Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(1): 34-36
DOI: 10.1055/s-0031-1298167
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wissenschaftliche Thesen zur Menorrhö. Kulturgeschichte der Menstruation

Hans Ludwig
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Publication Date:
07 February 2012 (online)

„Wenn eine Frau ihre monatliche Blutung hat, ist sie sieben Tage lang unrein. Jeder, der sie berührt, wird unrein bis zum Abend. Auch alles, worauf sie sich während dieser Zeit legt oder setzt, wird unrein.“ 3. Moses, 19–20 [1]

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Abb. 1 „Menstrual Period in Political History“, Danny Sillada 2005, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers (flickr.com).

Ein heranwachsendes Mädchen auf die bevorstehende Pubertät und das Einsetzen der Monatsblutung vorzubereiten, es zu beraten, ihm Ängste zu nehmen, Vorurteile zu beseitigen, Aberglauben auszuräumen und dennoch nichts zu verniedlichen, das gehört zu den schwierigen Pflichten einer Mutter. Sie ist die am meisten geeignete Person für eine solche Aufgabe. Das Gespräch wird nicht selten aus der Familie herausgetragen und taucht dann in einer frauenärztlichen Praxis auf.

Ein kurzer Überblick über die Geschichte unserer Vorstellungen zur Menstruation könnte nützlich sein, um Fragen zu beantworten. Das meiste dazu ist im letzten Jahrzehnt von Frauen geschrieben worden; Kristina Hohage (1998) [2], Petra Habiger (1998) [3], Sabine Hering und Gudrun Maierhof (2002) [4], Jutta Voss (2007) [5], Julia Becket (2007) [6], um nur einige zu nennen. Aber auch ein Frauenarzt kann sich einfühlen und was ihm an eigenem Körpererleben fehlt aus der Erfahrung im Umgang mit Patientinnen, aus eigener wissenschaftlicher Betätigung und aus Empathie mit der Frau schlechthin ersetzen.

Überlieferte Mythen schreiben dem Menstruationsblut lebensspendende Kräfte zu. Nicht nur die ägyptische Gott-Mutter Ninhursag formte menschliche Geschöpfe aus der Vermischung von Lehm und ihrem eigenen „Lebensblut“, sie lehrte unfruchtbare Frauen, Figuren herzustellen, die sie mit ihrem Menstrualblut färben sollten, um den Bann zu brechen. Die Genesis verbindet die Erschaffung des Menschen (Adam) mit blutiger Erde (adamah) [3, 7]. Die zyklische Wiederkehr der Menstruation wurde früh mit dem Mond verbunden, Kalender der Babylonier wie der Römer basierten auf den Mondphasen, Mondgöttinnen waren auch Fruchtbarkeitssymbole (die ägyptische Selene, die griechische Artemis, oder die römische Diana). Menstruation, Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit bildeten sich in der Wiederkehr des vollen Mondes ab.

Die alten Ärzte ([Tab. 1]) sahen in der Menstruation eine Art Ausscheidung, sei es überschüssiger Nahrungsstoffe (Pythagoras), sei es überflüssiger Körpersäfte (Hippokrates). Der weibliche Organismus wurde im Vergleich zum männlichen als weniger dicht und als feucht angesehen; Beobachtungen, die aus der Betrachtung schwangerer Frauen abgeleitet wurden. Der weibliche Körper nehme mehr Flüssigkeit auf als der männliche und müsse seinen Überschuss etwa mit der Menstruation los werden. Erreicht eine Frau das Alter, keine Menstruation mehr zu haben, wird ihr Körper erneut „trockener“, bedarf also keiner regelmäßigen Ausscheidungen von Blut mehr. Diese Logik erhielt sich bis in die „Humoralpathologie“ des 18. Jahrhunderts. Das Weib lieferte, in der Sicht von Aristoteles, die Materie, während der männliche Samen das Erscheinungsbild des gezeugten Kindes bestimme. Beide Komponenten wirken zusammen, wenn ein Kind entsteht, die Richtung aber gäbe der männliche Part vor. Vor einer Schwangerschaft entledigt sich der weibliche Organismus überschüssiger oder sogar giftiger Stoffe mit der Menstruation, bleibt diese aus, kann ein Kind im Mutterleib heranwachsen (Gaius Plinius Secundus). Aus diesen Vorstellungen schuf Soranus von Ephesus im 2. Jahrhundert n. Chr. eine These, die über das Mittelalter hinaus weite Beachtung fand.

Tab. 1 Tabellarische Übersicht über die Vorstellungen zur Menstruation im Verlauf der Kulturgeschichte.

