven (chronischen) Situation jeweils nicht alle Techniken indiziert, und andererseits hat gerade die Technik der „In-situ-Fenestration“ das Armamentarium deutlich bereichert. Das Potenzial dieser Technik besteht interessanterweise sowohl für die akute als auch für die elektive Situation. Der Vergleich dieses Verfahrens einerseits mit den Techniken der „Surgeon-modified Grafts“ und der „Chimney-TEVAR“-Methode, andererseits mit den patientenindividuell hergestellten (Custom-made Devices) oder mit den inzwischen „Off-the-Shelf“ verfügbaren Stentprothesensystemen macht die Arbeit besonders interessant. Ohne Zweifel haben Innovationen auf dem Gebiet der endovaskulären Gefäßchirurgie derzeit den größten Einfluss auf entscheidende Fortschritte bei der Revaskularisation und damit der invasiven Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). Neben der Ballonangioplastie und der Stenttechnologie sind die Methoden der endovaskulären Atherektomie vielleicht das am besten geeignete Beispiel für komplexe endovaskuläre Technologien. Die multizentrische Arbeit von Teßarek et al., Lingen, hat die detaillierte Beschreibung eines neuen Atherektomiesystems zum Gegenstand. Das ByCross-System wird hinsichtlich der Anwendungsbedingungen (Instructions for Use – IFU), der klinischen Performance und der technischen Beschaffenheit/Konstruktion mit den anderen verfügbaren Atherektomiesystemen verglichen. Hervorzuheben ist, dass die Autoren der vorliegenden Arbeit über eigene und durchaus umfangreiche Erfahrung in der Anwendung des ByCross-Systems verfügen und nicht nur einen theoretischen Vergleich mit anderen Systemen vorlegen. Dabei wird auch der Begriff eines multifunktionalen Atherothrombektomiesystems verwendet, das die Indikationsbreite erweitert, ohne den technischen Aufwand zu vergrößern. Zusätzlich wird die These aufgestellt, dass mit dem hier beschriebenen System die Dominanz der offenen Bypasschirurgie infrage gestellt werden könnte. Besonders interessant ist dabei, wie innovative Eigenschaften der Konstruktion des ByCross-Systems die Möglichkeiten des klinischen Einsatzes deutlich erweitern. Klinische und technische Vergleichsdaten sprechen nach Meinung der Autoren dafür, dass das ByCross-System eine rasche Verbreitung finden und bald seine potenzielle Überlegenheit in kontrollierten Studien unter Beweis stellen könnte. Die Technologie der Beschichtung von Ballons mit biologisch aktiven Substanzen stellt eine der innovativsten Entwicklungen in der endovaskulären Therapie von Gefäßerkrankungen dar. Allerdings hatte es eine erhebliche Kontroverse um Paclitaxel gegeben, das bisher beinahe ausnahmslos Verwendung findet. Aus einer Metaanalyse waren Hinweise auf eine erhöhte Mortalität der mit Paclitaxel-beschichteten Ballons behandelten Patient*innen im Langzeitverlauf entstanden, die in prospektiven Studien bis dato allerdings nicht bestätigt werden konnten. Dennoch resultierte aus den langanhaltenden Diskussionen um Paclitaxel die Suche nach alternativen Substanzen. Die vorliegende Arbeit von Teichgräber et al., Jena, gibt einen Überblick über die bisher vorliegenden Daten zur Angioplastie mit Sirolimus-beschichteten Ballons zur Behandlung der PAVK: Ausgehend von den Ergebnissen der Pilotstudien werden die aktuell laufenden randomisierten kontrollierten Studien unter der Prämisse eines potenziell neuen Standards zur Therapie der PAVK vorgestellt. Hervorzuheben ist, dass die Autor*innen der vorliegenden Arbeit über eigene und durchaus umfangreiche Erfahrung in der Anwendung von Sirolimus verfügen und selbst wesentlich zur wissenschaftlichen Untersuchung dieser Substanz beigetragen haben. Die späte offene Semikonversion mit Prothesenerhalt bei (Typ-II-)Endoleckagen mit spätem Aneurysmasackwachstum nach EVAR wird von Walensi et al. aus der Arbeitsgruppe von Hoffmann, Essen, hinsichtlich Indikationen, Methode und Ergebnissen im eigenen Patientenkollektiv dargestellt. Die Arbeit ist von hoher klinischer Relevanz. Zunehmend und trotz bedeutender und kontinuierlicher technischer Weiterentwicklung der Stentprothesensysteme und auch inzwischen großer Erfahrung der Teams werden vor allem im mittel- und langfristigen Verlauf nach EVAR therapierefraktäre, primäre oder auch sekundäre Endoleaks vom Typ II als methodenimmanente Komplikation der endovaskulären Therapie beobachtet. Ist trotz Ausschöpfung aller endovaskulären Re-Interventionsoptionen eine definierte Zunahme der Aneurysmasackgröße zu verzeichnen, sind offene Operationsverfahren mit dem Ziel einer Konversion zur effektiven Ausschaltung des Aneurysmas aus der Zirkulation etabliert. Dabei ist die Differenzialindikation zwischen einer Erhaltung der Stentprothesensysteme (Late Open Semiconversion – LOSC) einerseits und der vollständigen (Late Open Full Conversion – LOFC) oder teilweisen (Late Open Partial Conversion – LOPC) Entfernung derselben andererseits von eminenter Bedeutung. Neben einem kompakten Überblick über die verfügbaren Methoden hat die vorliegende Arbeit die Indikationsstellung und Durchführung der LOSC als Ultima Ratio zum Inhalt.

Freuen Sie sich also auf eine erkenntnisreiche Lektüre, die Ihnen Innovationen auf vaskulärem Gebiet nahebringt und es Ihnen auch erlauben dürfte, eventuell sogar praktische Konsequenzen von klinischer Relevanz in Betracht zu ziehen oder umzusetzen.

Mit herzlichen Grüßen aus Berlin

Ihr

PD Dr. med. Ralph-Ingo Rückert



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Article published online:
16 October 2023

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