Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(7): 578-579
DOI: 10.1055/s-0031-1298510
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Endokrinologie. Über ein Jahr nach der Zulassung von Dienogest – Kann wirklich so vielen Endometriosepatientinnen geholfen werden?

Günter Köhler
,
Marek Zygmunt
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Juli 2012 (online)

DNG hatte jedoch eine Reihe von endokrinologischen Eigenschaften, die die Substanz ganz speziell zur Behandlung der Endometriose qualifizierten. Dazu gehörten: spezifische Bindung an den Progesteronrezeptor, aber keine Bindung an Transportglobuline, Fehlen von estrogenen und androgenen Eigenschaften, jedoch starke gestagene Effekte am Endometrium, antigonadotrope Wirksamkeit, günstige Halbwertszeit von etwa 9 Stunden, hohe Bioverfügbarkeit von etwa 80 % sowie eine hohe Tolerabilität bei minimalem Einfluss auf Stoffwechselparameter. Diese Charakteristika ließen einen starken Effekt auf endometrioides Gewebe, ein schnelles Einsetzen der Wirkung sowie eine zeitgerechte Restaurierung des Zyklus und der Fertilität unmittelbar nach Abschluss der Behandlung bei einer zu vernachlässigenden Nebenwirkungsrate erwarten. Nach Festlegung einer täglichen Dosis von 2 mg [1] wurde 1983 in Greifswald eine klinische Prüfung Stufe II „Endometriosebehandlung mit DNG – Untersuchungen zur Wirksamkeit und Paraklinik“ mit nachfolgendem Studiendesign begonnen:

  • Diagnose der Endometriose mit Bestimmung der Zahl und Größe der Herde mittels Laparoskopie in Kombination mit einer Fotodokumentation

  • 24 Wochen Therapie mit tägl. 2 mg ohne Zusatzmaßnahmen

  • klinische, biochemische und Stoffwechseluntersuchungen

    • unmittelbar vor der DNG-Applikation

    • 1, 3, und 6 Monate nach Behandlungsbeginn

    • 1, 3, und 6 Monate nach Abschluss der Therapie

  • laparoskopische Kontrolle mit Bestimmung der Zahl und Größe der Herde und Fotodokumentation am letzten Tag der DNG-Einnahme

Ende 1985 lagen die ersten Ergebnisse von 55 Patientinnen vor, wobei die endoskopisch gesicherte morphologische Remission 80,4 % und eine nachhaltige symptomatische Besserung 83,9 % betrug. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass eine systemische Estradiolsuppression auf die Spiegel der frühen Follikelphase für eine morphologische Endometrioseremission ausreicht und sich unter der Therapie eine Endometriumatrophie entwickelt. Nach Beendigung der Stufe-II-Prüfung begann 1988 eine multizentrische klinische Prüfung der Stufe III. Die entsprechenden Gutachten bzw. das Zulassungsverfahren konnten jedoch bis zur deutschen Wiedervereinigung nicht mehr abgeschlossen werden. Für die endgültige Zulassung mussten entsprechend der Gesetzeslage nun noch einmal Dosisfindungsstudien einschließlich Phase-III-Studien durchgeführt werden [2]. In diesen Studien sind jedoch einige wesentliche Kriterien nicht noch einmal geprüft worden und konnten daher auch nicht publiziert werden. Dazu gehören der endoskopische Nachweis des Therapieeffekts und Daten zur Fertilität nach der DNG-Therapie.

Um die eingangs formulierte Fragestellung „Kann wirklich so vielen Endometriosepatientinnen geholfen werden?“ zu beantworten, lässt sich daher eine zusammenfassende Darstellung der Erstuntersuchungen an insgesamt 223 Patientinnen im Kontext mit den Ergebnissen der aktuellen Zulassungsstudien [2] nicht umgehen.

Insgesamt stimmte der klinische Behandlungserfolg mit einer deutlichen Besserung der Symptome zwischen 75 und 85 % in allen Studien überein. Es war zudem erkennbar, dass der Rückgang der Symptome im 1. Einnahmemonat besonders hoch war, was möglicherweise auf den auch endoskopisch gut sichtbaren antiinflammatorischen Effekt von DNG zurückzuführen ist. Die endoskopische Remissionsrate betrug bei 223 Frauen insgesamt 87 % (64 % Komplett- und 23 % Partialremissionen). An später durchgeführten Biopsien von endoskopisch scheinbar noch persistierenden Herden konnte jedoch gezeigt werden, dass es sich bei verbliebenen braunen oder narbigen Resten nur um Hämosiderinablagerungen oder Narben handelte. Damit ist das positive endoskopische Gesamtergebnis sogar noch höher anzusetzen.