Menstruation: geltende Sichtweise zur Ursache

vorherrschender Vertreter

historische Daten

Überschuss an Nährstoffen ausgeschieden

Pythagoras

570–510 v. Chr.

weiblicher Körper feuchter, weniger dicht, Körpersäfte übermäßig, „Humoralpathologie“

Hippokrates

460–375 v. Chr.

Überschuss an Blut wird ausgeschieden, Menstrualblut ist rohe Materie, Samen enthält alle Eigenschaften des Kindes

Aristoteles

384–322 v. Chr.

Menstruationsblut giftiger Stoff

Gaius Plinius Secundus

23–79 n. Chr.

Menstruation als Voraussetzung der Zeugung

Soranus von Ephesus

2. Jhd. n. Chr.

Menstruation als Folge des Sündenfalls

Hildegard von Bingen

1096–1176

keine überlieferte Information

verderbliche Auswirkungen der Zivilisation

Jean-Jacques Rousseau

1712–1778

„Entzündung“: Endometritis hypertrophica und hyperplastica (Dicke und Drüsenvermehrung)

Carl Ruge II, Berlin

1846–1926

zyklische Veränderungen des Endometriums, Desquamation, keine Entzündung

Franz Hitschmann, Wien
Ludwig Adler, Wien

1870–1926
1876–1958

zyklusgerecht funktionales Endometrium

Robert Schröder, Leipzig

1894–1959

Endometrium unterliegt Steuerung durch das Ovar

Robert Meyer, Berlin

1964–1947

Ovar: Corpus luteum als Taktgeber

Ludwig Fraenkel, Breslau

1870–1951

Aus dem Mittelalter sind kaum Ansichten zur körperlichen Bedeutung der Menstruation erhalten, wenn sie überhaupt in den klösterlichen Schreibstuben je ein Thema gewesen sein sollte. Hildegard von Bingen [8] hielt die Menstruation für eine Folge des Sündenfalls, wobei sie vermutlich an das Schicksal unfruchtbarer Frauen dachte, welche anstelle der erwarteten Schwangerschaften monatliche Blutungen erlebten. Es war das Los zölibatär lebender Nonnen, das monatliche Übel der Menstruation zu ertragen, gewissermaßen als Buße für die Sündhaftigkeit der Menschen schlechthin. Nicht als Wort des christlichen Übereifers, sondern als Summe einer täglichen Beobachtung unter Frauen, kinderlosen wie Müttern, ist diese mittelalterliche Sicht der Menstruationsblutung als Folge von Sünde vermutlich zu verstehen.

Die Menstruation einer geschlechtsreifen Frau ist als das Zeichen ausgebliebener Schwangerschaft zu sehen. Das „Natürliche“ aber, so schien es zumindest Jean-Jacques Rousseau als Wortführer der „Aufklärung“, sei die Abfolge von Schwangerschaften, und sei es auch der Wechsel von Lebend- und Totgeburten. Die natürlich lebende Frau, unbeeinflusst von der moderierenden Zivilisation und im Zusammenleben mit ihrem männlichen Partner, wird wiederholt und häufig schwanger. Also sei die häufige Menstruation in dieser Sicht ein Übermaß an Zivilisations-Einflüssen. Als solche „verderbliche“ Folgen galt deshalb jede Form von künstlicher Empfängnisverhütung.

Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts sahen erfahrene Pathologen in der Gebärmutterschleimhaut kurz vor deren Ausstoßung mit der Menstruationsblutung eine Form nicht bakterieller Entzündung (Carl Ruge). Wenig später erkannten Franz Hitschmann und Ludwig Adler, Wien, die Regelhaftigkeit der Desquamation nach Ausbleiben der erwarteten Nidation. Mit ihnen brach sich die heute geltende Sicht auf die Pathophysiologie des Zyklus Bahn. Bald danach konnte Robert Schröder nach zahlreichen Studien an bioptisch gewonnenen Endometriumpartikeln eine Systematik der sich zyklusgerecht proliferierenden, nidationsreifen, sezernierenden und – bleibt die Nidation aus – desquamierenden Gebärmutterschleimhaut darstellen, wie sie seither klassisch ist [9, 10]. Zu gleicher Zeit erkannte Robert Meyer, dass das Endometrium der Steuerung durch das Ovar unterliegt [11]. Ludwig Fraenkel [12] erkannte den sich bildenden Gelbkörper im Eierstock als den Taktgeber, der wieder verlischt, wenn eine Empfängnis ausbleibt. Auf die Empfängnis und die Nidation eines befruchteten Eies ist der Zyklus ausgerichtet, die Menstruationsblutung ist nichts anderes als der Start zu einer neuen Hoffnung.

Literatur beim Autor.

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Prof. Dr. med. Hans Ludwig, FRCOG, FACOG (hon.)