Der Klinikarzt 2010; 39(10): 429
DOI: 10.1055/s-0030-1268523
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
02 November 2010 (online)

Ohne Frage, unsere 82 Millionen Einwohner haben derzeit mehr Probleme als ihre technisch hochkarätigen 75 Millionen TV-Geräte. Gesundheit, Hartz IV, Spritkosten – um einige Beispiele zu nennen.

Gut, dass hier das auf gute Laune programmierte TV-Programm einspringt. Amerikanische Serien, deutsche Seifenopern und Quizshows lenken realistisch vom harten Alltag ab.

In den sogenannten Doku-Soaps schicken Experten – oder als solche Ausgewiesene – direkte Lebenshilfen für Jedermann frei Haus. Peter Zwegat begleicht Schulden, Katharina Saalfrank erzieht die Kinder und wenn es mit der Liebe nicht klappt, ist Kai Pflaume seit eh und je ein wichtiger Ansprechpartner. Wenn er mal nicht weiterkommt, kann mittlerweile ein Partnertausch organisiert werden. Kochen braucht man auch nicht mehr selbst: Nach dem „Perfekten Dinner“, dem „Perfekten Promi Dinner“ und „Rachs Restaurantschule“ ist man satt.

Wer sich bei all dem Angebot wider Erwarten nicht genug beraten fühlt, kann ja noch auswandern. Abenteuerlustige dürfen in den USA, Neuseeland oder Südafrika ein ganz neues Leben beginnen. „Good bye Deutschland“, „Auf und Davon“ und „Mein neues Leben XXL“ heißen die passenden TV-Formate dafür. Superauswanderer Konny Reimann hat es vorgemacht „Im Ausland vermisst Du nichts“.

Nach 2 Wochen allerdings kommen unerwartete Probleme: Wo ist das Vollkornbrot in Vietnam, das deutsche Bier in Kenia und wieso verkauft der Kioskbesitzer in Kirgisien keine „Bild“? Aber auch im Ausland macht das Deutsche Fernsehen uns krisensicher. Ein Anruf beim Lieblingssender genügt und im Handumdrehen werden die Auswanderer zu Rückwanderern gemacht. Für die notwendige Nachbetreuung im Heimatland ist gesorgt. Schließlich haben wir Angelika Kallwass als Therapeutin der Kulturschockfolgen und Günther Jauch verheißt das notwendige Budget für den Neueinstieg.

Bei den immer beliebter werdenden Krankenhausserien gibt es allerdings einen Haken. Empfand man 1984 die Beratungsstelle Schwarzwaldklinik noch als zu überzogen, scheinen die TV-Ärzte heute gegenüber ihren Offline-Pendants gar versierter und „auf alle Fälle“ interessanter. Nur gut, dass in jedem deutschen Krankenhauszimmer heute ein Fernseher hängt. Anscheinend unverzichtbar für eine gute Genesung. Der Trend geht zum 47-Zoll-LCD-TV. Die Sendeanstalten reagieren. So hört man von einer geplanten Kooperation zwischen Deutschlands größtem Pay-TV und exklusiv ausgewählten Krankenhäusern. Im Sky Hospital Channel laufen dann unsere beliebtesten Serien „Emergency Room“, „In aller Freundschaft“, „Grey's Anatomy“, „Dr. House“ oder „Private Practice“ – 24 Stunden nonstop. Alles in HD und 3-D, abgerundet mit Patienten in der TV-Arzt-Talkrunde und nicht zu vergessen: der Hotline für Notfälle.

Denn schließlich lässt sich die Schwester doch wohl eleganter über die TV-Fernbedienung als über den Klingelknopf rufen…

Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus

Osnabrück

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