Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(16): 801
DOI: 10.1055/s-0029-1220232
Editorial

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Komorbiditäten in der Inneren Medizin

Comorbidities in internal medicineR. Kolloch1
  • 1Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster
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Publication Date:
07 April 2009 (online)

Ein Schwerpunkt des 115. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der vom 18. – 22. April in Wiesbaden stattfindet, befasst sich mit dem Umgang mit Komorbiditäten. Die demographische Entwicklung mit zunehmend älteren und multimorbiden Patienten unterstreicht die Notwendigkeit einer verstärkten, systematischen Beschäftigung mit diesem Thema. Die zunehmende Subspezialisierung in der Inneren Medizin bedeutet eine Herausforderung für eine funktionierende Vernetzung einzelner Schwerpunktdisziplinen, um eine angemessene und kompetente Versorgung dieser Patienten zu gewährleisten. Diagnostische Besonderheiten, Interaktionen mit veränderten Wirkungs- und Nebenwirkungsprofilen von Medikamenten oder modifizierte Zielgrößen bei der Therapie führen nicht selten zu Unschärfen bei einer leitlinienorientierten Behandlung von Patienten mit mehreren Erkrankungen.

In der ersten Arbeit dieses Heftes geben J. Bolbrinker et al. einen Einblick in die Problematik der Polypharmakotherapie bei geriatrischen Notfallpatienten. Die häufigste Notfalldiagnose war die Synkope. 60 % der im Mittel 85 Jahre alten Patienten erhielten über 5 Medikamente täglich. Eine klinisch relevante Nierenfunktionseinschränkung hätte in 2/3 der Fälle eine Dosisanpassung für überwiegend renal eliminierte Wirkstoffe erfordert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die große Anzahl verordneter Medikamente das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und das Auftreten von Notfallsituationen bei dieser Patientengruppe deutlich erhöhen. Die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge im klinischen Alltag ist dringend erforderlich.

T. Lenz et al. geben einen Überblick über die Diagnostik und Therapie bei schwer einstellbarer Hypertonie. Therapieresistenz sollte immer auch für den Nachweis von Komorbiditäten des Hochdruckpatienten sensibilisieren. In diesem Zusammenhang muss auch das Vorliegen schlafbezogener Atemstörungen bedacht werden. In den letzten Jahren ist in epidemiologischen Studien zunehmend auf die unabhängige Assoziation von obstruktivem Schlafapnoesyndrom, Hypertonie, koronarer Herzerkrankung, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und metabolischem Syndrom hingewiesen worden. In randomisierten Studien konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung der Schlafapnoe mit CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) nicht nur den Blutdruck senkt, sondern auch Frühveränderungen der Arteriosklerose reduziert und bei Patienten mit Herzinsuffizienz die Pumpfunktion verbessert. Das obstruktive Schlafapnoesyndrom ist somit ein aktuelles Beispiel für die Beeinflussung von Prognose und Therapie sehr unterschiedlicher Krankheiten im Zusammenhang mit Komorbiditäten.

F. Mahfoud et al. beschreiben in ihrer Übersicht die praxis- und alltagsrelevante Komorbidität Anämie und Herzinsuffizienz. Die Anämie gehört mit einer Prävalenz von 12 – 55 % zu den häufigen Komorbiditäten bei der Herzinsuffizienz und ist ein unabhängiger Prädiktor für eine erhöhte Morbidität, Mortalität und auch erhöhte Hospitalisationsrate. Ein verminderter wie auch ein erhöhter Hämaglobingehalt sind dabei von prognostischer Relevanz. Weitere prospektive Studien bleiben abzuwarten, um Zielwerte für eine prognostisch optimale Hämoglobinkonzentration und den Stellenwert einer frühzeitigen Therapie der Anämie bei Herzinsuffizienz sicher beurteilen zu können. In einer weiteren Übersicht fokussieren E. Ukena et al. auf kardiopulmonale Interaktionen und beschreiben pathophysiologische sowie diagnostische und therapeutische Interdependenzen von kardiovaskulären Erkrankungen und COPD. Eine systemische Inflammation scheint bei diesen häufig auftretenden Komorbiditäten eine besondere Rolle zu spielen. Bei der Beeinflussung des kardiopulmonalen Kontinuums mit Modulation des zugrunde liegenden inflammatorischen Prozesses sind neben einer leitliniengerechten Pharmakotherapie besonders auch nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Raucherentwöhnung, Gewichtskontrolle, diätetische Aspekte, körperliches Training und Rehabilitation für diese Komorbiditäten von besonderer Bedeutung.

In seinem Kommentar weist H. Darius auf neue Perspektiven beim Einsatz von Antikoagulantien hin und stellt erste Studienergebnisse zu direkten Thrombinantagonisten und Faktor-Xa-Antagonisten dar. Gerade bei Komorbiditäten ist der sichere und gut steuerbare Einsatz von Antikoagulantien von herausragender Bedeutung.

Mit dem diesjährigen Internistenkongress möchten wir Ihnen in praxisorientierter Weise weitere wichtige Beispiele für die Vernetzung einzelner Schwerpunktdisziplinen nach den neuesten Erkenntnissen der Pathophysiologie und der Therapie aufzeigen. Ich lade alle interessierten Ärztinnen und Ärzte herzlich ein, bei der erfolgreichen, spannenden und interaktiven Umsetzung des Programms mitzuwirken. Nehmen Sie die Angebote in Wissenschaft, Fort- und Weiterbildung wahr und lassen Sie sich durch den kollegialen Austausch, aber auch durch den Frühling in Wiesbaden anregen.

Prof. Dr. med. Rainer E. Kolloch

Evangelisches Krankenhaus Bielefeld

Burgsteig 13

33617 Bielefeld

Email: rainer.kolloch@evkb.de

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