Laryngorhinootologie 2011; 90(4): 228-229
DOI: 10.1055/s-0030-1267955
Gutachten + Recht

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Adenotomie auch stationär

Anmerkungen zu den Urteilen des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24.02.2010A. Wienke
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Publication Date:
26 April 2011 (online)

Das Sozialgericht Dresden hatte bereits mit seiner Entscheidung vom 30.04.2009 deutlich gemacht, dass eine vom behandelnden HNO-Arzt für erforderlich erachtete stationäre Durchführung einer Adenotomie bei einem 3-jährigen Kind gerechtfertigt war. Nun liegen 2 weitere gerichtliche Entscheidungen, diesmal vom Sozialgericht Dessau-Roßlau vor, welche ebenfalls die stationäre Durchführung einer Adenotomie bei 2 knapp 5-jährigen Kindern als erforderlich ansehen. Die Auseinandersetzungen um die Möglichkeit einer stationären Durchführung der Adenotomie hatten auch nach der Entscheidung des Sozialgerichts Dresden nicht abgenommen. Umso erfreulicher ist es, dass nun mit den Urteilen des Sozialgerichts Dessau-Roßlau in weiteren Fällen zweier knapp 5-jähriger Zwillingsschwestern die Notwendigkeit der stationären Durchführung einer Adenotomie bejaht wird.

In den vorliegenden Entscheidungen vom 24.02.2010 – S 4 KR 74 und 75/08 – war neben der grundsätzlichen Erforderlichkeit der stationären Durchführung der Adenotomie auch die Frage streitig, ob darüber hinaus die Inanspruchnahme eines präoperativen Tages notwendig gewesen war.

Der eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hatte in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Notwendigkeit der stationären Behandlung nicht medizinisch begründet sei. Selbst für den Fall, dass die Krankenkasse die Operation unter stationären Bedingungen akzeptiere, sei laut MDK-Gutachter jedenfalls der präoperative stationäre Behandlungstag nicht plausibel. Die an diesem Tag durchgeführten Untersuchungen hätten im Rahmen eines prästationären Aufenthaltes innerhalb von 5 Tagen vor der geplanten stationären Aufnahme erfolgen können. Die stationäre Aufnahme der Kinder hätte somit direkt am Tag der Operation erfolgen können. Medizinische Gründe für die Erforderlichkeit des präoperativen Tages lägen nicht vor. Nach diesem Gutachten des MDK forderte die Krankenkasse die „überzahlten Beträge” in Höhe von jeweils 542,39 Euro zurück und verrechnete diese in der Folge mit einer anderen Rechnung der Klinik.

Die Klinik forderte mit der Klage nunmehr diesen Betrag von der Krankenkasse zurück. Eine prästationäre (ambulante) Vorbereitung und die Wiedereinbestellung zur Operation seien weder zumutbar gewesen noch hätten sie zur möglichst risikoarmen Erreichung des Behandlungszieles beigetragen. Entgegen der Auffassung der Krankenkasse seien für die Frage der vollstationären Krankenhausbehandlung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht allein medizinische Erwägungen zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht Dessau vertrat in beiden Behandlungsfällen die Auffassung, dass die Krankenkasse zu Unrecht eine Verrechnung vorgenommen habe, da sie nicht berechtigt gewesen sei, eine Kürzung der angefallenen Vergütung vorzunehmen.

Der Vergütungsanspruch der Klinik gegenüber der Krankenkasse sei gerechtfertigt, da für die Behandlung der beiden Zwillingsschwestern ein Anspruch auf vollstationäre Behandlung im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V bestanden habe. Nach § 39 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen seien in den vorliegenden Fällen gegeben; es lägen erkennbar keine Fälle vor, die sich für eine ambulante Operation im Krankenhaus im Sinne des § 115b SGB V geeignet hätten.

Die Adenotomie ist in Anlage 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 des Vertrages ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus nach § 115 b SGB V (AOP-Vertrag) als Leistung gekennzeichnet, welche in der Regel ambulant durchgeführt werden kann. Nach § 2 des AOP-Vertrages kann daraus jedoch nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, dass die in der Anlage aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind. Vielmehr sind stets die Verhältnisse des Einzelfalles entscheidend. So kommt eine stationäre Durchführung der Operation bei Vorliegen bzw. Erfüllen der in Anlage 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 des AOP-Vertrages genannten Tatbestände in Betracht.

Das Sozialgericht wies darauf hin, dass in Absatz 2 der Anlage 2 zu dem AOP-Vertrag ausdrücklich 2 Kriterien genannt seien, die eine stationäre Durchführung der in der Regel ambulant durchzuführenden Operationen erforderlich machen könnten. Dies seien die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten des Patienten im Falle von postoperativen Komplikationen und/oder die fehlende sachgerechte Versorgung im Haushalt des Patienten.

Das Gericht sah vor diesem Hintergrund die von dem Chefarzt der HNO-Klinik dargelegten Gründe für die gewählte Art der Behandlung als hinreichend an, sowohl die Notwendigkeit der stationären Durchführung der Operation als auch die Erforderlichkeit der Aufnahme einen Tag vor der Operation zu begründen. Dieser hatte vorgetragen, dass die stationäre Aufnahme der Kinder am Tag vor der Operation zum einem zur Durchführung von Untersuchungen zum anderen aber auch erfolgte, um das Narkoserisiko zu vermeiden, indem sichergestellt wurde, dass die Kinder am Operationstag nüchtern waren. Das Gericht schloss sich diesen Erwägungen zur Notwendigkeit der stationären Behandlung an und führte aus, es erscheine lebensfremd von der Mutter der Zwillingsschwestern zu erwarten, dass sie vor der Operation die Operationsfähigkeit, insbesondere die Nüchternheit der beiden Kinder im Vorschulalter sicherstelle und nach der Operation die Betreuung der gerade aus der Narkose erwachten Kinder gewährleiste.

Zudem stellte das Gericht klar, dass es für die durch die Krankenkasse erfolgte Kürzung der Abrechnung wegen des angeblich nicht erforderlichen präoperativen Tages an einer Rechtsgrundlage fehle. Die Vergütung als Fallpauschale unter Zugrundelegung der DRG's erfolge grundsätzlich unabhängig von der Verweildauer des Patienten. Zwar sehe die nach § 17b KHG abgeschlossene Fallpauschalenvereinbarung durchaus Kürzungstatbestände vor; ein Kürzungstatbestand für den vorliegend streitigen Fall des aus Sicht der Krankenkasse nicht erforderlichen Aufenthaltstages fehle jedoch. Dementsprechend fehle es für die vorgenommene Kürzung an einer Rechtsgrundlage, sodass die Kürzung rechtswidrig gewesen sei.

Letztlich betonte das Gericht zudem, dass die Krankenkasse nicht berechtigt gewesen sei, im Rahmen der Abrechnung von erbrachten Leistungen auf der Grundlage vertraglicher Regelung einseitig Kürzungen des Rechnungsbetrages vorzunehmen.



Rechtsanwalt Dr. A. Wienke

Wienke & Becker – Köln

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