Dtsch Med Wochenschr 1952; 77(17): 553-557
DOI: 10.1055/s-0028-1116019
Therapie

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Über wenig bekannte Gefahren der AT 10-Behandlung bei der parathyreopriven Tetanie

Friedrich Erbslöh, Hans-Georg Bongartz
  • II. Med. Klinik — Poliklinik der Med. Akademie in Düsseldorf (Direktor: Prof. Dr. Dr. G. Bodechtel) und dem Hirnpathologischen Institut der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (Max-Planck-Institut) in München (Direktor: Prof. Dr. W. Scholz)
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Publication Date:
22 April 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Im Gegensatz zu den allgemein bekannten Gefahren einer Insulinüberdosierung beim Pankreasdiabetes sind Überdosierungserscheinungen bei der AT 10-Behandlung der parathyreopriven Tetanie wenig gefürchtet. Das klinische Syndrom bei akuter AT 10-Intoxikation hat Holtz beschrieben; chronische AT 10-Vergiftungen unter dem Bilde eines Hyperparathyreoidismus sind zwar im Tierexperiment hervorgerufen worden, sind aber der Humanpathologie und Klinik nicht geläufig.

2. Es wird deshalb eine klinische Beobachtung von chronischer AT 10-Intoxikation ausführlich dargestellt, bei der eine Hyperkalzämie, Isosthenurie, allgemeine Abzehrung, Osteoporose, Anorexie, hartnäckige Obstipation und unerträgliche Gliederschmerzen bestanden. Im 20 jährigen Krankheitsverlauf lassen sich zwei Phasen deutlich voneinander abgrenzen: a) Die erste Phase der klassischen postoperativ-parathyreopriven Tetanie, welche 12 Jahre lang durch AT 10 weitgehend kompensiert werden konnte, b) Die Phase echter zerebraler Anfälle, welche mit der Menopause einsetzt. In der 2. Phase besteht ein Übergangshochdruck bei allgemeiner Arteriosklerose; tetanische Symptome sind nicht mehr nachweisbar. Dementsprechend bleiben erneute AT 10-Gaben unwirksam und es kommt nach weiterer Verabfolgung des Mittels zur chronischen AT 10-Vergiftung.

3. Auf eine analoge Beobachtung von Clairmont und Brunner wird Bezug genommen und ein weiterer Fall von parathyreopriver Tetanie nach Strumektomie ähnlichen Verlaufes, bei dem sich autoptisch eine diffuse, symmetrische, nichtarteriosklerotische intrazerebrale Gefäßverkalkung (Pick-Fahr) und ein schweres Hirnödem fand, wird dargestellt.

4. Nach diesen drei Beobachtungen besteht dann die Gefahr einer chronischen AT 10-Vergiftung bzw. einer AT 10-Schädigung, wenn sich auf die ursprüngliche parathyreoprive Tetanie eine organische Gefäßerkrankung, insonderheit mit zerebraler und renaler Lokalisation, aufpfropft, bzw. jene ablöst. — Hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen der AT 10-behandelten parathyreopriven Tetanie und der jeweils vorliegenden verschiedenartigen Angiopathie (Arteriosklerose, Nephrosklerose, diffuse Verkalkung intrazerebraler Gefäße) wird gefolgert, daß nicht die langjährige AT 10-Behandlung, sondern im Gegenteil Unregelmäßigkeiten und ungerechtfertigte längere Behandlungspausen die Entwicklung der erwähnten Gefäßveränderungen begünstigen können.

5. Als therapeutische Konsequenz ergibt sich, daß in jedem Falle von parathyreopriver Tetanie, bei dem sich ein zerebrales oder renales Syndrom als Komplikation oder als Nachkrankheit der Tetanie einstellt, AT 10 nur mit äußerster Vorsicht und unter strenger klinischer Überwachung verabfolgt werden sollte.

Auf der anderen Seite wird besonders bei Tetanien nach Strumektomie sorgsam darauf zu achten sein, daß Unregelmäßigkeiten und ungerechtfertigte Pausen in der AT 10-Medikation unterbleiben.

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