Dtsch Med Wochenschr 1937; 63(45): 1681-1686
DOI: 10.1055/s-0028-1121786
Blutkrankheiten

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die Bedeutung der Sternalpunktion für die Beurteilung Kranker mit sekundären Anämien

Rudolf Stodtmeister
  • I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité in Berlin (Direktor: Prof. Siebeck) und der Ludolf Krehl-Klinik in Heidelberg (Direktor: Prof. Stein)
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Publication Date:
02 September 2009 (online)

Zusammenfassung

Wenn bei sekundären Anämien, die durch langdauernde kleine Blutverluste entstanden sind, die Wiederherstellung des roten Blutbildes — auch nach Aufhören der Blutung — ausbleibt oder wenigstens nur unvollkommen ist, so werden im Knochenmark doch charakteristische Veränderungen beobachtet: die Zahl der Normoblasten ist erhöht. Im allgemeinen hält sich die Normoblastenerhöhung aber in mäßigen Grenzen. Die Zahl der Leukozyten und deren Vorstufen wird in der Regel nicht überschritten.

Eine Normoblastenerhöhung im Knochenmark tritt auch dann ein, wenn nach einem einmaligen größeren Blutverlust die Restitution des Blutbildes zunächst auf sich warten läßt und der Hämoglobinspiegel im Blut niedrig bleibt.

Auslösendes Moment für die Überproduktion der Normoblasten im Knochenmark ist der niedrige Hämoglobinspiegel im Blut, nicht die Verminderung der Erythrozyten. Normoblastenerhöhungen im Knochenmark werden auch dann beobachtet, wenn die Zahl der Erythrozyten bereits wieder annähernd normal ist, das Hämoglobin im Blut aber noch deutlich verminderte Werte zeigt.

Von dieser mäßigen Normoblastenerhöhung zu unterscheiden ist die eigentliche Normoblastenkrise des Knochenmarks: schnelles Ansteigen der Normoblasten zu exzessiv hohen und ebenso schnelles Absinken zu annähernd normalen Werten (etwa zu vergleichen mit der wohlbekannten Retikulozytenkrise im Blut nach Einsetzen der Lebertherapie bei perniziöser Anämie).

Die Normoblastenkrise im Knochenmark tritt im Zusammenhang mit dem Ansteigen des Hämoglobinspiegels im Blut auf, und zwar so, daß die Restitution des roten Blutbildes durch die Normoblastenkrise eingeleitet wird.

Die Normoblastenkrise des Knochenmarks tritt unmittelbar im Anschluß an einen Blutverlust auf, wenn sofort eine spontane Regeneration des roten Blutbildes eintritt. Bei verzögerter Regeneration wird die Normoblastenkrise — auf die anfängliche oben beschriebene mäßige Normoblastenvermehrung sich aufpfropfend — dann beobachtet, wenn — in der Regel nach Eisengaben — die Hämoglobinwerte ansteigen.

Bei sekundären Anämien, die durch schwere bakterielle und toxische Schädigungen bedingt sind (Endocarditis lenta, Panmyelophthise), werden reaktive Normoblastenvermehrungen im Knochenmark in der Regel vermißt. Wir fassen daher die Erhöhung der Normoblastenzahlen im Knochenmark bei Blutungsanämien mit verzögerter Regeneration als Zeichen einer noch guten Reaktionsbereitschaft des Knochenmarks auf; letztere zeigt sich in einer guten Ansprechbarkeit der Blutungsanämien auf Eisenpräparate, die bei den schweren toxischen und bakteriell bedingten Anämien vermißt wird.

Auf der Höhe der Normoblastenkrise tritt eine entsprechende Ausschwemmung von Normoblasten in die Blutbahn nicht ein. Normoblastenausschwemmungen in die Blutbahn sind daher nicht als Ausdruck einer überstürzten Zellregeneration im Knochenmark aufzufassen. Sie müssen vielmehr als Störung einer anderen Knochenmarksfunktion, nämlich der Emissionstätigkeit, angesehen werden.