Zahnmedizin up2date 2011; 5(2): 111
DOI: 10.1055/s-0030-1270931
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
01 April 2011 (online)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

was hat unser „Arbeitsbereich Mundhöhle“ mit unserem Allgemeinempfinden zu tun? Manchmal wird uns diese Frage im Alltag sehr anschaulich beantwortet. Erst kürzlich stellte sich ein 8-jähriger Junge in unserer Abteilung vor. Am Wochenende suchte er den zahnärztlichen Notdienst mit einer Verletzung im Rachenraum auf. Die Anamnese ergab, dass er auf dem Spielplatz gestolpert war und sich mit einen Stock, den er selber gefunden hatte, im Rachenraum verletzte. Aufgrund der starken Blutung konnte ein Fremdkörper im Mund-Rachen-Raum nicht festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Auch die röntgenologische Aufnahme zeigte keinen pathologischen Befund. Der Junge wurde daher unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Die Eltern wurden zwar über einen möglichen verbliebenen Fremdkörper aufgeklärt, eine Konsultation mit dem zuständigen Facharzt fand nicht statt. In den nächsten beiden Tagen klagte der Junge über Schluckbeschwerden. Auch sein Allgemeinempfinden wurde zunehmend schlechter. Der jetzt hinzugezogene Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde fand jedoch keine Erklärung für den Allgemeinzustand. Als der junge Patient 3 Tage nach dem Unfall noch über steigendes Fieber klagte, wurde er zu uns ins Klinikum überwiesen. Nach der antibiotischen Abdeckung fand man im Rahmen eines operativen Eingriffs unter Allgemeinanästhesie ein etwa 1 cm langes Holzstück im hinteren Rachenraum. Dieses war dort bei dem Unfall abgebrochen. Solche sog. Pfählungsverletzungen sind sicherlich Extremfälle. Dennoch zeigen sie die Verantwortung, die wir als Zahnarzt gerade in Notfallsituationen haben. Laut Auskunft der Fachklinik sollten wir in diesen Situationen unmittelbar zu Facharzt bzw. ‐klinik überweisen, da im Zweifelsfall auch unter Allgemeinanästhesie nach dem Fremdkörper gesucht wird. Eine Sepsis konnte gerade noch vermieden werden.

Der vorliegende Fall zeigt die Bedeutung der Vernetzung der Zahnmedizin mit der Medizin. Dass die Zahnmedizin als wichtiger Partner für die Medizin fungieren kann, erlebe ich gerade an meinem neuen Standort. Mit der Pädiatrie verbindet uns die Betreuung der chronisch kranken Kinder. Dies beginnt bereits bei der stationären Aufnahme der Kinder mit einer gemeinsamen Therapieplanung, denn gerade chronisch kranke Kinder leiden häufig auch an Zahnproblemen bzw. Karies. Der Blick für die Mundhöhle wird daher auch bei unseren Fachkollegen sensibilisiert. Der Anteil der Kinder, die uns aus dem stationären Bereich zugewiesen werden, ist nicht unerheblich. Das vorliegende Heft Zahnmedizin up2date betrachtet ebenfalls den Zusammenhang eines zahnmedizinischen Problems (Parodontitis) mit den möglichen systemischen Wechselwirkungen (Beitrag Profs. Deschner und Jepsen). Der korrekte Antibiotikaeinsatz in der zahnärztlichen Praxis (Beitrag Prof. Nkenke) trägt zu einem besseren Allgemeinbefinden bei, bzw. muss bei bestimmten Patientengruppen vor zahnärztlichen Maßnahmen zum Infektionsschutz prophylaktisch eingesetzt werden.

Insofern bemühen wir uns, den medizinischen Anforderungen gerecht zu werden. Ist dieses Verständnis auch bei den Medizinern vorhanden? Schaut man in die aktuelle Approbationsordnung für Mediziner, so fällt auf, dass lediglich ein sogenanntes „Wahlpflichtfach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ für die angehenden Mediziner vorgesehen ist. Entsprechend klein ist daher auch der Anteil des Faches am Staatsexamen. Die Konsequenz lässt natürlich nicht auf sich warten. An meiner Universität wird das Fach einmal jährlich angeboten. Im letzten Jahr konnte der Kurs stattfinden, da sich insgesamt 5 angehende Mediziner des 7. und 8. Semesters (von etwa 300) bereit erklärt haben, den Vorlesungszyklus zu besuchen. In diesem Jahr war kein ausreichendes Interesse vorhanden, sodass der Kurs nicht stattfand. Ich hoffe, dass sich die Zahnmedizin dennoch im Netzwerk Medizin die Anerkennung erwirbt, die sie verdient. Die lokalen Bemühungen um die gemeinsame Betreuung unserer Patienten machen mir trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen Mut.

Mit den besten Wünschen verbleibe ich

Ihr
Prof. Dr. med. dent. Norbert Krämer
Mitherausgeber der Zahnmedizin up2date

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