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DOI: 10.1055/s-0031-1284320
Bruno’s Welt – Nichtschwimmer
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
26. Juli 2011 (online)

Ich erinnere mich lebhaft an eine Religionsstunde in der Schule. Wir sprachen über die Geschichte, in der Jesus auf dem Wasser geht (Mt 14,25 – Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer). Der Religionslehrer fragte in die Klasse, was uns diese Geschichte sagen wolle. Ein besonders aufgeweckter Mitschüler meldete sich und meinte: „Wahrscheinlich konnten die damals noch nicht schwimmen.”
Irgendwie erinnert mich diese Begebenheit daran, wie die Arbeit psychiatrisch Pflegender nicht selten von außen gesehen wird. Da ist beispielsweise eine Kollegin, die einen suizidalen Patienten mit viel Geduld und Empathie durch eine schwierige Nacht begleitet. Angeordnet und auch abgesetzt werden darf eine solche Einzelbetreuung nur von einem Arzt – eventuell einem, der weder den Patienten wirklich kennt, noch die Berufserfahrung hat, um das einschätzen zu können. Die Schwester jedoch erfüllt beide Bedingungen und besitzt zudem noch die persönliche und fachliche Qualifikation, um diese schwierige Aufgabe zu erfüllen. Entscheidungskompetenz wird ihr jedoch nicht zugetraut.
Oder da ist der Krankenpfleger in der ambulanten psychiatrischen Pflege, der über Wochen einen akut psychotischen Patienten durch eine Krise begleitet, allein auf sich gestellt, ohne sich mit einem Behandlerteam absprechen zu können. Eine absolut aufreibende Tätigkeit, die sehr viel Fingerspitzengefühl und Professionalität erfordert. Nach vier Wochen fordert die Krankenkasse die Pflegedokumentation ein, und der medizinische Dienst bemängelt, dass die „Individualisierung” des Patienten nicht ausreichend sei. So sei beispielsweise nicht festgehalten, was der Patient auf dem Frühstücksbrot bevorzugt; eher Süßes oder eher Salziges!
Außerdem sei keine Besserung zu erwarten, durch die Maßnahmen der Ambulanten Psychiatrischen Pflege sei es nicht gelungen: „…für die Verordnung von Maßnahmen der Nr. 27a des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen, dass der Versicherte über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit verfügt, um im Pflegeprozess die in Nr. 27a des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen genannten Fähigkeitsstörungen positiv beeinflussen zu können, und zu erwarten ist, dass das mit der Behandlung verfolgte Therapieziel von dem Versicherten manifest umgesetzt werden kann.” Bums! Damit werden weitere Verordnungen nicht mehr genehmigt.
Das ist ein bisschen so wie in der Geschichte aus der Religionsstunde. Da geht jemand übers Wasser, am Ufer stehen die besonders aufgeweckten Fachleute, begutachten das Ganze und sagen: „Der kann ja gar nicht schwimmen”.
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Bruno Hemkendreis freut sich auf Ihre Anregungen.
Bruno
Hemkendreis
eMail: BrunosWelt@thieme.de