Dtsch Med Wochenschr 1925; 51(16): 636-640
DOI: 10.1055/s-0028-1136665
Innere Sekretion und Ihre Stoerungen

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Ueber kolloidchemische Veränderungen bei der Muskelermüdung und ihre biologische Bedeutung

Gustav Embden, Hans Jost
  • Aus dem Institut für vegetative Physiologie der Universität in Frankfurt
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 August 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Die Steigerung der oxydativen Vorgänge bei der Muskeltätigkeit fällt zeitlich — wie schon durch frühere Untersuchungen bekannt war — nicht mit dem Augenblick der Kontraktion zusammen, sondern spielt sich erst während der Erholung ab.

2. Aber auch der bisher als unmittelbare Quelle der Energie im Kontraktionsaugenblick angesehene anaërobe Vorgang der Milchsäurebildung aus Kohlenhydrat ist zeitlich — wie aus neuerlich durchgeführten Untersuchungen hervorgeht — nicht an die Kontraktion gebunden, sondern spielt sich gewöhnlich zu einem sehr beträchtlichen Teil erst nach der Kontraktion ab.

3. Ein im engeren Sinne chemischer Prozeß, der als Quelle der im Kontraktionsaugenblick frei werdenden Energie ausreicht, ist also nicht bekannt, und es muß daher diese Energiequelle entweder in einem noch unbekannten, mit positiver Wärmetönung verlaufenden chemischen Prozeß bestehen oder überhaupt nicht chemischer, sondern physiko-chemischer (kolloidchemischer) Natur sein. Im letzteren Falle würde also bei der Kontraktion sich an kolloiden Muskelbestandteilen eine an sich exotherm verlaufende Zustandsänderung abspielen, und den energieliefernden chemischen Prozessen käme die Aufgabe zu, die bei der Kontraktion erfolgte Energieentladung wieder auszugleichen.

4. Dem Nachweis solcher exotherm verlaufenden Kolloidprozesse bei der Muskelkontraktion würde daher die größte Bedeutung zukommen. Dieser Nachweis konnte zwar bisher nicht geführt werden, doch ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit aus den im Voranstehenden kurz mitgeteilten Untersuchungen, daß nach ermüdender Muskelarbeit eine Zustandsänderung an den intrafibrillären Kolloiden, am Orte des Kontraktionsvorganges, zurückbleibt, die derjenigen nahe verwandt ist, welche beim Absterben der Muskulatur eintritt. Die weitgehende Aehnlichkeit der Kolloidveränderungen nach ermüdender Arbeit und beim Absterben des Muskels wird daraus erschlossen, daß die Fähigkeit unter der Einwirkung bestimmter Salze eine bestimmte fermentative Synthese — den Aufbau von Laktazidogen — zu vollziehen, in beiden Fällen in gleichartiger Weise vermindert ist, während der umgekehrte Prozeß — die Spaltung des Laktazidogens — sich ungestört vollzieht.

5. Während die fortschreitende Minderung dieser synthetischen Kraft beim Absterben der Muskulatur schließlich zu völliger Vernichtung der Synthesefähigkeit führt, kommt es unter geeigneten Versuchsbedingungen nach stark ermüdender Muskelarbeit parallel mit der eintretenden Erholung zu vollständiger Wiederherstellung des Synthesevermögens.

6. Im Anschluß an diese Versuchsergebnisse wird die Möglichkeit erörtert, daß in der nach ermüdender Arbeit gefundenen intrafibrillären Kolloidzustandsänderung der Ausdruck des bei der Muskelkontraktion energieliefernden Prozesses zu erblicken ist, daß es also bei ermüdender Muskeltätigkeit zur fortschreitenden Entladung von kolloidchemischen Akkumulatoren kommt.

7. Im Anschluß hieran wird in Erwägung gezogen, daß exotherm verlaufende Kolloidprozesse möglicherweise nicht nur als die unmittelbare Energiequelle bei der Muskelkontraktion anzusehen, sondern ganz allgemein für die intravitale Energieübertragung bedeutungsvoll sind. Sie könnten z. B. auch als Energieüberträger bei endotherm verlaufenden chemischen Prozessen in Betracht kommen, ja die Fähigkeit der Kolloide, sich mit Energie aufzuladen und diese Energie in verschiedenartiger Form wieder abzugeben, macht sie im lebenden Organismus vielleicht geradezu zu Energiekatalysatoren.

    >