Dtsch Med Wochenschr 1927; 53(14): 559-561
DOI: 10.1055/s-0028-1145137
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Antineuralgische „Mischpulver”

Ergebnisse der experimentellen Prüfung von Arzneikombinationen aus den Gruppen der Antineuralgika, Narkotika und OpiateS. Loewe
  • Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Tartu-Dorpat
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Publication Date:
19 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Ucberblickt man dig vorstehendeli 7 Beispiele einer experimentellen Analyse der Kombinationserscheinungen von Mischarzneiwirkungen, so ist der hervortretendste Eindruck sicherlich, daß hier ein Gebiet eröffnet ist, auf dem ein bedeutendes Maß experimenteller Kleinarbeit der Durchführung harrt. Gerade bei der vorliegenden Beschränkung der Berichterstattung auf antineuralgische Mischpulver erweist sich schon nach den ersten Versuchen einer Analyse an nur einer Tierart die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Mischwirkungsphänomene, die einen kaum vorauszusehenden Ablauf nehmen. Schon das, worüber vorstehend Rechenschaft abgelegt wurde, stützt sich bei jeder einzelnen der 7 Kombinationen auf mindestens je 50 Tierversuche. Soweit solche Versuchsreihen für die gleiche Kombination bisher an anderer Tierart wiederholt werden konnten, ergab sich zwar in großen Zügen eine ungefähr übereinstimmende Aussage, in den Einzelheiten aber manche beachtliche Abweichung. Um so nachdrücklicher verweist derartige Mischarzneiprüfung darauf, wie verfrüht es wäre, allgemeine, eine Voraussage der Wirkungsgestaltung anstrebende Gesetzmäßigkeiten aufstellen zu wollen oder sich von solchen leiten zu lassen.

Jede einzelne der vielen Teilwirkungen, die jeder der Paarlinge in die Kombinationsehe mitbringt, kann, wie unsere Beispiele nachdrücklich immer wieder hervorheben, durch die Kombination mit dem anderen Paarling für sich modifiziert werden, die Veronallähmung kann durch Antipyrinzusatz antagonistisch beeinträchtigt, die Antipyrinerregung aber gleichzeitig durch den Veronalzusatz synergistisch gesteigert werden. Welchen Sinn hätte es hier, die Mischeffekte in ihrer Gesamtheit als „potenziert” oder „additiv” zu bezeichnen?

Das Ergebnis experimenteller Analyse führt ferner zu einer ganz verschiedenen Bewertung der Mischarznei, je nachdem ob — um bei unseren Beispielen der Antineuralgikum-Mischpulver zu bleiben — Schmerzstillung oder Schlafbegünstigung Ziel der therapeutischen Verwendung ist. Eine Abschwächung unwillkommener Nebenwirkungen kann im einen Falle gleichlaufende Abschwächung, im anderen aher relative Hervorhebung therapeutisch wertvoller Teilwirkungen mitsichbringen.

Endlich lehren unsere Beispiele sinnfällig die Bedeutung, die, über die in einer Kombination steckenden Möglichkeiten hinaus, dem in der Mischarznei gewählten Mischungsverhältnis der Komponenten zukommt. Unter 3 verschiedenen Spezialitätenmischungen der gleichen Komponenten — siehe das letzte unserer Beispiele — nutzt nur eine, wirklich sinnvoll gewählte die Vorzüge, die in der Gesamtkombination sich darbieten, tatsächlich optimal aus. Mau darf es für einen wesentlichen Vorzug der hier gehandhabten neuen Experimentalgrundsätze halten, daß sie den Ausblick eröffnen, mit ihrer Hilfe künftig die therapeutisch optimale Mischproportion innerhalb einer erfolgversprechenden Gesamtkombination ausfindig zu machen.

Gewiß rauben so nüchterne Betrachtungsweise und so trockenes Tatsachenstudium dem Gebiet der Arzneigemische viel des Geheimnisvollen, von dem es bisher umgehen war, und sperren den Tummelplatz, den „das Mischarzneiprobleni” bisher vielfach für ärztliche und merkantile Autismen abgab. Dafür steht aber zu hoffen, daß exakte, wenn auch mühsame Experimentalarbeit auch hier allmählich Licht in manches Dunkel des „Eindrucks am Krankenbett” bringen und darüber hinaus den Boden der Arzneigemische, auf dem mancher bisher ohne Saat zu ernten vermochte, zu einem Erntefeld wissenschaftlich fundierter neuer Heilmittel umgestalten wird.