Insgesamt konnte somit schon frühzeitig belegt werden, dass DNG nicht nur zu einer deutlichen Symptombesserung führt, sondern die Endometriose in den meisten Fällen auch morphologisch beseitigt.

Bei den erstuntersuchten 223 Frauen kam es unmittelbar nach Therapieende zu einer zeitgerechten funktionellen und morphologischen (Endometrium-) Restaurierung des 1. Zyklus mit einer Wiederkehr der Regelblutung nach im Mittel 26,5 Tagen (± 7,4). 94 % der geprüften 1. Zyklen waren zudem ovulatorisch. Besonders beeindruckend war auch die posttherapeutische Fertilitätsrate. Von 76 sterilen Frauen (mittlere prätherapeutische Sterilitätsdauer 36 Monate) wurden 55 % innerhalb von im Mittel 8 Monaten nach der Therapie schwanger. Bei den Endometriose-assoziierten Sterilitäten (ohne Zusatzbefunde) waren es nach – im Mittel – 7 Monaten sogar 63 %. Fünf zuvor sterile Frauen wurden bereits im 1. Zyklus und insgesamt 24 Patientinnen innerhalb von 3 Monaten nach Therapieende schwanger.

Als Ursache für die rasche funktionelle und morphologische Wiederherstellung des Zyklus und der Fertilität muss die fehlende Kumulation von DNG, die festgestellte milde Suppression der Gonadotropine und der volle Erhalt der Reaktivität der Hypophyse auf GnRH unter der Behandlung angesehen werden.

Während der Therapie wurden keine signifikanten Veränderungen der unterschiedlichsten paraklinischen und Stoffwechselparameter (vaginale Biozönose, Blutdruck, Elektrolyte, rotes und weißes Blutbild, Gerinnung, Leber- und Nierenwerte, Fettstoffwechsel, Glukosetoleranzteste) beobachtet. Als Vorteil gegenüber den GnRH-Analoga sind nicht nur die zeitgerechte posttherapeutische Wiederherstellung des Zyklus, sondern aufgrund der geringeren systemischen Estradiolsuppression auch die seltenen und geringgradigen Hypoestrogen-bedingten Nebenwirkungen anzusehen.

Als Ausdruck des lokalen Estradiolentzugs am Endometrium kommt es in 82 % der Fälle während der Therapie zu ein- oder mehrmaligen irregulären Blutungen meist in Form von Spottings. Die Häufigkeit und Länge nimmt mit der Einnahmedauer ab. Die Blutungen aus dem atrophen Endometrium verletzen nicht das gewollte Prinzip der therapeutischen Amenorrhö. Die Anzahl und Dauer der Blutungen hat keinen Einfluss auf das endoskopische und symptomatische Ergebnis. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Blutungen durch eine Beibehaltung der Dosierung am besten zu beherrschen sind. Es hat sich daher als sinnvoll erwiesen, die Einnahme bei einer Blutung zunächst nicht zu verändern. Sistiert die Blutung innerhalb von 7 Tagen nicht spontan, führt eine 5-tägige Einnahmepause praktisch ausnahmslos zum Stillstand. In der Einnahmepause besteht ein potenzielles Konzeptionsrisiko. Bislang ist jedoch keine Schwangerschaft unter der DNG-Therapie beobachtet worden.

Auf der Basis der Gesamtheit aller in klinischen und experimentellen Untersuchungen gefundenen spezifischen Eigenschaften von DNG (Übersicht bei [3]) können gegenwärtig folgende Wirkmechanismen angenommen werden:

  • Eingriff in die hormonelle Regulation resultierend in einem systemischen und einem lokalen hypoestrogenen Status am endometrioiden Gewebe

    • Suppression von FSH, LH, Estradiol und Progesteron mit konsekutiver Amenorrhö sowie Hemmung von Proliferation und Verschleppung von Endometrium

    • Hemmung des Estrogenrezeptors (Endometrium/Endometriose)

    • Apoptose von Granulosazellen mit Estradiolsenkung

    • Hemmung von Aromatase im Endometrium

    • lokale Erhöhung der 17β-Hydroxysteroiddehydrogenase

  • andere spezifische lokale Wirkungen

    • direkte Proliferationshemmung endometrialer Stromazellen

    • rezeptorunabhängige Proliferationshemmung in endometrioidem Gewebe

    • Hemmung der Angiogenese im ektopen Endometrium

    • antiinflammatorische Effekte

Auf der Basis dieser Wirkungsmechanismen sollte die Therapie mit DNG zwischen dem 2. und 5. Zyklustag begonnen und über 24 Wochen fortgeführt werden.