Diabetes aktuell 2009; 7(5): 211
DOI: 10.1055/s-0029-1239993
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sommerloch???

Antje Bergmann, Peter Schwarz
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 August 2009 (online)

Fast entstand der Eindruck, dass es in diesem Sommer keine Neuigkeiten, keine Sensationen oder Schlagzeilen auf dem Gebiet der Diabetologie gäbe ... aber nur fast.

Das Thema „Analoginsuline” wird viel und kontrovers diskutiert. Patienten werden durch diese öffentlichen Erörterungen verunsichert, Diabetologen und Hausärzte müssen sich eine eigene Meinung bilden und ihrer Informationspflicht nachkommen. Was ist passiert?

Von 4 aktuell erschienenen Beobachtungsstudien beschreiben 3 eine Zunahme des Krebsrisikos unter Insulin Glargin. Autoren des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bezogen sich auf 130 000 AOK–versicherte Patienten mit Diabetes, die entweder Humaninsulin oder eines der Analoga wie Lispro (Humalog®, Liprolog®), Aspart (Novorapid®) oder Glargin (Lantus®) erhielten. Primärer Endpunkt der Untersuchung war die Diagnose eines malignen Tumors. Das Ergebnis war statistisch signifikant, die IQWiG–Autoren können jedoch nicht ausschließen, dass andere unbekannte Faktoren zu diesem Ergebnis beigetragen haben könnten. Die zitierte Originalarbeit finden Sie unter: Hemkens LG et al. Risk of malignancies in patients with diabetes treated with human insulin or insulin analogues: a cohort study. Diabetologia, DOI 10.1007/s00125–009–1418–1424, elektronisch vorveröffentlicht am 26. Juni 2009; www.diabetologia-journal.org/cancer_files/081131Hemkenscorrectedproof.

Relevanz und vor allem Interpretation der Arbeiten sind mittlerweile von vielen Experten angezweifelt worden. Kritisiert wurde vor allem auch, dass Patienten massiv verunsichert werden mit noch nicht wissenschaftlich diskutierten Daten. American Diabetes Association (ADA), American Association of Clinical Endocrinologists, Endocrine Society und International Diabetes Federation (IDF) erklären „still an unproved link”, also eine noch nicht bewiesene Verbindung). Es wurde sogar die Motivation des IQWiG für die Studie hinterfragt, immerhin habe das IQWiG den Nutzen der Analoginsuline ja grundsätzlich angezweifelt, und es wurde betont, dass die Analyse der herangezogenen AOK–Daten keine Erhöhung, sondern im Gegenteil eine signifikante Absenkung des Risikos für Krebs um 15  % und der Gesamtmortalität um 32  % ergebe und erst nach Adjustierung mit der verabreichten Dosis des Insulins ein Risiko sichtbar werde (Garg SK et al. Insulin Glargine and Cancer – An Unsubstantiated Allegation. Diabetes Technology & Therapeutics 2009; 11: 473–476. DOI:10.1089/dia.2009.1705).

Es wird hier also noch lange eine lebhafte Diskussion in der wissenschaftlichen Gemeinde geben – und wieder lautet die Forderung: Wir brauchen weniger Marketingstudien, als vielmehr mehr prospektive Studien, wichtige Fragen lassen sich nicht nur über retrospektive Analysen beantworten. Hier sind auch die Firmen in der Pflicht.

Neu und aktuell ist das Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Wer im Sommer Zeit zum Lesen hat, dem empfehle ich die Langversion (900 Seiten), wer es kürzer mag, hat immerhin noch 180 Seiten zu lesen. Es lohnt sich aber, die Vorstellungen des Expertengremiums gerade im Hinblick auf eine hochqualifizierte Primärversorgung kennenzulernen (www.svr-gesundheit.de/Gutachten/ % DCbersicht/GA2009–LF.pdf).

Also, kein Sommerloch, sondern heftige und hitzige Debatten und Diskussionen – bleiben Sie neugierig und aktiv, viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen

PD Dr. med. habil. Antje Bergmann
Prof. Dr. med. habil. Peter Schwarz

    >