DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2011; 9(01): 20-22
DOI: 10.1055/s-0030-1250704
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Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Psychodynamik und Psychomorphologie am Beispiel der Nieren und des Dünndarms

Peter Wührl
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Publication Date:
07 February 2011 (online)

Stellen wir uns vor, ein Organ erscheint zum Persönlichkeitstest, zum Vorstellungsgespräch in einem Betrieb oder einer Wohngemeinschaft. Zeigt es sich dabei nur geeignet für den Abwasch, die Buchhaltung oder für zornige Wutausbrüche? Oder erweisen sich Organe als eigensinnige Charaktere und vielschichtige Persönlichkeiten, die ein vielseitiges Sozial- wie Beziehungsleben und ein lebendig-leibhaftes Gefühls- und Seelenleben zu erkennen geben?

Obwohl die meisten Menschen nicht mit dem Knie traurig sind, beweist dies keineswegs, dass sich Trauer nicht im Knie ausbreiten kann oder ein Knie nicht emphatisch mitfühlt. Darin zeigt sich vielmehr, dass die meisten Menschen zum Glück noch ein Gefühlsleben haben, dem solche psychologisierenden Zuordnungen fremd sind. Gefühle entspinnen und verspinnen sich im leiblichen Erleben, sie werden verwoben in Erzählungen und in szenischen Dramatisierungen bearbeitet. Die innerleibliche Organ-Gemeinschaft ist nicht mehr oder weniger geeignet für die Repräsentanz und Somatisierung emotionaler Prozesse als der muskulär-knöcherne Container. Die Unterstellung der Organkörpersprache – inneres Seelenleben drücke sich in der äußeren Hülle aus – steht auf tönernen Füßen und eröffnet dem wissend-lesenden Therapeuten das Feld denunziatorischer Ent-Hüllungen: ein durchaus typisches Vorgehen, das zeigt, wie gering der Beziehungsaspekt des therapeutischen Prozesses in der Osteopathie geschätzt wird.