Geburtshilfe Frauenheilkd 2012; 72(8): 671
DOI: 10.1055/s-0032-1315280
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

EDITORIAL

Matthias W. Beckmann
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Publication Date:
27 August 2012 (online)

Liebe Leserin, lieber Leser,

beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie fiel dieses Jahr eine positive Grundstimmung auf. Tatsächlich können wir bei der Versorgung von Patientinnen mit Brustkrebs auf einige wichtige Fortschritte zurückblicken, über die auch in der GebFra mehrfach berichtet wurde. Fachgesellschaften – Krebsgesellschaft, DGS, DGGG –, Brustzentren und nicht zuletzt die multidisziplinären Teams in den Kliniken haben in den letzten Jahren gemeinsame Anstrengungen unternommen, um das Angebot und die Leistungen in Prävention, Diagnostik und Behandlung sowie in der Nachsorge von Brustkrebs zu verbessern. Vieles deutet darauf hin, dass diese Anstrengungen Erfolge gezeitigt haben.

Dass wir uns auf diesen Erfolgen nicht „ausruhen“ können, hat der scheidende Präsident der DGS, Prof. Wallwiener, zu Recht betont. Dabei ist allerdings die Frage, ob sich die Versorgung von Brustkrebspatientinnen verbessert hat, aus Sicht der Versorgungsforschung kaum zu beantworten. Die Behandlung des Mammakarzinoms findet inzwischen zu großer Zahl in den Zentren statt, was dazu führen sollte, dass es erhebliche Verbesserungen in der Fläche in Bezug auf Leitlinientreue, Behandlungsqualität oder Umsetzung aktueller Forschungsergebnisse gibt. Ob das so ist, und insbesondere, was dies für die Patientinnenversorgung bedeutet, werden wir mangels Daten nicht erfahren. 2003 stellte M. Geraeds im Blick auf die mangelnde Versorgungsforschung beim Mammakarzinom und die seinerzeitige Diskussion um Mindestmengen und Mammografie-Screening fest: „Ohne eine exakte Datenbasis zum aktuellen Behandlungsgeschehen ist nicht absehbar, wie groß die Effekte dieser Maßnahmen sein werden.“ (Gynäkologe 2003; 36: 878–883). Am 13. Juni dieses Jahres stellte H. Pfaff, Direktor des Kölner Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), bei einer öffentlichen Sitzung des Bildungsausschusses, im Blick auf die Versorgungsforschung fest: „Wir sind ein Schmarotzerland. Die anderen Länder machen die Forschung, und wir nehmen nur, ohne eigene Forschung zu betreiben.“

Grund dafür ist der Mangel an versorgungsrelevanten Daten. Erst 2009 hat das Bundeskrebsregisterdatengesetz die Zusammenführung der Landeskrebsregisterdaten geregelt, und das Robert Koch-Institut wurde mit der Einrichtung des Zentrums für Krebsregisterdaten beauftragt. Die Zusammenführung von Daten aus den behandelnden Kliniken bleibt unterdessen aufgrund der Vielzahl von verwendeten Klinikinformationssystemen illusorisch. Ich bin deshalb mit H. Pfaff darin einig, dass es eine Struktur braucht, die bundesweit die relevanten Daten erhebt und zusammenführt.

Die fehlende Infrastruktur zur Erhebung und Sammlung von Daten trifft die Versorgungsforschung, der eine essenzielle Arbeitsgrundlage in diesem Bereich fehlt. Sie trifft allerdings auch die medizinische Forschung, die Kliniken und die behandelnden multidisziplinären Teams, die an der stetigen Optimierung der Behandlungsqualität gerade im Bereich des Mammakarzinoms arbeiten. Für sie wäre ein Monitoring durch die Versorgungsforschung mehr als nur hilfreich. In welchem Ausmaß haben die Optimierungen der Brustzentren im klinischen Alltag und in der Nachsorge tatsächlich „gegriffen“? Wie sieht das Outcome aus – klinisch, in Bezug auf Lebensqualität? Um solche Fragen insbesondere in Langzeitbeobachtungen beantworten zu können, brauchen wir eine Initiative des Bundes. Das Gesetz zum Bundeskrebsregister ist ein wichtiger Schritt, darf aber nicht der letzte bleiben.

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Prof. Dr. Matthias W. Beckmann