Dtsch Med Wochenschr 1950; 75(4): 134-138
DOI: 10.1055/s-0028-1117810
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Pathogenese der Regulationskrankheiten

Ferdinand Bertram (Schluß)
  • Medizinischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses Langenhorn, Hamburg (Chefarzt: Prof. Dr. F. Bertram)
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Publication Date:
06 May 2009 (online)

Zusammenfassung

In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, alle R.Kr. unter gemeinsamen pathogenetischen Gesichtspunkten zusammenzufassen. Diese Betrachtung zwingt uns die Klinik auf. Tierversuche können dabei aus den besprochenen Gründen im Stich lassen.

1. Allen R.Kr. ist eine konstitutionell-hereditäre Unterwertigkeit peripherer endokriner Drüsen gemeinsam. Der Begriff der Dienzephalose wird abgelehnt, da Störungen des Dienzephalons resp. des Zw.H.-H.V.L.-S. im allgemeinen nicht als ursächliche, sondern nur als auslösende Momente für die Krankheitsentstehung in Frage kommen.

2. Es wird der Standpunkt einer unitaristischen Hormonbildung vertreten. Bei den verschieden wirksamen Hormonen der endokrinen Drüsen handelt es sich nicht um verschiedene Wirkstoffe, sondern um Fraktionen, welche im Auf- und Abbau der Hormonbildung in den Drüsen entstehen. In diese Auf- und Abbauprozesse greifen die glandotropen Hormone des H.V.L. in entscheidender Weise ein. Bei konstitutionell-hereditärer Unterwertigkeit bestimmter endokriner Drüsen können diese Umbauprozesse der Hormone in abwegigen Richtungen verlaufen und dadurch funktionelle oder morphologische Veränderungen im Sinne einer Zellhyperplasie bis zur Adenombildung oder einer Zelldestruktion bewirken, welche die Art und den Verlauf der R.Kr. bestimmen.

3. Der N.N.R. wird in der Pathogenese der R.Kr. eine überragende Bedeutung zugesprochen für das Zustandekommen von Fettsucht und Magersucht (zusammen mit den Sexualdrüsen) sowie des Diabetes mellitus. Es ist möglich, daß die N.N.R. auch für manche psychischen Veränderungen im Verlauf der R.Kr. verantwortlich zu machen ist.

4. Reine Formen der R.Kr. sind relativ selten. Das klinische Bild wird meistens durch koordinierte Störungen anderer Drüsen nach bestimmten Richtungen modifiziert.

5. Das Wesen und die Art der einzelnen R.Kr. werden uns erst verständlich, wenn wir den Ablauf des Krankheitsgeschehens über längere Zeit betrachten. Es kommt durch Über- oder Unterfunktionen einzelner endokriner Drüsen zu Änderungen im klinischen Bilde, für die Mohnike die Bezeichnung „Metamorphose” vorgeschlagen hat.

6. Exogene Faktoren kann man in der Begutachtung der R.Kr. niemals als Ursache, sondern nur im Sinne eines auslösenden Faktors bewerten, in dem Sinne, daß es durch sie vorzeitig zu einer Manifestierung der Erkrankung kommt, die sonst in manchen Fällen vielleicht niemals, in anderen zeitlich später in Erscheinung getreten wäre.

7. Die von uns gegebenen pathogenetischen Betrachtungen vermögen uns vielleicht therapeutische Anregungen zu geben:

a) Beim Diabetes des Jugendlichen sollte man versuchen, die Metamorphose zu beschleunigen. Mohnike glaubt, daß dafür der Insulinschock geeignet sei.

b) Bei beginnenden Gefäßprozessen — der Retinitis diabetica, der Glomerulosklerose — ist daran zu denken, die Überfunktion der N.N.R. einzudämmen. Ob hierfür eine Röntgenbestrahlung der Nebennieren geeignet ist, bedürfte der Nachprüfung.

c) Die Bekämpfung der Fettsucht in der Prophylaxe und Therapie des Diabetes ist von Joslin schon seit langer Zeit propagiert worden. Wir kennen zahlreiche Fälle, wo es gelungen ist, durch sachgemäße Entfettung einen Diabetes vollkommen in das Stadium der Latenz zurückzuführen.

d) Die Beseitigung von Umweltschäden durch Ernährungstherapie, Zwischenhirnsedativa und seelische Beeinflussung — einschließlich der Psychotherapie — kann von Erfolg sein.

Der Zweck dieser Arbeit ist erfüllt, wenn unsere Versuche einer gemeinsamen pathogenetischen Betrachtung dazu anregen, bei den Problemen der R.Kr. mehr als bisher die Ganzheitsbetrachtung in den Mittelpunkt zu stellen, eine Forderung, die nach unserer Meinung nicht nur für dieses Gebiet, sondern für unser ganzes ärztliches Denken gefordert werden muß.