Dtsch Med Wochenschr 1924; 50(17): 529-532
DOI: 10.1055/s-0028-1133420
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber Strontium und seine Verbindungen als Analgetikum und über parenterale Bromtherapie1)

W. Alwens - Direktor des Krankenhauses
  • Aus dem Städtischen Krankenhaus Sandhof in Frankfurt a. M.
1) Nach einem Vortrag im Medizinisch-biologischen Verein in Frankfurt a. M. am 6. XI. 1923.
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Publication Date:
23 August 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Der starke formative Reiz, den das Strontium auf das osteogene Gewebe auszuüben imstande ist (Lehnerdt), räumt ihm eine dominierende Stellung in der Behandlung der Hungerosteopathien (vor allem derjenigen, welche der Gruppe der Osteoporosen angehören) ein. Diese Strontiumsklerose des Knochens kann auch mit großem Nutzen bei der Behandlung schlecht heilender Frakturen verwertet werden.

2. Die auffallend rasch einsetzende analgetische Wirkung bei den mit heftigen Schmerzen einhergehenden, unter 1 genannten Knochenerkrankungen legte den Gedanken nahe, daß außer der direkten Beeinflussung des osteogenen Gewebes noch eine unmittelbare Wirkung auf das Nervensystem vorliegen müsse.

3. Diese Annahme ist durch die experimentellen Untersuchungen von Boruttau und Graßheim, welche den hemmenden Einfluß des Strontiums auf die Erregbarkeit des peripherischen Nervensystems zeigen konnten, bestätigt worden. Dadurch ist die therapeutische Verwendung des Strontiums aus dem Stadium der Empirie heraus zu einer wissenschaftlich gut fundierten Methode erhoben worden. Die Wirkung auf das zentrale Nervensystem tritt bei dem von Boruttau und Graßheim zur Prüfung verwendeten Strontium chloratum hinter dem deutlichen Einfluß auf das peripherische Nervensystem zurück.

4. An die Stelle der peroralen Anwendung, welche bei Knochenerkrankungen als Methode der Wahl bezeichnet werden kann, tritt die parenterale Applikation zur Behandlung von Schmerzzuständen unterschiedlicher Art und Ursache.

5. Versuche mit den verschiedenen Verbindungen des Strontiums haben ergeben, daß dem Bromsalz des Strontiums die stärkste analgetische Wirkung zukommt. Dem das peripherische Nervensystem anästhesierenden Einfluß des Strontiums wird durch die hinzukommende Bromkomponente noch die sedative Wirkung des Broms zugesellt. Im Strontiumbromid steht ein komplexes, peripherisch und zentral am Nervensystem angreifendes Medikament zur therapeutischen Verwendung zur Verfügung.

6. Die Behandlungsmethode der Wahl ist die intravenöse, welche bei sich ergebenden technischen Schwierigkeiten durch die intramuskuläre und subkutane ersetzt werden kann.

7. An einer großen, im Laufe von 2 Jahren behandelten Anzahl von Fällen ist die therapeutische Wirksamkeit des Strontium bromatum erprobt worden. Es eignen sich besonders: Neuralgien verschiedener Art und Aetiologie, Neuritiden, lanzinierende Schmerzen und Krisen bei Tabes, Schmerzen bei Enzephalitis, Schmerzzustände bei inoperablen Karzinomen (Knochenmetastasen), Gelenkschmerzen bei chronischen Arthritiden, Schmerzen im Verlaufe akuter entzündlicher Erkrankungen. Bei den letzteren Krankheitszuständen ist nicht nur eine günstige Beeinflussung der Schmerzen, sondern auch ein Rückgang der entzündlichen Erscheinungen zu beobachten, was im Sinne der Spießschen Lehre von der entzündungswidrigen Wirkung der Anästhetika gedeutet werden kann.

8. Wird naturgemäß das Strontium bromatum auch nicht als vollwertiger Ersatz des Morphiums angesehen werden dürfen, so besteht doch die Möglichkeit, Kranke, welche an längerdauernden, mit Schmerzen einhergehenden Erkrankungen leiden, vor dem Morphinismus zu bewahren.

9. Die intravenöse und intramuskuläre Anwendung des Strontiumbromids stellt, soweit ich die Literatur überblicke, den ersten Versuch einer parenteralen Bromtherapie dar.

10. Es wird durch ausgedehnte Anwendung bei Epileptikern zu prüfen sein, ob die intravenöse Bromtherapie mit Strontiumbromid der bisher geübten stomachalen Anwendung des Broms überlegen ist. Auf Grund der vorliegenden experimentellen Ergebnisse und der Untersuchungen der Bromausscheidung scheinen mir derartige Versuche aussichtsreich zu sein.

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